AKTION: BIS 30. JANUAR 2012:
30% RABATT AUF ALLE
ANZEIGEN- JAHRESABSCHLÜSSE
ZUR PREISLISTE
 

MOBILE VERSION

Hauptmenü

 

 

 

(c) Pester Lloyd / 02 - 2012  POLITIK 09.01.2012

 

Wege aus dem Chaos

Was hilft Ungarn: forcierte Staatspleite oder entwaffnende Solidarität?

Derzeit kann am Beispiel Ungarn beobachtet werden, wie EU und IWF mit ökonomischen Schraubzwingen politische Fehlentwicklungen zu korrigieren suchen, weil die politische Gemeinschaft, außer dem zahnlosen Artikel 7, kein exekutives Handwerkszeug besitzt, den Abbau von Grundrechten und Rechtsstaatlichkeit zu verhindern. Doch mit Solidarität und einer klaren Strategie könnte die EU Orbán das politische Grab schaufeln. - LEITARTIKEL

Am Ende der abgelaufenen Woche beherrschte die Schlagzeilen, wer von Seiten der EU, des IWF der EZB mit wem aus Ungarn, ob, wann, worüber sprechen wird und mit welchem Grad an Verbindlichkeit. Eine brotlose Fragerei. Auch der mediale Wettbewerb darüber, wie pleite Ungarn nun sei und wie gefährlich die Politik seiner Machthaber, ging in eine weitere Runde. Das offizielle Budapest strampelt sich derweil mit Schadensbegrenzung an allen erdenklichen Fronten ab, versucht aber gleichzeitig ihren ideologischen Grundsätzen treu zu bleiben, wie u.a. die schlecht gespielte "Überraschtheit" belegt, mit der man auf die Herabstufung durch die Ratingagentur Fitch am Freitag reagierte. Auch das Treffen zwischen Premier Orbán und Zentralbankchef Simor war eine Nullnummer, die Herren hatten sich nicht wirklich viel zu sagen.

Am Sonntag erläuterte Orbán im Fernsehen, dass für ihn die Frage des Festhaltens am kritisierten Nationalbankgesetz “keine Prestigefrage” sei und er keine “Vorbedingungen” stellen werde, was im Westen als Andeutung eines möglichen Einlenkens interpretiert wurde. Orbán sagte aber auch, dass es “keine Notwendigkeit für Gesetzesänderungen” gibt, da “das Nationalbankgesetz die Unabhängigkeit der Zentralbank garantiere.”

Bilder sagen mehr als Worte. Simor nimmt seinen Mantel, aber nicht seinen Hut. Der “Krisengipfel” zwischen Premier Orbán und Nationalbankgouverneur Simor am Freitag war mehr ein Termin für die Medien und die Analysten als ein Wegweiser aus der Krise. Zu konkreten Absprachen kam es nicht. Ratlos im Raum stehend, von links: Orbán-Berater Mihály Varga, Verhandlungsleiter für die IWF-Gespräche, Tamás Fellegi und das personifizierte Strukturdefizit György Matolcsy, Nationalwirtschaftsminister.

Mehrere Canossagänge in einer Woche

Am 11. Januar hat der ungarische Chefverhandler im Ministerrang, Tamás Fellegi, zunächst einen Termin in der IWF-Zentrale in Washington mit "rein informellem Charakter", wie vor allem die Bankerseite betont. Dort wird abgesteckt, auf welchen Feldern sich Ungarn auf alle Fälle wird bewegen müssen, bevor überhaupt eine ernsthafte Verhandlung über eine neue Notkreditlinie möglich wird bzw. über "ein vorbeugendes Sicherheitsnetz, für den Fall, dass die Eurozone ihre Probleme nicht lösen kann und daher zum Stillstand kommt", wie "Kredit" im ungarischen Neusprech heißt. Nach dem Treffen mit Christine Lagarde darf Fellegi dann - auf eigenen Wunsch - am 16. Januar bei EU-Wirtschaftskommissar Olli Rehn vorsprechen. Der machte aber schon vorab recht kühl klar, dass man nicht über "Nothilfen" verhandeln werde, sondern nur darüber, wann mit einer Korrektur des Zentralbankgesetzes zu rechnen sein wird.

