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(c) Pester Lloyd / 28 - 2011  GESELLSCHAFT 14.07.2011

 

Schon wirkt das Gift...

Ein Hauch von Tosca: Ungarn und das Mediengesetz

Schon Polizeichef Scarpia wusste, dass hintergründige Intrige mehr Erfolg bringt als rohe Gewalt. Verzichten mochte er auf Letztere trotzdem nicht. Ähnliches tut sich in Ungarn mit dem Mediengesetz. Die ersten Hundertschaften des öffentlich-rechtlichen Rundfunks wurden gefeuert, das Parlament in Ungarn gab der Medienbehörde noch ein neues Folterinstrument an die Hand, ein Regierungsbeamter greift frontal eine Zeitung an. Doch, wie zu erwarten und wie geplant, wirkt das Mediengesetz indirekt viel geräuschloser und effizienter als durch den Hammer des Medienrates. Der Oper nächster Akt.

Polizeichef Scarpia weist der launischen Diva Tosca in der Puccini-Oper ihren Platz zu.
Währenddessen wird der Republikaner gefoltert, am Ende sind alle tot.
Hier Tito Gobbi und Maria Callas.

Demonstration von Medienarbeitern und deren Überresten

Einige hundert Mitarbeiter, darunter viele nun schon ehemalige Mitarbeiter des öffentlich-rechtlichen Rundfunks von Ungarn protestierten am Mittwoch mit einem Schweigemarsch am Hauptsitz von Magyar Rádió in Budapest gegen die Massenentlassungen durch die neue Medienbehörde. Die Demonstranten trugen symbolisch den Rundfunk zu Grabe und entzündeten Kerzen an einem Sarg. An der Protestkundgebung nahmen auch Gewerkschaftsführer und Vertreter der Oppositionsparteien MSZP und LMP teil. Der Chef der Konföderation der Mediengewerkschaften "Kozszat" verlangt, dass die "Säuberungen und Zerstörungen bei den öffentlichen Medien gestoppt werden müssen". Für den kommenden Mittwoch, 20. Juli, wurde zu einer weiteren Demonstration aufgerufen.

NMHH: Entlassungen dienen der Steigerung der Effizienz

Die Medienbehörde NMHH veranlasste, wie hier bereits berichtet, in zwei Wellen die Entlassung von rund 1000 Mitarbeitern bei öffentlich-rechtlichen TV- und Rundfunkstationen sowie bei der zentralen Nachrichtenagentur MTI. Die Einsparungen von umgerechnet ca. 11 Mio. EUR sollen der Programmproduktion zu Gute kommen, außerdem soll auf diese Weise ein "ineffizientes, verschwenderisches, chaotisches" System reformiert werden. Auf besondere Kritik stößt, dass u.a. auch die Redaktion für ein Roma-Minderheitenprogramm aufgelöst und ihre Mitarbeiter entlassen worden sind, zeitgleich gelangten Regierungstreue an die Schlüsselstellen der Sender, der neue Leiter von MTI - das alle "Staats-Sender" nun zentral mit News versorgt - wurde ein Mann, der gerade kürzlich der bewußt falschen Berichterstattung überführt worden ist.

Noch immer ist es nicht die Zeit, zu vergessen, dass die Medienbehörde, die es sich zu einer zentralen Aufgabe gemacht hat, die ungarische Jugend vor Unmoral aller Art zu beschützen, von einer Person geleitet wird, deren Opus magnum in der Herausgabe eines kleinen, schmierigen Sexblättchens besteht. Seit Monaten bombadiert der Medienrat den Sender RTL Klub hingegen mit Strafen wegen nackter Brüste und zotiger Sprüche in der ungarischen Version des sozialpornographischen "Big Brother" (hier: Wahre Welt, lies: das echte Leben...), dass man den Eindruck haben könnte, hier führt jemand einen inneren Ablasshandel durch.

