(c) Pester Lloyd / 08 - 2012 WIRTSCHAFT 23.02.2012
Anreiz oder Strafe?
EU sperrt Ungarn EU-Gelder - Regierung: Unfair und grundlos
Die EU-Kommission hat am Mittwoch fast 500 Mio. EUR der für Ungarn reservierten Mittel aus dem EU-Kohäsionsfonds für 2013 eingefroren. Die Regierung gibt sich
entsetzt und behauptet, unfair behandelt zu werden. Man stünde beim Wachstum besser da als die Eurozone. Noch ist Zeit, den Zahlungsstopp abzuwenden. UPDATE
Der Schritt der EU-Kommission hatte sich bereits gestern angedeutet. Sollte das Land bis Ende des Jahres keine glaubhaften Schritte unternehmen, das
strukturelle Haushaltsdefizit nachhaltig zu reduzieren, stehen Ungarn für 2013 495 Mio. EUR, bzw. 0,5% des BIP, bzw. 29% weniger aus dem Kohäsionsfonds zur
Verfügung als ursprünglich vorgesehen, besagt die aktuelle Mitteilung der Kommission. Laufende Projekte sind nicht betroffen. Sollte Ungarn gar nicht
oder nicht zur Zufriedenheit reagieren, ist ein Einfrieren der gesamten Summe aus dem Kohäsionsfonds von 1,7 Mrd. EUR möglich. Ungarn hatte im Jahr 2011 Nettozahlungen aus
der EU von 4,37 Mrd. EUR erhalten.
Es ist das erste Mal, dass diese finanzielle Sanktion gegen ein EU-Mitgliedsland angewandt
wird, EU-Kommissar Rehn will die Maßnahme daher auch als "Anreiz" für gesteigerte Bemühungen sehen, nicht aber als Strafe.
Ungarn sieht sich aber einmal mehr als Opfer politischer Ränke. Regierungsmitglieder und
deren Sprecher meinten schon vorauseilend, man wolle aus politischen Gründen ein "Exempel statuieren" und "Ungarn in die Ecke" stellen. Orbáns Chefberater Varga
behauptete weiter, man habe das Defizit bereits unter 3% des BIP gebracht. Allerdings erkennt die EU Einmaleffekte im Gegenwert von ca. 10% des BIP nicht an, was Kommissar
Rehn bereits mehr als einmal deutlich gemacht hatte. Die EU hat auch erhebliche Zweifel, ob die Defizitziele für 2012 und 2013 eingehalten werden können. Dass die erstmalige
Anwendung dieses Instrument durchaus auch aus politischen Motiven erfolgt ist, liegt dennoch auf der Hand.
Reaktion der Regierung: Unfair! Ungarn besser als Eurozone...
Knapp vier Stunden nach der Bekanntmachung der EU-Kommission in Brüssel lag bereits die
offizielle Stellungnahme der ungarischen Regierung vor. Sie bleibt sich bei Argumenten und im Ton treu. Der Vorschlag, Teile des Kohäsionsfonds 2013 einzufrieren, wird darin als
"unbegründet und unfair" bewertet.
Man findet es "unbegreiflich, warum die EU-Kommission die Fakten ignoriert: Ungarns
Haushaltsdefizit war 2011, zum ersten Mal seit dem Beitritt zur Europäischen Union 2004, unter 3% und wird es auch in diesem Jahr bleiben, was Ungarn zu dem Land mit dem
achtniedrigsten Defizit in der Union macht." Auch habe man Schritte unternommen, um das mit 3,25% geschätzte Defizit für 2013 um 0,4 Punkte zu senken, damit es auch unter
3% bleibt, heißt es weiter. "Unser Ministerpräsident hatte darüber gerade den Präsidenten der Europäischen Kommission informiert."
Die ungarische Regierung habe "konsequent alle notwendigen Entscheidungen getroffen,
um die Erwartungen und Anforderungen der EU zu erfüllen". Dem Vorschlag der EU-Kommission "ist auch aus rechtlicher Sicht zu widersprechen: er handelt dem Geist der
Europäischen Verträge zuwider, da es Sanktionen gegen ein für die Zukunft angenommenes Ereignis vorausnimmt." Die Fakten und Zahlen belegten, dass "die
Wirtschaftspolitik der ungarischen Regierung das Land in die richtige Richtung führen, zum Beispiel hat die Wachstumsrate von 1,7% sowohl den EU-Schnitt als auch den Durchschnitt
der Eurozone übertroffen. Gleichzeitig hat es Ungarn geschafft, die Schuldenquote zu senken, die ein Erbe der vorangegangenen Regierungen war." Abschließend wird in dem
Schreiben aus dem Amt des Ministerpräsidenten gesagt, dass "die Regierung bereit bleibt, mit den europäischen Institutionen zu beraten."
Einige Beobachter meinten in ersten Statements, dass es sich bei der Ankündigung der EU
um einen letzten Warnschuss der Gemeinschaft Richtung Budapest handelt und es durchaus gute Chancen für Ungarn gibt, das Einfrieren noch zu verhindern. Ein endgültiges
Einfrieren der EU-Gelder müsste zu Jahresende ohnehin noch vom Rat mit qualifizierter Mehrheit abgesegnet werden, was als keine geringe Hürde gilt. Gegen Ungarn laufen
außerdem drei Vertragsverletzungsverfahren sowie diverse weitere Prüfungen der umfangreichen neuen Gesetzgebung.
red.
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