(c) Pester Lloyd / 47 - 2009
FEUILLETON 20.11.2009 _______________________________________________________
Den bodenlosen Blättersumpf durchwaten
Presse und Zensur in Ungarn, Von Maurus Jókai, aus dem Pester Lloyd 1866
Moricz, auch Morus, Jókai (eigentlich Mór Jókai von
Ásva, 1825 – 1904) ist der wichtigste Romancier der ungarischen Romantik. Umfang und Themen seines Werkes sowie sein nationaler Stellenwert erlauben die
Bezeichnung "Dumas Ungarns". Historische und nationale Sujets wurden von ihm bevorzugt, seine Novelle Saffi lieferte die Vorlage für das Libretto zur
Operette "Der Zigeunerbaron". Jókai war ein engagierter Förderer der ungarischen Nationalliteratur und ein Modernisierer der ungarischen Sprache. Er arbeitete als Herausgeber
wichtiger Literatur- und Gesellschaftsmagazine in Wien und Budapest. („Hon”, „Üstökös”). Dem Pester Lloyd war er durch etliche Vorabdrucke seiner Romane verbunden. Dort initiierte er auch die
Erstveröffentlichung von Jules Vernes´ Texten in deutscher Sprache (u.a. bereits 1866 "Eine Reise nach dem Mond") . Jókai war in den
90er Jahren Abgeordneter des Ungarischen Oberhauses. Sein Beitrag über die Geschichte der Zensur in Ungarn basiert auf einem Vortrag im 1866 neu gegründeten
Journalistenklub und diente nicht zuletzt der Sitmmungsmache bei den Verhandlungen über den Ausgleich mit Österreich, die vom Pester Lloyd als Quasi-Organ der
Déak-Partei unterstützend begleitet wurden. Uns bietet sein Text eine anschauliche Einführung in das Verhältnis von Österreichern und Ungarn und den schwierigen Kampf
um die Freiheit der Presse, die auch heute in Ungarn alles andere als gefestigt ist. red.
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Karikatur von 1863 zur neuen Pressegesetzgebung.
Presse und Zensur in Ungarn
Von Maurus Jókai
aus dem Pester Lloyd, 1866
I. Teil
Jedermann nennt die Presse die sechste europäische Großmacht; es gibt aber noch
eine stärkere siebente Großmacht – die Zensur; und gewiß sind in allen Kriegen der europäischen Pentarchie nicht so viele Menschen vom Schwert, von Kanonen und
Zündnadelgewehren hingerafft worden, als jene siebente Macht mit ihrem Rothstift Geisteskinder der sechsten Großmacht getödtet hat. Die Zeit aber überwältigt und
zerstört auch die Stärksten, und so beginnt denn auch schon der Stand der Zensur der Presse gegenüber ein schwieriger zu werden. Wie sehr wir in diesem Kampfe zwischen
Zensur und Presse vorwärts geschritten, zeigt auch ein Blick auf die literarischen Zustände Ungarns. Freilich mußte ein langer Zeitraum verfließen, bis es dazu kam,
daß die Regierung, selbst wenn sie unsere Grundsätze nicht theilt, doch dieselben anzuhören bereit ist, und daß ein Schriftsteller es versucht bei der Preßbehörde mit
einem Aufsatze anzuklopfen, der – eben die Zensur zum Gegenstand hat.