Wie schon beim Mediengesetz selbst, bezweifelt auch beim Personalabbau - außer den unmittelbar Betroffenen - niemand, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk, - eine launische unkontrollierbare Diva wie Floria Tosca -  einer dringenden Disziplinierung und auch einer personellen Verkleinerung bedurfte. Diesen Umstand macht sich die neue Regierung für eine politische Säuberungsaktion zu Nutze, denn es wäre von fast dümmlicher Naivität, zu glauben, dass die Fidesz-Regierung auf personelle Bereinigungen in legionären Dimensionen und die offensichtlich parteiischen Postenbesetzungen selbst dann verzichtet hätte, wenn ihr die Vorgänger einen Musterbetrieb übergeben hätten.

Alles weitere zum und um das Mediengesetz auf unserer THEMENSEITE:
http://www.pesterlloyd.net/2010_51/51lehrstueckKommentagr/51lehrstueckkommentagr.html

 

Änderungen am Mediengesetz schaffen neues Folterinstrument

Ebenfalls in dieser Woche nahm das Parlament einige Veränderungen am Mediengesetz an, das seit 1. Juli, dem Tag nach Ende der EU-Ratspräsidentschaft in vollem Umfang in Kraft getreten ist und sich nun auch die "Aufsicht" über private Print- und Internetmedien anmaßt, einschließlich eines durch den parteilich besetzten Medienrat interpretierten Bußgeldkataloges. Ein rechtliches Gustostückchen darin ist die Feststellung, dass Rundfunk- und TV-Anstalten in Zukunft von Bewerbungen um Frequenzvergaben ausgeschlossen werden können, wenn sie gegenüber der NMHH "offene Verbindlichkeiten" haben. Dazu können auch von der NMHH verhängte Bußgelder gehören. Der Rat der Medienweisen erhält so ein recht effizientes weiteres Folterinstrument, könnte er ja nun Bußgelder z.B. unmittelbar vor der turnusmäßigen Wieder-Ausschreibung bereits vergebener Frequenzen aussprechen, die die Sender dann klaglos zahlen müssten, um nicht zu riskieren, ihre Frequenz zu verlieren. Kleinere Radiosender, die nicht über die Kriegskassen von internationalen Medienkonzernen verfügen, sind so geräuschlos zu beseitigen.

Regierung greift linke Tageszeitung an

Erstes "Opfer" der seit dem 1. Juli vorhanden Möglichkeiten könnte die linke Tageszeitung "Népszava" sein, gegen die auf Initiative eines Regierungsmitarbeiters ein (rückwirkendes) Verfahren wegen eines Leser-Kommentars in der Online-Ausgabe eingeleitet worden ist. Dabei handelt es sich nach Berichten anderer Medien um ein Post, der die Meinung kundtut, Präsident Schmitt sei ein Trottel, was offenbar den "Straftatbestand" der Majestätsbeleidigung erfüllt, obwohl diese Meinung als solche geschützt ist und nicht allein in der linkslinken Presse lebt. Vielleicht möchte ja sein Vorgänger, Sólyom etwas zu diesem Thema sagen, denn selbst widerlegen kann Schmitt die Behauptung über seinen geistigen Zustand wohl kaum, zumindest nicht schriftlich wie das ganze Land schon weiß.

Hingegen füllen täglich zigtausende rassistische, gewaltverherrlichende, antisemtische Kommentare die Leserpostspalten der ungarischen Medien, die aber von den Regierungsleuten nicht gelesen werden, die lesen offenbar nur linke Zeitungen. Nun versuchen private Initiativen das neue Mediengesetz auch gegen diese Hassbotschaften in Stellung zu bringen, die tatsächlich durch Gesetze sanktioniert sind und sogar ohne das Mediengesetz strafbar wären. Dass hier von staatlicher Seite noch kein Einschreiten bekannt geworden ist, verwundert nur Ahnungslose, ist doch der Doyen der Hassprediger des Landes, Zsolt Bayer von der "Magyar Hírlap", ein erklärter Freund von Ministerpräsident Orbán und stolzer Mitbegründer der Regierungspartei Fidesz.

