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(c) Pester Lloyd / 20 - 2012     POLITIK 14.05.2012

 

Weit und breit kein Widerstand

Faschisten marschieren in Ungarn ungestört

Mehrere tausend Neofaschisten und ihre Anhängerschaft demonstrierten am Samstag in der Budapester Innenstadt. Die rechtsextreme, im Parlament vertretene Partei Jobbik, rief zu einem Marsch gegen die Sparpolitik der Regierung auf. Tenor: nur Jobbik vertritt das ungarische Volk, alle anderen sind Verräter. Eine Antifa oder gar bürgerlichen, erst recht staatlichen Widerstand sucht man in Ungarn vergeblich.

“Der MSZP gehört die Vergangenheit, dem Fidesz die Gegenwart, uns gehört die Zukunft!” Mehr Fotos und ein aufschlussreiches Video in der Galerie am Ende des Textes. (c) Pester Lloyd

Etwa 4000 bis 5000 Anhänger und Mitglieder der offen neofaschistischen Partei Jobbik versammelten sich am Samstag zunächst vor der Parteizentrale der oppositionellen Sozialisten (MSZP), wo über eine Stunde lang mehrere Reden gehalten wurden. Der Zug bewegte sich sodann über den abgesperrten Andrássy Boulevard und das Zentrum Budapests bis zur Zentrale der Regierungspartei Fidesz. Während des Marsches wurden verinzelt auftretende kritische Passanten und berichtende Journalisten, u.a. dieser Zeitung, beschimpft und attackiert, eine Gegendemonstration gab es nicht.

Neonazist tricksen Gesetz und Polizei durch Kostümierungscharaden aus

Im Pulk der Demonstranten waren auch zahlreiche Uniformierte, u.a. von der "Neuen Ungarischen Garde" und der "Ungarischen Nationalgarde", jener Nachfolgeorganisationen der verbotenen "Ungarischen Garde", denen uniformierte Aufmärsche eigentlich vom Gesetz her verboten sind und
die regelmäßig in Ortschaften in der Provinz aufmarschieren, um gegen die dortigen Roma zu hetzen und das Gewaltmonopol des Staates in Frage stellen. Die Polizei war nur in sehr bescheidenem Umfang präsent und auch nicht ein.

Während viele Symbole der Pfeilkreuzler (Árpádflagge, Pfeilkreuzsymbole und Adaptionen davon), aber auch Wehrmachtshelme, Phantasieuniformen, Rockeroufits, aber auch Zivil getragen wurde, kleideten sich die mitmarschierenden "Eliten" bewußt bürgerlich, wenn auch gleich, so dass die Polizei keine gesetzliche Handhabe für eine Auflösung hatte. Wieder ein Beweis für die Wirkungslosigkeit des
entsprechenden Anlassgesetzes, das nach den Ereignissen von Gyöngyöspata erschaffen wurde und der Regierung als Beweis für ihren aktiven Kampf gegen den Rechtsextremismus genügt.

Jobbik droht mit baldiger Machtübernahme

In den Reden und auf Transparenten wurden alle Parteien des weiter gefassten demokratischen Spektrums in Ungarn als Volksfeinde beschimpft. Die zentrale Losung lautete: der MSZP gehört die Vergangenheit, dem Fidesz die Gegenwart, uns (Jobbik) gehört die Zukunft. Immer wieder erscholl der Ruf "Für eine bessere Zukunft!" - der Wahlspruch der faschistischen Pfeilkreuzler der 40er Jahre, auch die internationalen "White Pride"-Parolen wurden geschwungen.

Ansonsten gab man sich dezidiert als die "Volkspartei" aus: die Sparpolitik sei gegen das Volk gerichtet, sowohl Ex-Premier Gyurcsány, in gleichem Atemzug auch der heutige Regierungschef Orbán wurden als Diktatoren und "Verbrecher am ungarischen Volk" bezeichnet, wiederum wurde der Austritt aus der EU, der Abbruch der Verhandlungen mit dem IWF und dem "internationalen Finanzkapital" (antisemitischer Code) gefordert, eine zentrale Rolle spielt auch das Thema "Großungarn", am Rande wiederholte man die Ankündigung, gegen die "ausufernde Zigeunerkriminalität", die man mit dem faschistischen Terror und dem Holocaust (diesmal am Magyarentum) gleichsetzte, eine "landesweite Nationalgarde" zu errichten.

Abgrenzung der Regierungspartei nur halbherzig und taktisch geprägt

Jobbik und seine heterogene Anhängerschaft von bürgerlich bis offen neofaschistisch reklamierte mit dieser Demo - wie zuvor schon
mit einer mehrtägigen “Maifeier” - wieder die Hoheit über die Straße und radikalisiert sich mit der Totalopposition weiter, wobei man ausnutzt, dass sich Premier Orbán wegen der IWF-Verhandlung auf Kompromisse gegenüber der EU einlassen musste. Zwar fischt das Fidesz mit seiner Law-and-Order-Politik sowie einem stramm nationalistischen Kurs auch in der Anhängerschaft des Fidesz, kann aber die konservative "Mitte" nicht außer acht lassen, wovon die Neofaschisten profitieren.

Zwar grenzen sich die Fidesz-Politiker verbal stets von den extremistischen Äußerungen Jobbiks ab, in der Provinz nimmt die offene oder verdeckte Kooperation zwischen Vertretern beider Parteien aber immer mehr zu. Jobbik und die "Garden" wurden noch unter der MSZP-Regierung groß, der Fidesz benutzte deren Themen jedoch aktiv, um die Spaltung der Gesellschaft zum Zwecke der eigenen Machtsicherung voranzutreiben.