Die Zensur war ehemals überaus streng, ja mehr als streng, sie war skrupulös und
minutiös; meist war sie in den Händen der Geistlichkeit, später wurde sie von Regierungsbeamten geübt. Unter dem Vorwande, den Jakobinismus in Ungarn zu
unterdrücken, suchte man jeder Bewegung der politischen Presse die Wurzel abzuschneiden. Und dieser Zweck wurde in der That – auf kurze Zeit – erreicht. Die
Flamme nationaler Begeisterung, die in den letzten Regierungsjahren Joseph‘s II. aufgelodert war, wurde bis auf den letzten Funken in Asche begraben, in jenen
Kerkermauern, die einen Kazinczy, Verseghy, Bacsányi, Szentjóbi, Szabó, u. A. umfingen. Das damalige Ministerium Thugut glaubte, den Flug der Weltgeschichte
aufhalten zu können, wenn es eine Handvoll Schriftsteller zum Schweigen bringt. Die eben erst entstandenen ungarischen Zeitschriften: „Magyar Múza“, „Magyar
Muzeum“, „Orpheus“, „Urania“, „Mindenes Gyütemény“ hörten eine nach der anderen zu erscheinen auf, die Schriftsteller schwiegen gezwungen oder freiwillig;
Gesellschaften zur Ausbildung der Sprache wurden einfach verboten; und so herrschte dann bis zum Schluß des vorigen Jahrhunderts eine wahre Todtenstille und es umgab
die österreichischen Staatsmänner eine gespenstische Leere, in der sie sich ganz so wohl wie – in einer Gruft fühlen durften.
Eigentlich ist es mir unbegreiflich, wovon denn damals die Zensoren lebten, wenn sie
nicht etwa ein anders Gewerbe trieben. Ein Zensor in Schmerling‘scher Epoche, - ah! der verdiente sich sein Brod. Von Früh bis Abend Zeitung lesen! Außer den allgemeinen
Preßvorschriften auch noch die Spezialverordnungen: „Worüber, wann, wem, wozu, und ob überhaupt zu schreiben erlaubt ist?“ im Kopfe haben! Die versteckten
Anspielungen aus den Scherzen böser Witzblätter geschickt herauszufinden! Bis 1 Uhr nach Mitternacht den bodenlosen Blättersumpf durchwaten! Jeden Augenblick
fürchten, ob nicht bei der großen Eile etwas unbemerkt geblieben, was morgen der eifrige Herr X. oder der Herr Y. im Kaffeehause entdecken und spornstreichs der
höheren Behörde zeigen, worauf dann Rüge und Ähnliches erfolgen könnte! (Denn bekanntlich gibt es Leute, die auch die Zensur superrevidiren.) Dann die Reihen,
Streifen und ganze Furchen bezeichnen, diese in die Druckerei zurückschicken, dann wieder das korrigirte Exemplar abwarten und dieses mit dem beanstandeten
vergleichen! Und Alles das in den Stunden zwischen Mitternacht und der Morgendämmerung! – ich weiß wahrhaftig nicht, wann so eine Preßbehörde zu
schlafen pflegt. Oder kennen etwa die Augen der Vorsehung den Schlummer gar nicht?
Solche geplagten Märtyrer der Gesellschaft gab es nun in der ersten Hälfte dieses
Jahrhunderts noch nicht. Ein neues Buch in ungarischer Sprache ging nur selten aus der kanrrenden Handpresse hervor, meist wurden nur Kalender gedruckt. Freilich
geschah es auch einmal (und zwar schon in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts) solch unschuldgem Kalender, daß der Monat Februar darin konfiszirt wurde, weil der
patriotische Setzer den Namen „Zoltán“ neben einen Tag als Heiligen gestellt hatte, welche Kühnheit, da Zoltán nicht unter den Heiligen figurirt, als ein Vergehen gegen
die Religion angesehen wurde. Nur dem ingeniösen Geiste des Kalenderverlegers ist es zu danken, daß jenes Jahr nicht um den Februar kam; er beschwichtigte nämlich den
religiösen Skrupel mit der Erklärung, daß „Zoltán“ gleichbedeutend mit „Sultan“, d.h. Herrscher, ist, und also dem griechischen Basilius entspricht. So schlüpfte der Name
des Königs „Zoltán“ unter dem Schutze des heiligen Basilius in die Reihe der Märtyrer.
