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(c) Pester Lloyd / 17 - 2012     POLITIK 23.04.2012

 

Im Paralleluniversum

Orbáns Ungarn außerhalb von Raum und Zeit... - LEITARTIKEL

Am Dienstag treffen sich der ungarische Regierungschef Orbán und EU-Kommissionspräsident Barroso in Brüssel. Die Welten beider liegen so weit auseinander wie noch nie und mit seiner Nationalbefreiungstheologie tut der ungarische Premier viel dafür, dass sie sobald auch nicht mehr zueinander finden. Seiner Ansicht nach sind die Transferzahlungen aus der EU ohnehin "unser Geld", also unverhandel- und unsperrbar. Der IWF gehört angeblich sowieso Ungarn und auf Banken will man in Budapest zukünftig am besten ganz verzichten.

Orbán neben der EU-Galaxie...

Die sagenhafte politische Gedankenwelt Orbáns, seine Ansichten zur "natürlichen Ordnung" der Welt, extrahierten wir bereits umfangreich in den "Osterbotschaften". Die Verzwicktheit einer Lösungsfindung bei den Vertragsverletzungs- und Defizitverfahren suchten wir aktuell im Beitrag "Es bleibt kompliziert - Ungarn und die EU kommen einfach nicht auf einen Nenner" zu entwirren. Und es gibt noch mehr Anhaltspunkte dafür, dass sich Orbán auf einer weiten Rundreise durch ferne Paralleluniversen befindet. Seine jüngsten Äußerungen und Pläne lassen nicht einmal mehr den Versuch einer Kompromissfindung mit den internationalen Partnern erkennen. Und so müßig es unseren Lesern erscheinen mag, dass wir diese Verkündigungen immer und immer wieder aufbereiten (hier ein ähnlichlautendes Werk aus dem November des Vorjahres), so müßig sind die inhaltsleeren Ausritte auch für das Land, das einfach nicht von der Stelle kommt. Wir würden gerne Neues, Besseres berichten, das können Sie uns glauben.

Wer glaubte, es sei damit getan, die EU-Verträge zu studieren und daraufhin die damit kollidierten ungarischen Gesetze anzupassen, ist weit von der Befindlichkeit der ungarischen Regierung entfernt, die seit zwei Jahren ganze Divisionen von EU-Mitarbeitern in die Verzweiflung treibt. Hatte man am Anfang der Orbán-Ära noch die leise Hoffnung, Orbáns "unorthodoxe" Ideen, wie man ein Land aus der Schuldenkrise, der Abhängigkeit spekulativer Finanzmärkte und dem Steuerkoma befreien soll, könnten funktionieren und so womöglich einen Weg auch für andere Problemstaaten weisen, muss man sich heute Sorgen daüber machen, dass unsere Machthaber sogar in der Lage wären, eine Totalpleite des Landes zu riskieren, nur um auf der "richtigen Seite der Geschichte" zu bleiben.

Ermüdende Kostproben kalvinistischer Sturheit

In einem lokalen Fernsehsender seiner spirituellen Heimat Debrecen gab Orbán einmal mehr einige seiner mittlerweile nurmehr ermüdenden Kostproben kalvinistischer Sturheit. Sollte er diese Sprüche gegenüber Barroso genauso äußern, dürfte das Gespräch mit diesem am Dienstag nicht sehr lange dauern, obwohl der Kommissionspräsident lange Zeit Ungarn gegenüber seinen Kritikern in der EU beschützte. Orbán hat ihn mehr als einmal blamiert, zu Jahreswechsel platzte dem ruhigen portugiesischen Gemüt dann doch der Kragen. Seitdem befindet sich die EU mit Ungarn im Verfahrensmodus, auch wenn Budapest sich müht, alles als "unbedeutende technische Unklarheiten" kleinzureden.

Zunächst wiederholte Orbán am Freitag, dass Ungarn vom IWF "keinen Kredit, sondern ein Sicherheitsnetz" wolle, um sogleich nachzuschieben, dass ein solches ohnehin nur wegen des "weiteren wirtschaftlichen Versagens Europas" notwendig würde, damit klar bleibt, dass eigentlich alle Probleme Ungarns fremdverschuldet sind. Ungarn soll nicht unter der "Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage in Europa, für die es eine gute Chance gibt" (wörtlich!), leiden müssen. Worin sonst als in einem Stand-by-Kredit so ein Sicherheitsnetz jedoch bestehen soll, sagte Orbán wieder nicht.

Noch ist es der Zeigefinger...