Wunschliste des IWF durchgesickert

Ganz zufällig, wie immer bei solchen Gelgenheiten, sickerte bereits die Wunschliste des IWF durch, die neben der Garantie der "Unabhängigkeit der Zentralbank" und einiger Fragen der Verlässlichkeit von Steuer- und Wirtschaftspolitik, auch die Wiederherstellung des Haushaltsrates fordert. In dem Bericht, dessen offizielle Vorstellung für den 18. Januar vorgesehen ist, wird - neben Allgemeinplätzen wie "das politische Klima in Ungarn ist derzeit kompliziert", auch ein Blick in die Folterkammer der EU gewährt. Es heißt, man könnte das seit acht Jahren laufende latente Defizitverfahren (das in der EU längst keiner mehr ernst nimmt), aktivieren, um Mittel aus dem EU-Kohäsionsfonds zu streichen, die bis zu 2% des BIP ausmachen.

In der uns vorliegenden Skizze wird jedoch leider nicht erwähnt, ob man im Sinne des Gleichheitsgrundsatzes auch die anderen EU-Defizitsünder finanziell hinrichten wird oder ob dieses Mittel als Ersatzkampfmittel herhalten muss, weil man auf politischem Terrain nicht über so gut bewaffnete Truppen verfügt wie auf dem Feld der Ökonomie, um Rechtsstaatlichkeit und Demokratie zu verteidigen. Der IWF-Bericht weiß die Bemühungen der Orbán-Regierung, Ordnung in den pannonischen Saustall zu bringen, durchaus als "ambitioniert" zu schätzen, befindet aber die Schritte dazu als "zu riskant", das Steuersystem "ausufernd kompliziert", macht sich sorgen um "Verzerrungen im Arbeitsmarkt" und resümiert, dass die Maßnahmen nicht geeignet sind, mittelfristig Stabilität und Wachstum zu schaffen. Man könnte den stattfindenen Umbau auch genauso gut als unsozial und unprofessionell brandmarken, gäbe es beim IWF solche Kategorien.

Vielleicht geht ihm bald das Geld aus, die Worte bestimmt nicht.
Premier Orbán nach dem Zentralbank-Treffen vor “seinen” Medien

Mit einem intakten Verfassungsgericht bräuchte es keinen Haushaltrat

Zur Forderung nach "Wiederinstallierung des Haushaltsrates" eine Anmerkung: wie berichtet, wurde der alte Haushaltsrat, eine vertrauenbsildende Maßnahme von Übergangspremier Bajnai, im vorigen Jahr wegen Majestätsbeleidigung abgeschafft, weil dessen Chef György Kopits es vor aller parlamentarischer Augen wagte, die Herrlichkeit der Fideszschen Rechenmeister in Frage zu stellen. Der neue, umstrukturierte und umbesetzte Haushaltrat hat Vetorechte (eigentlich sogar eine Vetopflicht) sollte er Kennziffern im Budgetgesetz entdecken, die den "nationalen Interessen" oder sogar auch der ökonomischen Vernunft zuwiderlaufen. So gesehen hat der neue Rat deutlich mehr Macht als der alte und sogar mehr als das kastrierte Verfassungsgericht, allein er nutzt sie nicht, weil die Figuren darin nur deshalb installiert worden sind, um denkbaren Nachfolgeregierungen das Regieren unmöglich zu machen.

Zwar heißt es, dass Haushaltsratschef und Ex-Nationalbanker Zsigmond Járai langsam die Nase voll davon hat, seinen einst vorhandenen Ruf als Fachmann den Budget genannten haarsträubenden Mutmaßungen aus dem Hause Matolcsy zu opfern, doch schuldet er den Fidesz-Leuten noch einige Gefallen, nachdem die durch einen Gesetzeseinschub dafür gesorgt hatte, dass seine aufstrebende Versicherungsgesellschaft von der Finanzsondersteuer verschont blieb. Seine Bereitschaft zum Widerstand ist daher eingeschränkt.