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Zeitungsdruckerei in den 60er Jahren des 19. Jh. in Ungarn
Ähnlichen anekdotischen Charakter tragen die meisten Erinnerungen vom Zensurwesen
der ersten Jahrzehnte dieses Jahrhunderts. Eine eigentliche Blätterkonfiskation konnte nicht vorkommen, da zur Herausgabe einer Zeitung ein Privilegium erforderlich war,
die damaligen Blätter aber sich blos auf eine farblose Aufzählung der Ereignisse beschränkten und jeder Bemerkung darüber sich enthielten. Bücher machten der
Zensur noch weniger zu schaffen. Das Manuskript jedes zu veröffentlichenden Werkes mußte in zwei Exemplaren bei der Zensur eingereicht werden, darin strich und
verbesserte der Zensor nach Belieben und Geschmack und iwe ihm seine Instruktion befahl, dann wurde das eine Exemplar, mit einer Schnur durchzogen, und mit dem
schützenden „Typis admittitur“ versehen, in den Druck gegeben. Häufig wurde diese Formel auch auf das erste Blatt des Werkes gedruckt, um so gleichsam mit dem
amtlichen Zeugniß vor die Welt zu treten, daß die Gegend, durch welche der Pegasus gezogen, frei von liberalen Epedemien ist. Ein besonderes Augenmerk hatte die Zensur
nur darauf zu richten, daß nichts „gegen die Moral und die Religion Verstoßendes“ vorkomme. Dabei ging sie aber mit der Prüderie einer englischen Gouvernante zu
Werke. So z.B. strich sie die beiden Zeilen Csokonai‘s: „Kann solch‘ mächtger Ätna flammen unter zwei so runden Hügeln?“
Aus einer „zertrümmerten Nepomuk-Statue“ machte die Phantasie des Zensors „ein
müßig liegendes Bot“. Im Jahre 1821 verbot ein Regierungserlaß den Eingang aller ausländischen politischen Blätter, mit Ausnahme der „Augsburger Allgemeinen
Zeitung“, ja es wurden sogar wissenschaftliche und reinliterarische Zeitschriften mit diesem Interdikt belegt. (Anm: Metternich hielt es damals nicht einmal für nötig die
von ihm selbst inszenierten Karlsbader Beschlüsse, die zwar strenge, doch gangbare vor allem einheitliche Zensurregelungen für den ganzen Deutschen Bund
enthielten, in Österreich 1819 auch nur zu verkünden. Statt dessen schuf er ein nur für Österreich und seine Lande geltendes Zensursystem, das noch hinter die
katholischen, ängstlich-strengen Jesuiten-Edikte unter Maria Theresia zurückfiel und in ganz Europa unübertroffen blieb.)
Überdies wurde den ungarischen Zensurbehörden pharaonische Strenge auch gegen die
heimischen Geistesprodukte anempfohlen. Diese Kraftanstrengung war aber schon verlorene Mühe; der Nationalgeist war nun bereits erwacht, und die Schwingungen der
Zeit können durch menschliche Kraft wohl gehemmt, doch nicht gänzlich unterdrückt werden. Die Komitate erhoben ihre Stimmen gegen die strengen Preßverordnungen;
namentlich waren es die Stände des Barser Komitates, die in ihrer Repräsentation an die königl. Statthalterei der Gesinnung des Landes den getreuesten Ausdruck gaben.
„Die Stände“ – hieß es in dieser Repräsentation – „betrachten Zeitschriften als
Bildungsquellen, … warum soll ein gemeinnütziges Band des sozialen Lebens zerrissen werden? …“ Also und in ähnlichem Sinne schrieben die Komitatskommunen eines
„Táblabiró-Volkes“ im Jahre 1820 in Angelegenheit der Preßfreiheit, und sie bewiesen damit, daß sie dem damaligen Zeitgeist um ein halbes Jahrhundert voraus waren,
während die Regierung, die diesen Repräsentationen kein Gehör gab, um eben so viel hinter dem Zeitgeiste zurückgeblieben war.
