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(c) Pester Lloyd / 19 - 2013   POLITIK 06.05.2013

 

Mit gesenktem Haupt und gespaltener Zunge

Rede vor WJC: Orbán schiebt Schuld am Antisemitismus in Ungarn auf Europa ab

Der Jüdische Weltkongress bedauert, dass Orbán sich dem Antisemitismus-Problem in Ungarn nicht wirklich stellte und eine eindeutige Abgrenzung zur extremten Rechten vermied. Tatsächlich hat Orbán in seiner Rede zwar ein vollmundiges Bekenntnis gegen Antisemitismus abgelegt, es aber mit Relativierungen und Auslassungen gleichzeitig so abgeschwächt, dass sich seine Anhängerschaft weiter nicht angesprochen fühlen muss. Orbáns Rede muss als gescheitert betrachten werden.

Bei seiner Rede zur Eröffnung des Jüdischen Weltkongresses am Sonntag, nannte Ministerpräsident Orbán seine Regierung zu einer "Null-Toleranz-Politik gegen Antisemitismus verpflichtet" und zählte als zentrale Errungenschaften dabei das offizielle Erinnerungsjahr an Raoul Wallenberg 2012, die Installation eines Holocaust Gedenkkomitees für die Feierlichkeiten zum 70. Jahrestag 2014 sowie die Einführung eines offiziellen Gedenktages für die Holocaustopfer auf. Damit komme seine "christlich, demokratische Regierung ihrer moralischen Verpflichtung" nach.

Zudem würde die Verfassung "echten Schutz, Sicherheit, menschliche Würde" für "die Juden, die mit uns leben (Anm.: laut der neuen ung. Verfassung sind Minderheiten zwar `staatsbildender Teil` Ungarns nicht aber `Teil der Nation`) und allen anderen Minderheiten" bieten. Antisemitismus sei im übrigen "überall in Europa im wachsen" und es liege an dem "verfehlten Krisenmanagement der europäischen Führer", (Anm.: "Europas Krisen" sind für Orbán auch an allen Problemen in Ungarn Schuld), dass "ernsthafte Frustrationen" entstehen, "die Desillusionierung voranschreitet und Wut und Hass steigen". In "einer solchen Situation ist es besonders wichtig, klar zu machen, dass Antisemitismus inakzeptabel und nicht tolerierbar ist."

Mit dem Christenkreuz gegen den Antisemitismus?

Antisemitismus entsteht, so Orbán, wenn "das Böse die Menschen übermannt", eine "Gefahr, die sogar (!, Anm.) uns Christen erreicht". Und "wir wissen, dass es schlechte Christen und schlechte Ungarn in der Geschichte gab, die schwere Verbrechen begangen haben." Die Antwort der Regierung auf "wachsenden Antisemitismus ist die Stärkung der Traditionen der guten Christen." so Orbán. (Anm: die christlichen Werte dienen Orbán, in Ermangelung zeitgemäßer Politkonzepte, seit längerem als Standardrezept gegen die "Krisen Europas", das an einem schädlichen Liberalismus erkrankt sei). Ungarn sei "ein freies Land und seine Gäste haben hier das Recht, die Aufmerksamkeit auf alles zu richten, was sie beunruhigt." Daher danke er den Teilnehmern des WJC, auf den wachsenden Antisemitismus hingewiesen zu haben.

"Wir brauchen jedermanns Hilfe und Einheit, um die Ausbreitung von Hassrede (Hetze) zu unterbinden." Orbán rief "die Länder, in denen der Antisemitismus das Leben von Schulkindern kostete und Bombenanschläge auf Synagogen stattfanden (ein Hinweis darauf, dass es anderswo viel schlimmer sei, Anm.), auf, ihre Erfahrungen mit Ungarn zu teilen, damit in unserem Land so etwas nicht auch passieren kann." Den Opfern, die der Antisemitismus im eigenen Land gefordert hatte, "gedenken wir mit gebrochenem Herzen und gesenktem Haupt und danken Gott dafür, dass trotz der Nazi- und Pfeilkreuzler-Zerstörungen, hier ein authentisches jüdisches Leben und eine Gemeinde überleben konnte." Die Rede wurde mit Zwischenapplaus und Anstandsbeifall am Ende aufgenommen, einige Vertreter von WJC-Jugendorganisationen verweigerten jedoch jede Beifallsbekundung.

