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(c) PESTER LLOYD / 2009 / feuilleton / 155 Jahre Pester Lloyd / Übersicht
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Mein Großvater, der Graf und der Pester Lloyd

Von Boris Kálnoky

Mein Großvater, Graf Hugó Kálnoky, lebte ein kurzes, herumgeworfenes Leben, ein Spielball der historischen Umwälzungen seiner Zeit. Geboren 1900, pünktlich zu Beginn des schrecklichen 20. Jahrhunderts; volljährig pünktlich zum Zusammenbruch der Monarchie, 1918. Sein Vater, Graf Hugo Leopold Kálnoky (ein legendärer Reiter und Pionier der k.u.k Ballonfahrt) war der Bruder des langjährigen k.u.k-Außenministers, Graf Gustav Kálnoky. Obwohl die Familie drei große Güter in Mähren und der heutigen Slowakei besaß, blieb Hugó als jüngster Sohn unberücksichtigt.

In der "guten alten Zeit" hätte er als Offizier oder Bürokrat der Krone dienen können, aber die Monarchie war zusammengebrochen. So ging er nach Siebenbürgen, wo er das kleine, mittlerweile größtenteils enteignete "Stammgut" der Familie im Széklerland übernahm. Leben konnte er davon nicht, und zu seinen Versuchen, Geld zu verdienen, gehörte gelegentlicher Journalismus. Im PESTER LLOYD veröffentlichte er 1933 ein Stückchen über den "Tag der 1000 Székler Mädchen". Er wollte 1934 um die Welt fliegen in einer kleinen Maschine, und für den Lloyd von seinen Abenteuern unterwegs berichten. Daraus wurde nichts: Er wollte von Berlin aus starten, aber nach langem Hinhalten ließen ihn die Nazis nicht fliegen. Grund: Ausländer.

Hugó war nach dem Krieg tschechischer Staatsbürger und dann, in Rumänien, wahrscheinlich staatenlos geworden. Während seines Deutschland-Aufenthaltes begann er sich politisch zu engagieren. Schon 1933 schrieb er einem Freund, über die Nazis müsse man "wagen, zu wissen: Wenn es so weiter geht, ist es das Ende". Im "Lloyd" prophezeite er 1934 in einem Beitrag "Krankheit der Zeit" (siehe Text in dieser Ausgabe) den kommenden nächsten Weltkrieg.

Hugó war marginal in der "Legitimisten"- Bewegung aktiv, er hielt eine Restauration der Monarchie für den besten Schutz vor Nazi-Deutschland. Er kehrte bald nach Siebenbürgen zurück, heiratete, und wertete alldieweil für den "Lloyd" rumänische Medien aus. Wahrscheinlich deswegen, weil man ihn für einen ungarischen Spion hielt, wurde er 1938 des Landes verwiesen.

Er ging völlig mittellos nach Budapest und begann, in der Lloyd-Redaktion zu arbeiten. Ich habe nur einen gedruckten Artikel aus dieser Zeit, "Es geht um Europa", kurz nach Kriegsausbruch 1939. Er war befreundet mit Außenminister Pál Teleki und dessen Familie, und blieb stets ein ausgesprochener Gegner der Nationalsozialisten. Als die Deutschen 1944 einmarschieren, kam sofort die Gestapo in seine Wohnung, aber nur seine Frau war anwesend.

Noch am selben Tag nahm die Familie Zuflucht bei Bischof Vilmos Apor in Gyôr, ein alter Freund aus Siebenbürger Zeiten. Hugó war im Keller der Bischofsburg, als Apor vor dessen Eingang von russischen Soldaten ermordet wurde.

Er ging danach (zu Fuß) nach Budapest, wo er in den folgenden zwei Jahren erwog, eine Funktion in der Kleinbauernpartei zu übernehmen. Hugó ließ sich dann aber doch lieber nach Österreich entsenden als Rotkreuzbeauftragter für ungarische Flüchtlinge. Seine Frau Ingeborg Kálnoky hatte unterdessen die Leitung des "Zeugenhauses" bei den Nürnberger Prozessen übernommen. 1949 wanderte die Familie in die USA aus, wo Hugó 1955 starb.

Heute lebt ein Teil der Familie wieder in Siebenbürgen: Mein Bruder Tibor Kálnoky hat das Stammgut bei Köröspatak zurückerhalten. Über das Leben meines Großvaters – und über die Geschichte der Familie Kálnoky – ist ein Buch in Vorbereitung, dass voraussichtlich Ende 2009 im Droemer-Knaur Verlag erscheinen soll.