Politische Presse und politisches öffentliches Leben scheinen einander zu bedingen und
Eines ohne das Andere nicht denkbar zu sein. Wir in Ungarn haben aber doch das Gegentheil erfahren. An drei Reichstagen konnte die Abgeordneten über alle
möglichen Reformen sprechen, - zu diesem Zwecke waren sie ja zusammenberufen; aber ihre Reden durften von der Presse nicht wiedergegeben werden. Der Reichstag
vom Jahre 1825 konnte diese falsche Situation nun schon schwer ertragen; der 1830er Reichstag dem Übel abhelfen und vor Allem ein Reichstagsblatt ins Leben rufen, das
keiner Präventivzensur, von der unsere Gesetze nichts wissen, unterworfen sein sollte. Aber ungeachtet der großen Begeisterung und obwohl man sehr schöne Reden über
Preßfreiheit halten konnte, beschloß man doch nur so viel, daß irgend ein Herausgeber sich vorher um die Konzession an die Regierung wenden soll, und nur wenn die
Regierung dieses Ansuchen zurückweisen würde, wollen die Stände dann mit Nachdruck auftreten. Natürlich hatten aber die Regierungsmänner o viel patriotische
Klugheit, daß sie das Ansuchen weder bewilligten noch abwiesen, sondern sie zogen die Sache so lange hin, bis der Reichstag geschlossen und somit kein Reichstagsblatt mehr nöthig war.
Zum Reichstag im Jahre 1832 brachte aber schon ein großer Theil der Ablegaten
Komitatsinstruktionen wegen Gründung eines Reichstagsblattes mit. Nun fragte es sich nur, wie daran zu gehen. Ein Theil beantragte: Alexander Bertha, der
Historiograph des früheren Reichstages, möge ein diesfälliges Gesuch an die Stände richten; diese werden es bewilligen, worauf Jener gleich zur Herausgabe schreiten
kann. Sollte ihm die Statthalterei den Druck verbieten, so werden ihn die Stände in Schutz nehmen. Das wäre recht gut gewesen, wenn sich nur ein Drucker gefunden
hätte, der sein Druckereiprivilegium aufs Spiel setzen wollte. Nikolaus Wesselényi schlug vor, die Stände sollen eine lithographische Anstalt einrichten und selbst das Blatt
herausgeben. Der Gedanke war praktischer und kühner, aber die Stände wollten nicht um dieser Sache willen in Konflikt mit der Regierung gerathen und beschlossen, den
Instruktionen ihrer Komittenten in der Weise zu entsprechen, daß sie ein geschriebenes Blatt redigiren lassen und dieses den Komitaten zusenden werden.
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Unter den Zeitungen, die im Revolutionsjahr 1848 erschienen waren auch etliche in deutscher
Sprache, ungarischer Patriotismus und deutsche Sprache waren damals kein Gegensatz
II. Teil
„Mitteilungen vom Reichstag“ war der Titel des geschriebenen Blattes, das während
des 1832er Reichstages erschien. Die Redaktion dieses geschriebenen Blattes übernahm ein junger Advokat, der als Ablegatus absentium dam damaligen Reichstage
theilnahm, - der nachmalige berühmte Redakteur des „Pesti Hírlap“, später Abgeordneter und noch später erster ungarischer Finanzminister. Wie dieses Blatt auf
das Publikum gewirkt, vermag auch der zu beurtheilen, der jene bewegte Zeit zwar nicht mitgelebt hat, aber mit dem Gegenstand der damaligen Kämpfe vertraut ist und
dabei auch an die glänzende Genialität denkt, mit welcher der Redakteur diese Kämpfe darstellte. Die Regierung konnte gegen dieses Blatt nichts weiter thun, als daß
sie die Exemplare auf der Post wegnehmen ließ, aber die Komitate halfen sich, indem sie die Blätter durch Haiducken versandten. Es war ein merkwürdiger Kampf, den das
Recht und der Geist gegen die materielle Gewalt führten.
Mit dem gedruckten Blatte jedoch war es wieder nichts. Die Magnaten verweigerten
ihre Zustimmung, bei der Ständetafel erklärte das königliche Personal, die Zensur gehöre zu den Rechten des Monarchen. Darüber kam es zu harten Angriffen, aber das
Blatt kam doch nicht zu stande; noch mehr, es wurde sogar den damals bestehenden Blättern („Jelenkor“, Hazai tudós tások“) verboten, Anderes aus den Reichstagsreden
abzudrucken, als was die amtlichen deutschen Blätter gebracht hatten.
