(c) Pester Lloyd / 37 - 2009 POLITIK 11.09.2009 _______________________________________________________
11 Fortschrittchen
Bajnai und Fico trafen sich zu "Friedensverhandlungen" Slowakei - Ungarn
Am Donnerstagnachmittag fand die mit Spannung erwartete Aussprache zwischen den Regierungschefs der Streithähne Slowakei und Ungarn im
ungarischen Ort Széchény statt. Daraus ging ein 11-Punkte-Plan hervor, der als Grundstein für eine Umkehr zum Guten in den bilateralen Beziehungen
werden soll. Die ungarische Opposition spricht von Scheitern und Verrat und bezeichnet den eigenen Premier als "Wischmob" der Slowakei.
Es hatte sich viel angehäuft zwischen den beiden Ländern, das umstrittene
Sprachengesetz in der Slowakei, das beidseitig theatralisch inszenierte Einreiseverbot für Ungarns Präsidenten, nationalistische Töne allerorten, Besitzansprüche hier, Hysterie
da. Vieles davon hatte wenig Substanz und mehr mit billiger politischer Taktik und verletzten Eitelkeiten zu tun. So war zu hoffen, dass der als Technokrakt bekannte Gordon
Bajnai für Ungarn und der letztlich auch eher pragmatisch veranlagte Robert Fico für die Slowakei zumindest einen Lösungsansatz für einen Neustart der
zwischenstaatlichen Beziehungen der beiden EU- und NATO-Partner zu Stande bringen.
Die Hoffnung wurde vordergründig erfüllt, alles weitere unterliegt aber nun dem
wahrlich nicht leichten Härtetes der jeweiligen Innenpolitiken. Eine Deeskalation auf Regierungsebene hat begonnen, nun müssen "nur" noch die sturköpfigen
Präsidenten und das "gemeine" Volk und die von ihm ausgehende Stimmung, bzw. was davon behauptet wird, folgen.
Fico: "Jeder Ungar in der Slowakei kann seine Muttersprache frei verwenden."
Robert Fico resümierte das Treffen als "nützlich und erfolgreich", die Atmosphäre
scheint gestimmt zu haben, er lud Bajnai zu einem baldigen Besuch in die Slowakei ein. Beide machten deutlich, dass sie sich bei der Wahl der
Gesprächsthemen eben gerade nicht auf die von Medien und Populisten hochgepuschten Themen festnageln ließen, sondern Probleme behandelten, die
beide beträfen und bei denen Zusammenarbeit auch beiden helfen könnte. Maßnahmen zur Bekämpfung der Wirtschaftskrise wurden diskutiert, es war
sicher interessant einmal aus erster Hand zu erfahren, wie man sich hier und da so durch die Krise wurschtelt.
Die gemeinsame Erklärung, der 11-Punkte-Plan, den beide vorlegten, sparte zwar
keines der heiklen Themen aus, vermied es aber irgendwelche Schuld- und Bußefragen anzusprechen. Dass er nicht viel Greifbares enthalten würde, musste
jedem politisch Reifen klar sein, es ging nur um erste Annäherung. Tragisch genug, dass man bei zwei Nachbarn in der EU Termini wie zwischen
Kriegsparteien verwenden muss. Man äußerte sich eher bedauernd über die Eskalation beim geplanten Sólyom-Besuch, bekannte sich zur Einhaltung der
Rechte der jeweiligen Minderheiten, wobei auch festgehalten wurde, dass die Situation der ungarischen Slowaken im Einklang mit ihren von der EU zugesicherten Rechten sei.
Fico wiederholte, dass es in Ungarn offenbar ein Informationsdefizit bezüglich der
Gesetzesnovelle gibt, eine Diskriminierung der Ungarn in der Slowakei liege weder vor, noch sei sie geplant gewesen. "Jeder Ungar in der Slowakei kann seine
Muttersprache frei verwenden." sagte er deutlich. Gordon Bajnai kommentierte das Treffen, in dem er meinte, dass nun die Bremsen gelöst seien, um alle
offenen Fragen zu klären. Dazu gehört auch, dass beide Seiten die Empfehlungen des Hochkommissars für Menschenrechte bei der OSZE annehmen wollen. Dieser
hatte grundsätzlich keine Einwände zur Rechtmäßigkeit und Konformität mit internationalem Recht, empfahl aber, in einer Art Zusatzprotokoll,
missverständliche Punkte bezüglich der Minderheiten noch einmal klarer zu kommentieren.
Fidesz: Bajnai Wischmob der Slowaken
Keine halbe Stunde nach Beendigung des Treffens lagen auch schon die Befunde
der Opposition darüber auf dem Tisch. Es ist zu vermuten, dass noch tagelang ein heftiges Rauschen durch den Blätterwald fegen wird. Freie Demokraten und
moderat Konservative vom MDF bemängelten, dass kaum Konkretes herausgekommen sei. Erstere schlugen einen Runden Tisch vor. Der Präsident,
eine zentrale Figur der Streitereien, wünscht zuerst den Rapport des Premiers, bevor er eine Meinung äußert.
Der oppositionelle Fidesz sprach - nicht gänzlich überraschend - von einem
Scheitern auf ganzer Linie. Bajnai sei dem Stöckchen, dass ihm Fico hinwarf wie ein artiges Hündchen hinterher gelaufen und anschließend hat "Fico mit Bajnai
noch den Boden gewischt", bemühte sich Zsolt Németh unpassenderweise besonders originell zu sein. Er ist der außenpolitische Sprecher seiner
nationalkonservativen Partei. Der Fidesz erwartete (wie übrigens lt. Umfrage 78% der Bevölkerung) eine förmliche Entschuldigung der Slowakei gegenüber Ungarn
für den Sólyom-Rausschmiss und (!) die weitestgehende Änderungen des Sprachengesetzes. Beides wären Vorbedingungen für weitere Zusammenarbeit. Beides habe Bajnai nicht erreicht.
Eine weitere Stellungnahme wurde für Freitag angekündigt, man kann nicht
daneben liegen, wenn dabei der Fidesz als einzige hehre Vertretung der Ungarn, hier wie da, angepriesen werden wird. Auf die Nachbarschaftspolitik ab Februar
2010 kann man schon jetzt gespannt sein. Die noch radikalere Rechte sprach erwartungsgemäß von Landesverrat. Am Rande des Treffens gab es ein paar
krakeelende Jobbik-Anhänger, die mit den üblichen Parolen auf den slowakischen Gast losgingen. Auch die kommunistische Arbeiterpartei setzte sich ins Bild. Beide
blieben aber entfernte Staffage, ein Großaufgebot der Polizei hielt sie und andere auf Distanz.
red / ms.
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