Diese Selbstbehauptungsrhetorik, das Vonsichweisen jeder Verantwortung für die Verhältnisse im eigenen Land, ist mittlerweile Grundton geworden und war immer ein Anzeichen scheiternder Potentaten. Während die Realeinkommen und Beschäftigtenzahlen jeden Monat sinken, sich die Lebenshaltungskosten für die Masse der Ungarn fast stündlich erhöhen (konkrete Beweisführung u.a. in diesem Beitrag), immer neue Steuern erfunden werden und dabei deutlich wird, dass die groß angekündigte Förderung des Mittelstandes als Rückgrat der neuen Nationalökonomie nichts weiter wird als ein Versorgungsprogramm für den Fidesz-Klüngel, jagt die Partei- und Staatsführung eine Jubelmeldung nach der anderen über den Äther, die DDR-Propagandisten posthum wie Wahrheitsfanatiker dastehen lässt: "Ungarn wird das wettbewerbsfähigste Land der Region." - "Bruttolöhne zum dritten Male in Folge gestiegen." - "Mehr Beschäftigte als im Vorjahr". Mehr zur "Gehaltslüge" in diesem Beitrag.

Die EU Gelder gehören Ungarn - von Natur aus...

Neuer Höhepunkt und - drei Tage vor dem Treffen mit Barroso besonders gewagt - ist jedoch die Behauptung: "Das Geld der EU (gemeint die Transferzahlungen) ist unser Geld." Es sei weder ein Geschenk, noch ein Preis. Deshalb werde man auch "nicht einen einzigen Forint" davon verlieren, denn "wir haben ein Recht darauf" und zwar deshalb, weil man 2004 der EU beigetreten ist und damit das Recht Zölle einzuheben aufgegeben habe und (!) Investoren Investitionsmöglichkeiten und Märkte zur Verfügung gestellt habe. Die EU hat sich also bei Ungarn zu bedanken, dass es die Gnade gewährte, sich aufnehmen zu lassen.

Reflexartig möchte man sich vorstellen, wo Ungarn stünde, wenn es 2004 weder das eine getan, noch das andere gelassen hätte und tatsächlich sind die Kohäsionsfonds keine Preisausschreiben für gute Führung. Sie sind Entwicklungsgelder, welche die strukturellen Niveauunterschiede in der Gemeinschaft helfen sollen auszugleichen und das in nicht wenigen Bereiche auch tun. Sie sind aber kein Ersatz für eine eigene Wirtschaftspolitik, kein Notgroschen gegen Steuerausfälle wegen chronischer Sturheit und schon gar keine Selbstbedieungskasse für Matolcys Stümperhaushalt. Letzterer meint weiterhin, die direkte Umleitung von 25% der Fördergelder als Mehrwertsteuer in die Staatskasse sei völlig legitim und sein Land werde der EU bei der anstehenden Berufungsverhandlung eine Lektion erteilen. Im dem Fall lägen "positive Risiken" für Ungarn, so heißt das heute im Orwellschen Neusprech.

Vor allem sind die Gelder jedoch nicht ungarischer Herkunft, das Land erhält Nettotransferleistungen von zuletzt 4,37 Mrd. EUR, sondern Gemeinschaftsgelder, die nach dem Solidarprinzip von den bessergestellten Mitgliedern umverteilt werden, sicher auch im eigenen Interesse, eigentlich aber im gemeinschaftlichen. Das mindeste was die dafür erwarten dürfen, ist die Einhaltung der EU-Verträge, aller EU-Verträge. Ungarn nennt das Erpressung. Die EU lässt sich das nicht mehr bieten. Eigentlich ganz einfach.

Das IWF braucht Ungarn nicht, höchstens als abschreckendes Beispiel

Dass Orbán sich in seiner Nationalbefreiungstheologie vollkommen verrannt hat, ist nicht nur an den niederschmetternden Wirtschafts- und vor allem Haushaltsdaten erkennbar, nicht nur an abstürzenden Umfragewerten ablesbar, sondern wird vor allem von der immer stureren und EU-feindlicheren Argumentation der Regierung bewiesen. Dabei nimmt man in Budapest offenbar auch kommende Milliardenverluste in Kauf, die garantiert eintreten werden, wenn die EU-Verhandlungen scheitern und es deshalb auch keine IWF-Gelder mehr geben wird. Die Multinationenbank (die laut Orbán übrigens auch Ungarn gehört, weil es darin Mitglied ist) kostet es nämlich nur ein Lächeln, Ungarn über die Klinge springen zu lassen, haben sich dort nämlich die Machtverhältnisse deutlich zu Ungunsten Europas verschoben und hat man viel wichtigere Baustellen zu bearbeiten als das kleine störrische Fleckchen am Rande des Balkans, dessen Pleite sogar einen gewünschten erzieherischen Effekt auf andere Kraftmeier haben könnte.

Die Credit Defaults Swaps CDS, also die aus dem Risiko womöglicher Zahlungsausfälle konstruierten Zinausfschläge auf ungarische Staatsanleihen - natürlich ein Produkt des Ostküstenfinanzimperialismus, praktisch des Teufels selbst - "flirten" gerade wieder mit der Grenze von 600 Basispunkten, nachdem sie vor einem Monat noch bei 520, vor der Lehman-Pleite bei 170 und sogarletzten Sommer bei 260 standen. Im Januar dieses Jahres gab es ein Allzeithoch von 750, 130 Punkte über dem Schnitt von 2009. Diese Zahlen belegen, wieviel Vertrauen die Märkte Orbáns Politik entgegenbringen und kosten das Land Milliarden Euro pro Jahr.