Nach dem Schluß des Reichstages kam der Redakteur jenes geschriebenen Blattes
nach Pest und gab hier wieder eine schriftliche Zeitung unter dem Titel: "Törvényszéki tudósitások“ heraus, welche noch größere Wirkung auf das Publikum übte. Da die
Regierung dies nicht hindern konnte, weil die Stände des Pester Komitates sich nicht zum Vollzug des Verbotes herbeilassen wollten, so ließ sie den Redakteur verhaften
und einen Hochverrathprozeß gegen ihn bei der königlichen Tafel einleiten. Seine Untersuchungshaft, die ein Jahr dauerte, brachte jenen Redakteur in derselben
Kaserne zu, in welche auch im Jahre 1863 mehrere Redakteure gebracht wurden. Der geschichtlichen Wahrheit zu Steuer müssen wir aber bemerken, daß während diesen
letzteren, von Militärbehörden abgeurtheilten und durch Militär bewachten Redakteuren die humanste Behandlung zu Theil wurde, jener Redakteur, der sich nur
erst im Anklagestand befand, von der alten, gepriesenen ungarischen Dikasterialregierung in das engste Loch der Kaserne gesperrt wurde, wo zwei Drittel
des Fensters vermauert waren, wo er weder Lektüre noch Schreibrequisiten erhalten und Niemand ihn besuchen durfte, bis nach einem Jahre die königliche Tafel das auf
drei Jahre Gefängnis lautende Strafurtheil über ihn aussprach, welches von der Septemviraltafel auf vier Jahre verschärft wurde.
Wir glaubten, diese nicht ganz zum Gegenstande unseres Aufsatzes gehörende
Thatsache hervorheben zu müssen, zu Nutz und Frommen Jener, die uns aus dem gegenwärtigen traurigen Stande nur dazu herausbringen möchten, um uns in einen
noch traurigeren Zustand zurückzuführen. Jetzt wird ein Redakteur doch nur über das, was er geschrieben, verurtheilt; damals aber verurtheilte man ihn darum, daß er
zu schreiben gewagt, ohne gar das Was? zu prüfen.
Am Reichstage 1839 wurde die Sache schärfer in Angriff genommen, aber wieder
setzten die Magnaten ihren Widerspruch entgegen. Das Unterhaus hatte dem von Ludwig Batthyányi im Oberhaus auf‘s Tapet gebrachten Vorschlag, ein Blatt
herauszugeben, welches blos die öffentlich gehaltenen Reden mitzutheilen hätte, sehr praktisch gefunden, und der Gegenstand veranlaßte eine stürmische Sitzung. Der
königliche Personal versuchte wieder mit dem Nimbus der Legalität die Zensur zu vertheidigen, wogegen Klauzál protestirte; die ganze liberale Opposition, die große
Majorität, erhob sich wie Ein Mann, um sich diesem Protest anzuschließen, es wurde ein Nuntium in Angelegenheit des Blattes an die Magnatentafel gesandt, die aber, wie
gewohnt, die Sache durchfallen ließ. Und so durfte der Reichstag auch ferner wohl sprechen, seine Reden aber nicht drucken lassen. Die heißen Debatten hatten aber
doch den Erfolg, daß nunmehr den politischen Blättern von der Regierung gestattet wurde, manche bemerkenswerthe Rede – jedoch mit Weglassung des Namens des Redners – mitzutheilen.
Der “Üstökös” - Die Sternschnuppe, Jókais Satireblatt erschien in Pesth und Wien.