Kreditwürdigkeit wichtiger als universelle Rechte

Das Bestreben des IWFs sollte also nicht darin liegen, den alten, machtlosen Haushaltsrat zu reinstallieren, sondern eine unabhängige Besetzung des heutigen zu ermöglichen, wenn man eine solche Institution schon für notwendig erachtet. Interessanterweise steht die Frage der Einsetzung des Verfassungsgerichtes in seine vollständigen Kompetenzen nicht auf der Wunschliste des IWF. Wie bekannt, darf das höchste konstitutionelle Wächterorgan, laut Verfassung, bis zur Erreichung einer Staatsschuldenquote von 50%, also bis zum Sanktnimmerleinstag, keine Gesetze "das Budget" betreffend kassieren. Könnte es das, wären der Staatshaushalt und die Flat tax sowie etliche andere "Großtaten" der Fidesz-Regierung schon Geschichte, womöglich aber hat das IWF längst erkannt, dass Umbesetzung und Selbstzensur des Gerichtes schon so weit fortgeschritten sind, dass dort ohnehin Hopfen und Malz verloren sein könnten. Auch hier kapriziert man sich dann also lieber auf die Sicherstellung der Zinszahlungsfähigkeit als sich dafür einzusetzen, eine Insitution des universellen Demokratieschutzes in seine Rechte einzusetzen.

Anlässlich der Herabstufung machte wieder schnell das Wort der "Staatspleite" die Runde, vor allem in westlichen Medien. Wem der Zweck die Mittel heiligt oder zumindest billigt, möchte sich jedoch zuvor die Frage stellen und uns allen beantworten, wem eine forcierte Pleite Ungarns nutzen sollte. Daher sind Verhandlungen und sogar auch Kompromisse das Mittel der Wahl. Nicht zuletzt auch, damit die EU (vom IWF wird das keiner verlangen), eben im Gegensatz zur Orbán-Regierung, ihre Menschenfreundlichkeit artikuliert und damit einer Normalisierung des Landes besser den Weg ebnen kann als die allmachtsfiebernden Antagonisten "Finanzmarkt" und "Nationenbefreier".

Geld für Ungarn, nicht für Orbán

Die EU sollte benötigte Notkredite und sonstige Hilfen heranschaffen, deren Einsatz aber durch eine eigene Mannschaft beaufsichtigen, so wie das bei Entwicklungsgeldern weltweit Gang und Gäbe ist. Geld für Ungarn, nicht aber für Orbáns Geisterfahrerpolitik. Die Vernunft muss sozusagen an Orbán vorbeiregieren, vorausgesetzt selbige setzt sich auch innerhalb der EU durch. Mit der EU als verlässlichem und hilfsbereitem Verbündeten - der sie gerade jetzt nicht im Stich lässt - werden die Menschen in Ungarn selbst die beste "Lösung" für ihr offensichtliches Problem finden.

In der Wirtschaft versagt Orbán, weil er sich als Ideologe nicht mit Realitäten abfinden kann. Das kostet die Leute bares Geld, ob als Einkommensminderung durch Steuerchaos, Arbeitslosigkeit durch fehlende Wachstumsanreize und Investitionssicherheit oder höhere Rückzahlungsraten für die Forex-Kredite. Das Land hat er isoliert, der Rechtsstaat wird gegängelt, demokratische Kontrollinstanzen, also die Garanten der bürgerlichen Freiheit sind zu Parteifilialen verkommen. > Sündenregister

Die Mehrheit hat vom nationalen Geschwätz, das bekanntlich nicht satt macht, längst genug und keiner kann sagen, was sich der große Steuermann morgen wieder ausdenkt. Allein das Dementi eines möglichen Zugriffs auf Devisenreserven und Sparguthaben muss angesichts des bereits Geschehenen Sorgen bereiten.

 

Orbáns Macht beruht auf der Schwäche seiner Gegner und einer immer dünner werdenden ideologischen Suppe, dem ewig gleichen Lamento von der unverstandenen Nation. Orbán hat nicht mehr viele Pfeile im Köcher. Eine solidarische, unbeirrt strategisch agierende EU würde ihn vollends entwaffnen.

red. / ms.

 

IN EIGENER SACHE

Der PESTER LLOYD möchte sich verbessern - Helfen Sie mit?

Liebe Leserinnen und Leser in Nah und Fern, liebe Freunde des Pester Lloyd!

Vor zweieinhalb Jahren haben wir den Pester Lloyd auf eine Online-Tageszeitung umgestellt. Ein Projekt, das sich erfolgreicher entwickelte, als wir das erwarten konnten. Um auf der Höhe der Zeit zu bleiben und noch mehr unabhängigen Journalismus aus der Mitte Europas bieten zu können, brauchen wir Ihre Hilfe...

ZUM BEITRAG

 


 

IMPRESSUM