Hören und verstehen. Orbán bei Barroso.

Luft und Heimatliebe: Orbáns neue Staatsbank

Nun hat jeder das Recht, das System der internationalisierten Schuldenspiralen, der Kreditvergabe zur Kredittilgung, der Macht der Rating-Agenturen, der spekulativen Angriffe auf Währungen zu verdammen und sogar die Pflicht, so er ein verantwortungsvoller Staatenlenker ist, sich nach gangbaren Alternativen umzusehen. Im Westen tut das niemand, hier wird nur dafür gearbeitet ein in der Grundanlage lebensunfähiges System möglichst lang am Leben zu erhalten. Allein von Luft und Heimatliebe, so wie es Orbán derzeit versucht, wird aber auch keine Wirtschaft gesund. Und solange ein Land noch Schulden hat, muss es, will es nicht die Konsequenzen einer Insolvenz tragen, diese zuerst bezahlen und dazu eben auch in den sauren Apfel beißen und die Spielregeln des "Systems" einhalten. Würde Orbán hier cleverer vorgehen und sich nicht als europäische Chavéz-Kopie aufführen, gelänge ihm das sogar schneller, denn die wirtschaftlichen Basisdaten und die Prognosen stimmen weit weniger hoffnungslos als die aktive Wirtschaftspolitik dieser Regierung.

Neueste Volte: Orbán will nun gleich ganz auf Banken zur Finanzierung der Geschäftswelt verzichten und deren Job in die Hände des Staates übergeben. Die Idee hatte er immer mal angedeutet, mit Banken, das ist dem großen Steuermann an der Donau klar, ist einfach kein Staat zu machen. Kaum belegt man sie mit ein paar Bankensondersteuern (den höchsten in Europa) und streicht ihnen Kreditansprüche gegenüber Hypothekenkunden (Gesamtkosten ca. 2 Mrd. EUR), werden die zickig und vergeben kaum noch Kredite.

Im Zusammenhang mit der 324. Version des "wir werden das wettbewerbsfähgiste Land der Region", kündigte Orbán an, die staatseigene "Entwicklungsbank (MFB) mit einem erneuerten System staatlicher Garantien für Unternehmen" auszustatten. Außerdem soll die Export-Import-Bank "auf eine neue Grundlage gestellt werden" und eine - ebenfalls staatliche - Agro-Bank entstehen. Alles zusammen ergibt dann ein "System der Finanzierung, das unabhängig von Geschäftsbanken" arbeiten soll, sozusagen losgelöst von Raum und Zeit.

Es geht nicht um Befreiung, sondern totale Kontrolle

 

Bevor Altlinke, Globalisierungsgegner und Weltverschwörungsgläubige aufjubeln, ist doch die Forderung nach einer Befreiung aus den Schlingen der internationalen Finanzhaie gemeinsames Anliegen vieler, sei festzuhalten, dass bisher sämtliche Aktionen, bei der in Ungarn der Staatseinfluss erhöht wurde, nicht den Bürgern, sondern nur einer bestimmten Klientel sowie einer Maximierung der Kontrolle über Geld- und Einfluß dienten. Angefangen von der Forex-Ablöse, die nur Besserverdienenden hilft, über die Chipssteuer, die nicht der Gesundheit, sondern der Gesundheitskasse dient, weiter das Shopping-Mall-Verbot, bei dem sich nun mysteriöse Kommissionen die lohnendsten Standorte zuschanzen, statt dem kleinen Händler um die Ecke zu helfen bis hin zum Landkaufmoratorium und der Flat tax, alles reinste Klientelpolitik und Machtzementierung. Nur in der Propaganda geht es um die Befreiung aus einem imaginären Joch, in Wahrheit geht es nur um totale Kontrolle.

Die Banken in Ungarn sind auch schon einiges gewöhnt, sie winken ob solcher Ankündigungen nur noch ab: "Wieder nur warme Worte ohne Substanz", so die allgemeine Einschätzung dieser brillanten Idee, die nur zur Folge haben kann, dass Kredite zukünftig vermehrt nach "nationalstrategischen" Kriterien vergeben werden, einer mindestens ebenso ruinösen Triebfeder wie die Gier. Die Ausfälle bleiben dann zukünftig direkt bei den Steuerzahlern hängen, ohne abschöpfenden Umweg bei den Banken.

So gesehen hat Orbán Recht: Ungarn braucht nicht zuerst einen IWF-Kredit, sondern Ungarns Regierung dringend einen Grundkurs in Volkswirtschaftslehre.

cs-sz, red.

 

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