Im Jahre 1841 begann eine neue, bessere Zeit
für die ungarische Presse. Erleuchtetere Männer fingen an Einfluß auf die Regierung zu üben. Die Zensur wurde zwar nicht abgeschafft, aber es wurden neue Zensurnormen erlassen und die
Handhabung der Zensur der „Studienkommission“ übergeben, welche unter Leitung des Kammerpräsidenten Alois Mednyánszky stand. Der war Regierungsbeamter, aber zugleich ein
Mann von konstitutioneller Gesinnung und ein aufgeklärter Kopf. Die Fesseln der Presse wurden also gelockert, und man konnte jetzt einen Ideenaustausch beginnen über gewisse
staatsrechtliche Fragen, deren bloße Überschrift man früher nicht hätte niederschreiben dürfen.
Damals entstand das „Pesti Hírlap“. Daß die
Wiener Regierung denselben Publizisten, den sie wenige Jahre vorher wegen seiner geschriebenen Zeitung hatte einkerkern lassen, nunmehr als Redakteur des „Hírlap“
bestätigte, das beweist, daß man damals schon einzusehen begann, wie sehr es einer Regierung Noth thut, auch das zu wissen, was die Opposition in einem Lande spricht;
und es verdient bewundert zu werden, daß Metternich schon damals besser darüber aufgeklärt war, als seine späteren Nachfolger, Bach und Schmerling, die doch den
Fortschritt des Jahrhunderts repräsentiren wollten.
Das „Pesti Hírlap“ schuf eine neue Epoche nicht nur in der Presse, sondern im
gesammten öffentlichen Leben unseres Vaterlandes. Das Blatt half gewissen erhabenen Ideen zum Siege, für die man früher nicht einmal einen Namen hatte. Es
kämpfte für Ablösung der bäuerlichen Lasten, für allgemeine Steuerpflicht, für das Prinzip der Rechtsgleichheit, für Reform der alten Institutionen und für die Aufnahme
vieler neuer Zeitideen. Mit welchem Erfolge? Das zeigt die Anzahl seiner Abonnenten, die sich auf 5000 belief. Mit welchen Gegnern es zu thun hatte? DAS zeigen jene
bedruckten Blätter, in welchen ein Graf Stephan Széchenyi, mit gleicher Genialität, mit gleicher Vaterlandsliebe, aber einer andern Richtung und einer andern
Überzeugung folgend, den Ideen des „Pesti Hírlap“ gegenüber kämpfte. Damals war die Presse die größte Macht in Ungarn. Heute ist sie es nicht. Sie hat heute auch nicht
solche gewaltige geniale Leiter, wie die beiden Männer Kossuth und Széchenyi, die mit der Initiative ihrer Ideen als Feuergeister vor dem Publikum einhergingen, um diesem
in eine große und weitreichende Zukunft hineinzuleuchten. Die Zeichen sind aber auch gar nicht für das Walten solcher Geister in der Presse geeignet. Wir sind jetzt nur
bescheidene Kompilatoren der Äußerungen der öffentlichen Meinung, und auch das ist eine genug ernste Aufgabe. Daß aber irgendein Leiter in der ungarischen Journalistik
mit seiner genialen Initiative auftrete und vorwärtsschreite, dazu sind diese Nächte nicht geeignet. Jetzt würde selbst der höchste Pharos mit seinem Lichte nichts
Anderes zeigen als angsterregenden Nebel, und es ist genug gut, wenn der Steuermann in der Journalistik in dieser sternlosen Nacht nur nach dem Kompaß des
Patriotismus sich richtend, das Schiff der öffentlichen Meinung vor dem Abirren von der rechten Bahn zu behüten versteht.
Genug – die Zeit der Kossuth-Széchenyischen Kämpfe über Verfassungsreform war und
bleibt das goldene Zeitalter der ungarischen Presse. Und die Zensur? An die hätten wir bald vergessen! Nun, die Zensur ist eine Dame, und einer Dame soll es ja zum
schönsten Lob gereichen, wenn man am wenigsten von ihr zu sprechen hat. So war es auch die rühmlichste Zeit in der Geschichte der Zensur, aus welcher am wenigsten von
ihr zu berichten ist. Die Regierung griff nicht zu solchen Maßregeln, wie Verbot und Unterdrückung; sondern sie gründete, wie dies in konstitutionellen Ländern Brauch ist,
zur Vertheidigung ihrer eigenen Ansichten und für ihre eigenen Partei ein besonders Blatt – den „Világ“.
