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(c) Pester Lloyd / 10 - 2013   GESELLSCHAFT 07.03.2013

 

Der Bock wird Gärtner

Sozialhilfestreichung für Schulschwänzen und “schmutzige” Gärten in Ungarn

Per Dekret hat der ungarische Innenminister die Bedingungen der "Kommunalen Beschäftigungsprogramme" (Közmunka) verschärft. Danach sollen Eltern von Kindern, die nicht regelmäßig die Schule besuchen, bis zu drei Monate von dem Programm ausgeschlossen werden. Das gleiche soll für Familien gelten, die ihre "Gärten und Vorgärten nicht in Ordnung halten".

Überwacht werden soll die "Ordnungsmäßigkeit" von den Gemeindenotaren bzw. durch von ihnen beauftragte "Verantwortliche". Diese melden die "Vorfälle" dem Arbeitsamt, die daraufhin die Mittel streichen können.

Schon heute können Teilnehmer an den unter dem "gesetzlichen" Mindestlohn entlohnten Programmen, bei Nichtzufriedenheit des Aufsichtspersonals von drei Monaten bis zwei Jahren gesperrt und damit ganz von jeder staatlichen Leistung ausgeschlossen werden. Die Kriterien dafür sind sehr dehnbar und wurden, wie der ehemalige Ombudsmann für Minderheitenrechte aufzeichnete, nicht selten rassistisch disikriminierend angewandt. http://www.pesterlloyd.net/2012_05/05kallaibericht/05kallaibericht.html

Auch die neue Maßahme ist im wesentlichen auf arme Romafamilien gemünzt, bei deren Kindern die Fehlquote in der Schule oft höher ist als im Schnitt. Sehr oft durch asozialisierte Teilnahmslosigkeit, nicht selten jedoch auch durch bewusst betriebene Segregation an den Schulen. Allerdings stellt sich die Frage, was mit der Maßnahme bewirkt werden soll, denn dadurch verlieren die Betroffenen einfach nur Geld (28.000 HUF Sozialhilfe + rund 20.000 durch Közmunka), woraus sich nicht erschließt, wie das die Motivation erhöhen soll, die Kinder zur Schule zu schicken. Schon eher ist das ein Anreiz, selbst in die Schwarzarbeit zu gehen und die Kinder zur "Beschaffung" zu animieren. Dass das Problem des Schulschwänzens bei Roma ein grundsätzliches und ungelöstes ist, daran besteht kein Zweifel, jedoch erscheint es absurd, die Lösung über das "Innenministerium", das ja im wesentlichen Polizeiaufgaben wahrnimmt, zu versuchen.

Die Maßnahme mit den geputzten Gärten hingegen ist ein reiner Willkürakt, dessen Auswirkungen bereits aus dem bekannten Ort Gyöngyöspata dokumentiert wurden. Dort ist der Dorfnotar des Jobbik-Bürgermeisters mit ein paar Angehörigen der rechtsradikalen "Bürgerwehr" mehrfach unangemeldet in den Wohnungen von Roma-Familien aufgetaucht, hat die Anwesenden und deren Besitz ohne deren Einverständnis filmen und fotografieren lassen, Anweisungen erteilt und Strafen verhängt. Teilweise waren die gleichen Personen daran beteiligt, die auch bei der Übernahme der Polizeigewalt in der dortigen Romasiedlung mit dabei waren, man hat den Bock also zum Gärtner gemacht. Der vom Innenminister nun angewiesene Eintritt in die Privatsphäre der Menschen ist auch nicht von der Verfassung gedeckt.

 

Ein Verständnis dafür, dass Zivilisiertheit, Ordnung und Hygiene in einem unmittelbaren Zusammenhang mit Bildung, Respekt und einem adäquaten materiellen Auskommen stehen - wobei dann, aber erst dann die Durchsetzung durchaus sanktionierbar sein muss -, ist von den Law-and-Order-Strategen um Minister Pintér nicht zu erwarten. Den Beifall der "weißen" Einwohner bekommen sie gleichwohl. Fidesz-Sprecher Máté Kocsis "unterstützt" im Namen seiner Partei die Vorschläge. Dass die Közmunka nur als Vorwand für die "Deckel-drauf"-Aufsichtspolitik der Fidesz-Regierung als Ersatz für eine tatsächliche "nationale Romastrategie" dient, wurde durch die neuesten Verschärfungen nachgewiesen.

Mehr zur Bilanz und den Umständen der Közmunka
http://www.pesterlloyd.net/html/1307kozmunkalohnkurzung.html

 

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