Werbemarkt als subtiler Vollstrecker

Neben den Säuberungen und der Gleichschaltung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk und dem Damoklesschwert möglicher Bußgelder für private Medien, beklagt sich die links-liberale Medienwelt vor allem über ein stilles finanzielles Ausbluten durch das zunehmende Ausbleiben von Anzeigenaufträgen einschlägiger Firmen und Institutionen, sowohl solcher mit direktem staatlichen Hintergrund als auch solcher, denen es im Lichte zukünftiger staatlicher Auftragsvergaben geraten scheint, die Finger von allzu liberalen Blättern und Sendern zu lassen. Diese schleichende Vergiftung der Medienszene, die mit vorauseilendem Gehrosam bei den Öffentlich-Rechtlichen, Denunziantentum auf allen Ebenen und einer selbstmörderischen Vorsicht der "freien" Medien einhergeht, war ein eigentlicher Zweck und Auftrag der neuen Behörde wie des neuen Mediengesetzes.

Der Medienrat mit seiner halbgebildeten, dafür treuevollen Vorsitzenden und ihren Pseudofachgehilfen muss so nur noch in jenen Fällen von Renitenz eingreifen, die nicht durch das "neue System" selbst erledigt werden. Praktischerweise können die Regierungstruppen gleichzeitig darauf verweisen, dass die ungarische Presse ja nach wie vor und heute sogar besonders regierungskritisch, mithin frei sei. (zur Info: rein verwaltungstechnisch gesehen ist diese Zeitung kein ungarisches Medium). Die Strafe muss nicht auf dem Fuße folgen, doch wird sie unvermeidlich sein und durch den natürlich völlig unpolitischen Werbemarkt vollstreckt. Wenigstens zwei Radiosender und eine Zeitung fielen auf diese Weise bereits ins finanzielle Koma.

Auch hier ist festzuhalten, dass die ungarischen "Sozialisten" auf diesem Gebiet eine unrühmliche Vorreiterrolle gespielt hatten, war es doch Ex-Premier Gyurcsány der im Zuge der Entrüstung über einen hasstriefenden, romafeindlichen Beitrag in der "Magyar Hirlap", der an geistige Körperverletzung grenzte, zum Boykott dieses rechtsnationalen Kampfblattes aufrief. Damit zeigte er nicht nur, dass er das Prinzp Pressefreiheit nicht verstanden hatte, sondern auch, dass er wenig Vertrauen in das Ethos der Direktoren der Manager staatlicher und anderer Betriebe in seinem Land hatte. Zu recht, wie wir alle wissen.

Linke Empörung, konservativer Schweigemantel

Die Vorgänge in Ungarn spielen nun auch wieder eine etwas größere Rolle in den westlichen Medien, die bei Nachrichten, die ihre eigene Branche betreffen, besonders beflissen publizieren, auch wenn die eigentlich schwerwiegendsten Sündenfälle dieser Regierung längst auf anderen gesellschaftlichen Gebieten stattgefunden haben, wie die Leser dieser Zeitung wissen. Doch die Empathie des Westens reicht nach wie vor selten über ein Mitgefühl für die eigenen Kollegen hinaus, wie es den Anschein hat. Dabei hätten die ein paar Hinweise gebrauchen können, für ihre Sache und ihren Beruf einzustehen als das noch möglich war. Denn ehrlicherweise müsste man den meisten Medien im Lande bei ihrem Untergang keine Träne hinterherweinen, wenn, ja wenn irgendetwas brauchbareres hinterherkäme.

Da sich auf europäischer Ebene nur die "üblichen Verdächtigen" wie der EP-Fraktionschef der Sozialisten, Martin Schulz und ein paar in Ungarn als marginal betrachtete NGO´s für die Demokratie in Ungarn einsetzen, die konservative Mehrheit der bürgerlichen Regierungen in Europa aber lieber den bewährten Mantel des Schweigens über Orbáns Machtrausch deckt, darf dieser seine vorgetäuschte Revolution sicher bis zu einem Ende führen, bei dem noch niemand weiß, wie es genau aussieht, nur, dass es ein hässliches sein wird.

Mittlerweile sind wir im zweiten Akt der Oper angelangt. Das Werben hat ein Ende, es wird gefeilscht, gelockt und noch mehr gedroht, Polizeichef Scarpia starb letztlich durch die Hand seines Objektes der Begierde, nachdem er versuchte es zu vergewaltigen und ihren Freund, den Republikaner fast zu Tode gefoltert hatte, - ganz zum Schluss waren dann doch alle tot...

red. / ms.

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