Hauptmenü

 

Das Pester Lloyd Archiv ab 1854

Ost-West-Drehscheibe
Pester Lloyd Stellenmarkt

 

 

(c) Pester Lloyd / 05 - 2015   POLITIK   27.01.2015

 

Wieviel Orbán steckt in Tsipras? Ungarische Reaktionen zur Wahl in Griechenland

Auch wenn sich Premier Orbán dem Endkampf gegen die europäische Linke verschrieben hat und sich bereits brüstete, selbige in Ungarn "endgültig beseitigt" zu haben, überwiegt bei der Regierungspartei Fidesz die klammheimliche Freude darüber, dass im orthodoxen Griechenland ein mit "unorthodoxen" Lösungen angetretener Politiker den Big Playern in der EU die Stirn bieten will. Die extreme Rechte jubelt, die Linken und Liberalen machen, was sie am besten können: sie sind konfus.

 

Ob Alexis Tsipras sich jedoch auf diese Weise mit Orbán vergleichen lassen will, sei dahingestellt. Die Regierungsblätter sind seit Sonntag voll von "Siehste!"-Kommentaren in Richtung Brüssel und werden nicht müde, Orbán in eine Reihe mit dem griechischen Revoluzzer zu stellen. Dass zwischen beiden - politisch und charakterlich - keine Welten, sondern Universen und Epochen liegen könnten, wird vom Selbstbild Orbáns als Volkstribun überstrahlt, der sich in seinem vorseherischen Wahn überhaupt nicht vorstellen kann, dass jemand tatsächlich das Volk - und zwar das ganze - in den Mittelpunkt seiner politischen Bemühungen stellen könnte, anstatt es einfach inflationär zu behaupten und dann das Gegenteil davon zu tun. Das hat er ürbigens mit den meisten Führern der Nationen gemeinsam, die er immer so gern kritisiert.

Immerhin haben Griechenland und Ungarn gemeinsam, dass sie auf Kosten der EU leben. Während aber die Milliardenhilfen für Griechenland an die überwiegend ausländischen Schuldner (Banken) fließen, landen die EU-Milliarden für Ungarn (in diesem Jahr 7,5% des BIP) immer häufiger in den Taschen einer neuen (wie der alten) Nomenklatura. Doch genau die, also auch die griechischen Orbáns, haben die Griechen nun eigentlich auch abgewählt.

Beim Volk kam und kommt hier wie dort von den EU-Geldern kaum etwas an. So kommt es, dass Ungarn mit dem "dritthöchsten Wachstum in der EU" und Griechenland mit 177% Staatsverschuldung, die Länder sind, in denen die Armut am schnellsten wächst, wie Eurostat feststellte. Ansonsten teilt man das Schicksal, ein EU-Außengrenzen- und damit Tranistland für den anschwellenden Flüchtlingsstrom zu sein. Doch auch hier stellt sich die Frage, ob mit Tsipras eine derart menschenverachtende Anti-Flüchtlingsrhetorik und -politik machbar sein wird, wie sie Ungarn derzeit
mit großem Gebrüll angeht. Mit dessen rechtspopulistischem Koalitionspartner sieht das natürlich schon anders aus.

Die ungarischen Reaktionen auf den Wahlsieg der Syriza am Sonntag unterscheiden sich insgesamt kaum von jenen überall in Europa, wobei die linke und ganze rechte Opposition lauthals jubelt und Hoffnungen für das Erstarken ihrer Ideen in die Links-Rechts-Koalition projiziert, während die "Mitte" von neoliberal bis konservativ mahnt, man solle sich an die EU-Regeln halten, lies: die Schulden bedienen und das schäbige Spiel weiter mitspielen. Wes Brot ich ess´, des´ Lied ich sing´. An einen Paradigmenwechsel oder gar eine europäische Bürgerrevolution glauben indes die wenigsten Beobachter. Angesichts dessen, was hie und da auch alles "das Volk" zu sein vorgibt, ist das vielleicht vorerst auch besser so.

Die linksliberale Népszabadság erwähnte immerhin noch, dass Ungarn (Staat und einige Banken) auch zu den Gläubigern Griechenlands gehöre, es also schon auch für das Land eine Rolle spiele, wie sich die Dinge entwickeln und ob und wie in Zukunft Hilfsgelder an das Land (bzw. an dessen Gläubiger) fließen oder eben nicht.

Bei einem Aufenthalt in Ankara meldete sich Ungarns Außenminister Péter Szijjártó, Fidesz, mit den sehr vorsichtigen Worten, dass es "Unsere generelle Einstellung ist, die demokratsiche Entscheidung der Bürger anderer Staaten zu respektieren." (lies: was die EU-Linken im Falle Ungarns nicht täten). Mit Griechenland wolle man "effiziente, pragmatische" Beziehungen, da "man zusammen einige wichtige, internationale Herausfoderungen bewältigen" müsse.

Die neonazistische Jobbik, erfreut über alles, was die EU schwächen könnte, sieht ein "Warnzeichen an Europas Eliten und die Mächte, denen sie dienen", die damit aufhören sollten "ärmere Länder in Kolonien zu degradieren". Die Interessen der "Finanziers" (lies: jüdische Weltverschwörung) könne man nicht länger über die "Interessen der Menschen" stellen, das "Scheitern der etablierten Parteien" in Griechenland sei dafür ein Beleg.

 

Ein Schluss, dem sich die Linken weitgehend anschließen und auch die eher ins national-liberal tendierende LMP (Grüne) findet, dass "nur systemkritische Parteien erfolgreich für eine echte nationale Souveränität kämpfen" können, wenn die Regierungen in "die Fallen neoliberaler Wirtschaftspolitik tappen". Eine solche links-neoliberale Partei ist die "Együtt", gegründet und verlassen von Ex-Premier Bajnai, der in Ungarn damals 2008/09 mit Müh´ und Not, also mit IWF und Brüssel, das Schlimmste in Ungarn verhinderte - oder vielleicht nur verschob. Deren Sprecherin meint, dass nur "nachhaltiges Wachstum" Erfolge bringen könne, nicht aber "populistische Rhetorik gegen Sparpolitik".

Die einst mit "Együtt" verbundenen und sich von der LMP abgespalteten "Dialog für Ungarn" sehen hingegen im Erfolg der Syriza eine "Hoffnung, von extremer Sparpolitik entfliehen zu können". Die Konfusion gegenüber den Perspektiven für das eigene Land, setzt sich in der Haltung zu Griechenland also fort, immerhin eine Konstante der demokratischen Opposition in Ungarn, wo man eine Bewegung wie Syriza - oder Podemos! in Spanien - zwar dringend bräuchte, aber schlicht nicht zu Stande bringt.

red. / cs.sz.

Der Pester Lloyd bittet Sie um Unterstützung.

 

 

 

 

 

Effizient werben im
Pester Lloyd!
Mehr.

Unterstützen Sie den Pester Lloyd!