Die heutige Generation der Ungarn ist "eine Generation von Freiheitskämfpern. Es gibt keine Freiheit ohne menschliche Würde, die heutige Generation in Ungarn wird nicht tolerieren, dass irgendjemand in seiner Würde verletzt wird", sei es wegen seiner Herkunft oder seiner Religion, schloss der Ministerpräsident Ungarns.

Feldmajer: die Regierung schreibt den Holocaust und gleichzeitig Antisemiten in den Schullehrplan

Der Chef der Vereinigung der Jüdischen Gemeinden in Ungarn, Péter Feldmajer, erwiderte, dass die Mahnung die von den Opfern des Holocauts ausgehe, am Leben erhalten werden müsse und er lobte die Einführung eines nationalen Gedenktages, ergänzte aber, dass die ungarischen Juden "gleichzeitig mit Ideen und Handlungen konfrontiert sind, die an das Mittelalter und die Nazizeit" erinnern. Feldmajer lobte, dass die Geschichte dese Holocaust (endlich) im nationalen Rahmenlehrplan für die Pflichtschulen aufgenommen wurde, bedauerte aber, dass in dem gleichen Lehrplan die "Werke von ungarischen Nazi-Poeten" angepriesen werde. "Straßen und Plätze werden nach bekannten Antisemiten benannt, Rabbis und andere Mitglieder jüdischer Gemeinden auf offener Straße angegriffen", so Feldmajer. Die ungarischen Juden könnten "friedlich in Ungarn leben, wenn nicht die hasserfüllten Stimmen einer Minderheit, die Stimmen der Mehrheit übertönen" können.

WJC: Orbán zu unkonkret und zu unverbindlich

Bereits vor dem Eröffnungsdinner, bei dem neben ungarischen Ministern und anderen Amts- und Würdenträgern auch die Spitzen der Oppositionparteien (natürlich außer Jobbik) anwesend waren, darunter auch die Ex-Premiers Gyurcsány und Bajnai, trafen sich Orbán und WJC-Präsident Lauder zu einem persönlichen Gespräch. Lauder forderte, dass Orbán seinen Landsleuten noch klarer machen müsse, dass "Intoleranz nicht toleriert" werde. Dazu gehöre auch eine klare Abgrenzung von der Partei Jobbik, die er nicht nur wegen ihres Antisemitismus`, sondern auch wegen ihrer Hetzreden gegen Roma als "schädlich für die Reputation Ungarns" bezeichnete.

 

In einer offiziellen Stellungnahme nach der Rede Orbán dankte das Präsidium des WJC Orbán zwar für sein Statement, kritisierte es aber auch deutlich, weil "der Premier sich nicht mit der wahren Natur des Problems konfrontieren" mochte: nämlich "der Gefahr, die von Antisemitismus allgemein und von der Partei Jobbik im Speziellen ausgeht". "Wir bedauern, dass Premier Orbán weder Bezug auf die aktuell geschehenen antisemitischen und rassistischen Vorfälle im Lande genommen hat, noch eine klare Trennlinie zwischen seiner Regierung und der extremen Rechten zog."

Der WJC sprach damit - indirekt, aber vernehmbar - auch die antisemitischen Ausfälle und Fehltritte in der Regierungspartei und ihrem Umfeld sowie auch das wahltaktische Kalkül gegenüber der Jobbik-Anhängerschaft an,
beides erläuterten wir in unserem Vorbericht “Schaukelpolitik 2.0” ausführlich, der darstellt, dass der Antisemitismus in Ungarn tatsächlich nicht stärker als in vielen anderen Ländern Europas, hier jedoch vernehm- und spürbarer ist, auch, weil Orbán in der Tagespolitik mit dem rechten Rand taktiert und klakuliert, so wie er es auch in seiner insgesamt gescheiterten Rede vor dem WJC tat.

Orbáns Rede im Wortlaut (englische Übersetzung) auf der Webseite der Regierung
http://www.kormany.hu/en/prime-minister-s-office/the-prime-ministers-speeches/spee ch-by-viktor-orban-at-the-14th-plenary-assembly-of-the-world-jewish-congress

Rede des deutschen Außenministers Guido Westerwelle beim WJC am Montag (englisch, pdf)

red. / m.s.

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