* Boris Kálnoky ist Istanbul-Korrespondent der Zeitung "Die Welt"

 

Krankheit der Zeit

Von Hugo Graf Kalnoky

1934

In der guten alten Zeit vor dem Kriege (sie war schon gut, diese Zeit, wenn auch gar nicht so gut, wie sie uns vergangenheitsferne Gegenwartsträume vorgaukeln wollen - nur: Man lachte damals weniger laut und vielleicht auch ein bisschen weniger krampfhaft als heute, und lächelte dafür öfter und leichter - ), in der guten alten Zeit also wurden in Stadt und Dorf die Häuser am Landesfeiertag festlich beflaggt. Etwa auch zum Geburtstag des Landesfürsten. Also ein bis zweimal im Jahre. Doch wie in allem, so hat auch hier der Krieg gründlich Wandel geschaffen: Feindliche Festungen und Städte wurden erobert, Schlachten gewonnen, und ein jeder dieser Teilsiege lockte Freudenfahnen vor die Häuserfronten. Bis schliesslich der grosse graue Unglückstag kam und die Fahnen verschwanden? Nein, die Fahnen blieben, nur die Farben änderten sich! Keiner, der sie gesehen, wird je die blutrote Synchromie vergessen, die Orgie in Purpur und Scharlach, die in jenen Tagen des Schreckens schauerlich schön auflohte.

Und dann kamen 15 Jahre allgemeiner Not: Umsturz, Inflation, Wirtschaftskrise und deren Folgen. Staatliche Ämter wurden geschaffen, die durch die Lupe der Statistik den jeweiligen Verlauf der Elendskurve verfolgen. Den Chronometer in der Hand, fühlen sie der todkranken Welt den Puls, und veröffentlichen allmonatlich ihre Bulletins.

Die Blutprobe der Handelsbilanz ist wieder positiv, die Nahrungsaufnahme des Index steigt, das Fieber der Arbeitslosigkeit ist im Abflauen... und die Not, die Armut bleibt! Aber das sagen sie freilich nicht laut. Die Operation ist gelungen, der Kranke liegt im Sterben... Und Fahnen wehen! In allen Städten der Welt, beinahe an jedem Sonn- und Feiertage! Vielleicht nicht immer spontan, nicht ganz so freudig wie einst... aber immer und überall wird irgendein Fest gefeiert, und der schöne Brauch des Fahnenhissens ward zur Pflicht des Bürgers . (Wie ich höre, soll es Fachleute geben, die den Beweggrund, den Anlass und die tiefere Ursache einer jeden solchen Feier pünktlich und genau anzugeben vermögen; im Vertrauen: Ich kann nicht recht daran glauben. Das müssten ja wahre Gedächtnisriesen sein!)

Aber wie dem auch sei: Fahnen wehen von den Dächern, Musik erklingt, und zu den strammen Weisen flotter Märsche marschiert Mann, Weib und Kind im gleichen Schritt und Tritt.

Freilich, es gibt schon Unterschiede. Da ist zum Beispiel die Farbe der Hemden. (Auch diese heute allerorts beliebte Hemdenmode ist ein typisches Krankheitsymptom unserer Zeit!) Jeder Regenbogen muss sich ja seiner Blässe schämen, wenn er sich Sonntags über die Buntheit einer Welt marschierender Hemden wölbt! Aber das weiss er auch, der Regenbogen, und unterläßt daher sein Erscheinen an solchen Tagen lieber ganz. Seit sich nämlich an Sonn- und Feiertagen die Menschen an der Pracht greller Fahnen und festlicher Aufzüge berauschen, hat der Heilige Petrus Mitleid mit den Armen und schenkt ihnen immer Kaiserwetter zu ihren Festen!

Es soll einmal eine Zeit gegeben haben, in der Sonntags jeder ein Huhn im Topfe hatte. In dieser Beziehung gibt es heute für die meisten wohl nur mehr Wochentage. Für sie ist nun auch der Sonntag zum Werktag degradiert. Aber selbst der Name Werktag hat vielfach seinen Sinn verloren: werklose Tage ohne die geringste Verdienstmöglichkeit sind für viele zum Alltag geworden! Zwar erscheinen die buntesten Fahnen grau, wenn hungrige Augen sie betrachten. Aber dennoch: Fahnen wehen! Durch beflaggte Strassen werden sie getragen, und wo etwas Buntes voranweht, da folgen freudig farbige Hemdenträger nach. Verschieden die Farben in jedem Land. Aber überall wird marschiert.