Keine Rede von Verboten, keine Spur von Gegenwehr

Jobbik vertritt offen umstürzlerische, menschenverachtende und verfassungsfeindliche Ziele, doch ein Verbotsverfahren kommt für die Regierungsparteien - aus taktischen Überlegungen - nicht in Frage, auch, weil die Ideologie erst recht das Geschichstbild (
hier mehr zum Geschichtsrevisionismus, zweiter Abschnitt), die in punkto "Nation", nicht weit von der der Regierungspartei entfernt ist, sich mittlerweile tief in der Bevölkerung verfestigt hat. Auch Anti-EU-Hetze und Antisemitismus findet bei den Anhängern beider Parteien Schnittmengen, wie nicht zuletzt auf den Pro-Regierungsdemos ersichtlich wurde, ein Fidesz-Gründungsmitglied und persönlicher Orbán-Freund agiert als “ausgezeichneter” und offen antisemitischer Hassprediger.

Fidesz beschäftigt sich lieber mit der Aufarbeitung der "kommunistischen Vergangenheit" als mit den Gefahren des Neofaschismus in der Gegenwart. Aktuell geschieht das u.a. durch Einsetzung eines Parlamentsausschusses zur Aufarbeitung der stalinistischen und poststalinistischen Ära, der exklusiven Zugang, zu sonst verschlossenen Stasiakten erhält und "Verantwortliche aufdecken und benennen" soll. Auch andere Gesetze und Maßnahmen, wie unter anderem das “Sozialistengesetz” dienen der Konstruktion eines selektiven Feindbildes, während gleichzeitig Horthy-Ära, Großungarn und Ständestaat romantisiert und verklärt werden. Einen Ausschuss für die Aufdeckung von staatsfeindlichen und menschenrechtswidrigen Umtrieben heute gibt es jedenfalls nicht. Die Gerichte bleiben passiv. Für Fidesz und seine Anhänger steht der Feind offenbar ausschließlich links, hier wäre ein Schulterschluss über die Parteien geradezu eine staatsbürgerliche Pflicht, vom neuen Präsidenten war dazu auch noch nichts zu hören.

Beschämend ist auch die Passivität der Bürger, der zersplitterten ungarischen Zivilgesellschaft sowie der (auch internationalen) Antifa. In anderen Städten Europas wäre ein ungestörter Aufmarsch tausender Neofaschisten undenkbar, eine geschlossene Gegenaktion (Beispiele Dresden, Berlin) aller Demokraten oder zumindest einer sichtbaren Gegenkraft geradezu selbstverständlich. In Budapest gibt es lediglich das Ritual des "Marsch des Lebens" am Holocaust-Gedenktag, mehr nicht.

Vielleicht wäre es auch für die Antifa-Bewegungen in Deutschland und anderswo überlegenswert, ihren "Internationalismus" einmal praktisch auszuleben, anstatt nur daheim ein paar Bankfilialen zu "entglasen". Immerhin erscheinen alljährlich busweise Demotouristen, wenn es bei der Gay Pride um den Kampf gegen Homophobie geht, das sollte doch auch im Kampf gegen den allgemeinen Faschismus möglich sein...

pk / red.

Faschismus als Normalität - Fotos und Video zur Demo vom Samstag (c) Pester Lloyd

 

Das Video unseres Vor-Ort-Reporters zeigt den Demonstrationszug und die ganze gesellschaftliche Breite der Teilnehmer, es zeigt auch, wie der Berichterstatter von einem Ordner beschimpft und bedroht wird.

“Gardisten” mit dem Symbol der faschistischen Pfeilkreuzler am Shirt auf dem Weg zur Demo. Auch in Budapest heute ganz normaler Teil des Stadtbildes, in der Provinz sowieso schon länger.

Aufmarsch vor der Parteizentrale der “Sozialisten”.

”Viktor auch Du hast es `verfickt`...” Anspielung auf die Lügenrede von Premier Orbáns Vorvorgänger Gyurcsány, in der er systematische Lügen gegenüber dem Volk zugab, um an der Macht zu bleiben. Nach Ansichts Jobbiks ist Orbán von gleicher Sorte...

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Wehrmachtshelm, T-Shirts mit diversen Parolen, aber auch “ganz normale” Bürger

Ungarns “bessere Zukunft”?

Ein einzelner Mittelfinger als Gegendemonstration. Die Frau wurde anschließend beschimpft und mit der Spitze einer Fahnenstange bedroht.

Sonntagsstaat oder Uniform? Jobbik und seine Garden narren die Polizei jedes Mal aufs Neue, “uniformierte Aufmärsche sind verboten”, sagt das Gesetz, doch was eine Uniform und ab wann etwas ein “Marsch” ist, ist nicht so klar definiert. Die Gerichte neigen eher zur Verteidiung der Versammlungsfreiheit. Ob die das unter einer Jobbikregierung auch noch dürften...

Der Demozug zog sich in die Länge, “Unser ist die Zukunft” heißt die unverholene Drohung. In Umfragen erreicht die Partei Jobbik, die derzeit mit 14,7% der Stimmen im Parlament sitzt, Wert von bis zu 25% und hat teilweise die MSZP als größte Oppositionskraft abgelöst. Jobbik stellt schon heute mehrere Bürgermeister. Wie sich das Leben unter diesen gestaltet, kann hier nachgelesen werden.

Jobbik organisierte Busse, um auch Anhänger aus der Provinz heranzukarren. Der Busunternehmer wirbt übrigens per Aufschrift auf dem Fahrzeug auch für Reisen in die Türkei, nach Marokko und in mehrere EU-Ziele. Vielleicht sollte man dessen Vertragspartner dort mal über seine einheimischen “Frachtfahrten” informieren?

 

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