Die heutigen Regierungsmänner haben da auch schon versucht; aber die ehemalige
Regierung hatte eine wirkliche Regierungspartei zur Seite, sie hatte für ihr Organ auch ein wirkliches Publikum, und sie konnte zum Redakteur desselben auch eine
wirkliche Kapazität wählen, die sich aus Überzeugung dafür hergab; sie war nicht genöthigt, professionelle Federn in Thätigkeit zu setzen, deren Arbeiten kein Gewicht
haben. Damals war nun Graf Aurel Dessewffy der Vertreter der Regierungspartei auf dem Gebiete der Presse. Er war ein Mann von großem Geiste, ein Mann der
Überzeugung, der an die Sache, die er vertheidigte, auch glauben konnte. Und dies war für die Regierung eine wirksamere Vertheidigung als jede Zensur, das Verfahren
war würdiger einer Nation sowohl wie einer Regierung.
Der Kampf zwischen solchen großen Kapazitäten konnte nur ein großartiger sein; er
war auch bitter und schonungslos genug, doch niemals unedel. Beide Theile vertraten Zeitideen, Prinzipien des staatlichen Lebens; keine derselben vertrat kleinliche
selbstische Interessen. Oft traf es sich auch, daß die beiden scharf gesonderten Parteien bei Zeitfragen, die mit den unleugbaren Forderungen des freisinnigen
Fortschrittes in den Vordergrund traten, sich in der Presse die Hände reichten und nach dem gleichen Ziele strebten, wie dies z. B. in der Frage der allgemeinen
Besteuerung mit „Pesti Hírlap“ und Emil Dessewffy‘s Flugschriften der fall war.
Auf dem Reichstage 1843 kam die Angelegenheit des zensrufreien Reichstagsorganes
wieder zur Sprache, und wieder versagten die Magnaten ihre Zustimmung zu dem allgemeinen Verlangen. Aber die Zensur war jetzt liberaler als die Magnatentafel, sie
gestattete dem „Pesti Hírlap“ Mittheilungen vom Reichstag in welcher Ausdehnung immer zu bringen.
Maurus Jókai auf einer Fotografie, aufgenommen kurz vor seinem Tode 1904
Ein je mächtigerer Faktor unseres öffentlichen Lebens die Presse zu
werden anfing, zu desto geringerer Bedeutung sank die Zensur herab; und wenn sie ihre unbeschränkte Macht noch übte, so ließ sie diese nur Kapazitäten dritten Ranges fühlen, wie etwa Michael
Tancsics, den meistgequälten literarischen Märtyrer, der in den vierziger Jahren wegen Veröffentlichung von Ideen bestraft wurde, die in Ungarn niemals ein Publikum hatten. Tancsics ist
eine ganz eigenthümliche einzige Erscheinung in der ungarischen Literatur. Durch seine Abkunft an die untere Volksklasse geknüpft, hält er es für seine Pflicht, deren Interessen im
Herzen zu tragen und mit seiner Feder bis zum Extrem zu verfechten; er lernte erst im 20. Lebensjahre lesen und zeichnete sich durch einen diogenesartigen Stoizismus in seiner
Lebensweise aus. Oft konnte man, auch schon in seiner schriftstellerischen Epoche, sehen, wie er, die Butte auf dem Rücken, die Produkte seiner gärtnerischen Thätigkeit – auf den
Grünzeugmarkt zu bringen eilte. Dreimal in meinem Leben begegnete ich ihm. Zuerst am 15. März 1848, wo ich zu seinen Befreiern gehörte; dann in Debreczin, wo wir Gegner waren und Blätter von
entgegengesetzter Tendenz redigirten, und endlich 1863 als Kerkergefährte in der Ofner Josephskaserne, wohin uns beide unsere literarische Thätigkeit gebracht hatte.
Bei allen drei Gelegenheiten erkannte ich den gleichen Schwärmer in ihm.
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