Wozu, wohin - ? Meist weiss man nur, oder glaubt zu wissen, für wen oder was man so stramm einherzieht. Meist geht es - vorläufig noch - zu irgendeinem Festplatz, und wieder zurück zum Ausgangspunkt. Im Kreise also sozusagen. In der Quadratur des Kreises, den andere ziehen, die man nicht sieht... Die wissen schon, wohin man marschiert, marschieren wird, (der)einst, vielleicht, bald. Die freuen sich der mutigen Marschklänge, feuen sich heimlich des Gleichschritts der Massen und der farbenfrohen Fahnen. Sie wissen: Wo so emsig marschiert wird, genügt bald Fahnenschmuck und Musik nicht mehr. Hände, die leer im Marschtakte schwenken, sind für Waffen empfänglich. Waffen aber heben das Selbstgefühl ihrer Träger, geben ihrem Tritt einen festen, ehernen Klang! Und sie, die verlogenen Drahtzieher, wissen auch: Menschenmassen, die allsonntäglich im Kreise marschieren, (im Kreise der Krise, wenn das Wort erlaubt ist), bekommen diesen Kreislauf bald satt. Sie wollen endlich hinaus, wollen ein Ziel! Sie sollen es haben. Einmal - vielleicht bald - soll den verschiedenfarbigen Hemdenträgern Gelegenheit werden, einander von Angesicht zu Angesicht zu sehen, Aug' in Aug und Zahn um Zahn! Dann freilich werden alle bunten Uniformen wieder grau und gleich, und rot, blutrot allein ist wieder Trumpf!

Die einfache Unterschrift unter einen harmlosen Geschäftsvertrag, eine telefonische Weisung jener Heimlichen genügt ja, und im donnernden Maschinen formt sich Stahl zu Gewehren und Geschützen, fügt sich Teil zu Teil, und wird zum furchtbaren Fertigfabrikat, zu Tanks und Bombenflugzeugen; in blitzblanken Laboratorien mengen sich Elemente zu Giftgasen und Sprengstoffen, damit ein Sinn und ein Zweck und ein Ziel gegeben werde den marschierenden Bataillonen: Ihr Sinn ist Kampf, der Zweck Geld, und der Tod, der Tod aller, das Ziel.

In den Augen und Händen jener wenigen Wissenden in der Verborgenheit aber sind diese todbringenden Waffen nur friedliche einfache Waren, deren Umsatz Gold einbringt in goldarmer Zeit. Die Rechnung ist klar und muss stimmen: Bestellt ein Land solche Waren, um seinen Söhnen, die so gern hinter Fahnen marschieren, ein harmloses Spielzeug in die Hand zu geben, so muss sein Nachbarland desgleichen tun - und wendet sich an die Konkurrenz! Hier kann kein gefährlicher Wettbewerb der Geschäfte drohen, denn eine Hand wäscht die andere - Aber die grosse Welt ist nicht faul, und sieht jenem dunklen Treiben nicht etwa tatenlos zu! Abrüstungskonferenzen tagen - allerdings nur, um sich wieder zu vertagen, bis es zu spät ist... den Herren am grünen Tisch sind jene Verborgenen ja durchaus nicht unbekannt, im Gegenteil... und man ist friedlich gesinnt. Man trägt Zivil, verabscheut Uniformen und bunte Hemden, man versteht und hilft einander, wie man nur kann. Und man will einander nicht stören, um sich selbst von anderen nicht stören zu lassen. Alles nur, damit die Weltkrise behoben werde, der Umsatz steige, das Gold wieder fliesse und Blut...

Ich habe kürzlich in einer europäischen Hauptstadt Folgendes gesehen: Ein langer Zug jener Menschen in bunten Hemden marschierte mit klingendem Spiel und wehenden Fahnen auf eine geschlossene Bahnschranke zu. Der Anführer war zurückgeblieben, und sei es nun, weil er das Hindernis nicht gewahren konnte, das seiner Marschkolonne den Weg versperrte, sei es dass er nur ihre Disziplin auf die Probe stellen wollte - es gab keinen Haltbefehl. Minutenlang stand die Abteilung, auf der Stelle trampelnd, vor der Schranke. Trommeln wirbelten, Trompeten schmetterten, und zu ihrem Takte hoben sich hundert Schenkel, stampften Hundert Stiefel den Boden, ohne vorwärts zu kommen, ohne jeden ersichtlichen Zweck, sinnlos, aber stramm, - blind gehorchend und strotzend vor Jugendkraft und Mannesstolz!

Am Wegesrande bietet ein Kriegsblinder Zündhölzchen feil. Er war nicht nur blind: Ihm fehlten die Augäpfel. Sie waren ihm im Kriege weggeschossen worden. In tiefen, leeren Höhlen klafften an ihrer Stelle zwei Schlitze. Beim Klange der Marschmusik und des Gleichschritts hob er lauschend den Kopf und zog die Brauen hoch. Es sah aus, als blickte er bei diesen wohlvertrauten Klängen aus seinen leeren Augenhöhlen vorwurfsvoll und verzweifelt gen Himmel... und seine Lippen murmelten unverständliche Worte. Ich weiss nicht: War es ein Gebet oder ein ohnmächtiger Fluch? Aber das Eine weiss ich: Jener arme Blinde sah in diesem Augenblicke besser, schärfer und klarer, als es ein Sehender vermag, sah erschauernd das wahre Bild unserer todkranken Zeit.

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