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(c) Pester Lloyd / 44 - 2009  OSTEUROPA 29.10.2009
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Der Schandwall von Ostrovany

Slowakei: 20 Jahre “danach” trennt wieder eine Mauer Bürger des gleichen Landes

Das Haus vom Bürgermeister, die Kirche und die neue Mauer, das ist das einzige was in dieser Gegend frisch gestrichen ist. Pünktlich zum 20jährigen Jubiläum des Mauerfalls wurde in einer nordostslowakischen Gemeinde eine Mauer errichtet, um "die Bürger" vor "den Roma" zu schützen. Das Bauwerk ist zwei Meter hoch und erinnert optisch an den großen, toten Bruder in Berlin. Viel Platz ist darauf, um die Versäumnisse der Politiker, nicht nur der slowakischen, festzuhalten.

Ärger mit "den Zigeunern" gibt es in dem 1.800 Einwohner zählenden Ostrovany schon seit Jahren. Mit ihnen kamen Einbrüche, Belästigungen, Verschmutzung. Im Nachbarort gab es schon Verletzte. Als einige Bewohner in Eigeninitiative Zäune errichteten, bauten die Roma sie ab, verbauten den Draht in ihren Hütten oder verkauften das Metall auf dem Schrottplatz und klauten weiter die Äpfel aus Nachbars Garten. Daher musste etwas stabileres her.

Viel Platz für die Namen der Politiker und ihrer Nebentätigkeiten...
Die Mauer von Ostrovany

Niemand hatte die Absicht, eine Mauer zu errichten

Geplant war die Aktion übrigens schon seit 2008, schreibt die Tageszeitung Sme. Die "Abgrenzung der Gärten", wie die Mauer damals noch schamhaft umschrieben wurde, sollte Teil eines Komplexes mit Kindergarten, Grundschule und Roma-Gemeindezentrum werden. Doch das Geld reichte dann nur für die Mauer, 15.000 EUR, kolportiert man, hätte sie gekostet. Kann man für 15.000 EUR eine Schule bauen? Na also. Der Bürgermeister von Ostrovany lud zwanzig Abgeordnete des Parlamentes zum Lokalaugenschein, zwei erschienen, aber nur, um dem Bürgermeister zu versichern, dass seine Handlung illegal sei. Beim Abschied versicherten sie ihm jedoch, dass er von ihnen keine juristischen Schritte zu erwarten habe. So sieht volksnaher Parlamentarismus aus.

Alle Medien des Landes berichten seither über die Mauer, fragten, wo wohl die nächste gebaut wird und konfrontierten auch den Parlamentsbeauftragten für die Minderheitenrechte mit dem Schandwall. Dieser war so beschäftigt, dass er von all dem noch gar nichts wusste, wie er sagte. Doch seine Partei tue ohnehin viel für die Minderheiten, die anderen aber...  In Bratislava heucheln die Politiker nun alle ihr Entsetzen und sprechen von einem "Akt der Verzweiflung". Eine dieser glorreichen Ideen, die wirklich weiterhelfen, kam von einem oppositionellen Abgeordenten der Christ(!)demokraten. Er schlug vor, die Armee, die in der Slowakei momentan eher wenig zu tun hat, in heiklen Zonen patroullieren zu lassen. Er sagte nicht, ob mit oder ohne Schießbefehl. Ein anderer Christdemokrat schlug vor, die Altersgrenze für die strafrechtliche Verantwortbarkeit von 15 auf 14 oder 13 Jahre zu senken und Obstklau als Verbrechen und nicht als Vergehen zu behandeln. Da fragt man sich, ob in der Slowakei ein Regierungswechsel wirklich jemals einen Sinn ergäbe, denn die Vorschläge der Regierungsbank sind nicht deutlich abstruser. Und was hat eigentlich die Adenauer-Stiftung die letzten zwanzig Jahre gemacht?

Die Mauer ist nicht lang und hoch genug

"Ich bin kein Rassist" sagt Cyril Revák, der Bürgermeister. "Aber ich bin unter Druck von beiden Seiten", sagt er den slowakischen Medien und erläutert, dass ihm die Leute die Hölle heiß machen, weil sie Opfer verwahrloster Romakinder sind. Er wisse ja, dass auch unter den Roma viele ruhige Menschen leben, aber andererseits erlebten manche seiner Bürger jeden Tag die Hölle auf Erden, berichtet die Tageszeitung Sme in einer Reportage. Die Romavertreter beklagen die Mauer als Erniedrigung. "Sie haben uns eine Berliner Mauer gebaut..., wem soll das helfen, weder den Weißen, noch uns. Wir fühlen uns wie in einem Zoo... Die Mauer muss weg!" So fängt die Zeitung die Reaktionen von Roma ein. Das Roma Media Zentrum spricht mit Sippenhaftung ein allzu wahres Wort aus, das aber den Obstbauern von Ostrovany auch nicht weiterhelfen dürfte. Andere Romavertreter weden sarkastisch: die Mauer ist mit ihren 150 Metern wahrlich nicht lang und nicht hoch genug, um echte Romakinder vom Klauen abzuhalten. Und wie geht es jetzt weiter? Wachtürme? Visa? Wird man die Roma mit Gewalt daran hindern, ihre Siedlung zu verlassen? Man könnte von Ungarn lernen, die den Slowaken einmal wieder voraus sind. Hier braucht man keine sichtbaren Mauern, hier hat man andere Methoden gefunden, um die Zigeuner in Schach und ihren Hütten zu halten. Zur Not schießt man sie dort über den Haufen.

Bedrohte Idylle. Ostrovany und seine Kirche.

11% BIP-Wachstum durch langfristige Förderung

Just in diesen Tagen erschien eine Studie, die wohl auch den Abgeordneten des Parlaments in Bratislava vorliegt, auch Bürgermeister dürfen sie lesen. "Wirtschaftliche Verluste durch die Ausgrenzung der Roma in der Slowakei" ist der präzise Titel. Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass die Slowakei ein Wirtschaftswachstum von insgesamt 10% des Bruttoinlandsproduktes - im wahrsten Sinne des Wortes - auf der Straße liegen lässt. Dabei ergibt sich dieses Potential nur zu einem geringen Teil aus Einsparungen bei den Sozialkosten, sondern vor allem aufgrund der Steigerung aktiver Beschäftigung und damit der Steuerleistung und der Kaufkraft. 2030 wird jeder zehnte Slowake Roma sein, derzeit sind es rund 400.000. Sie werden dann 16% der arbeitsfähigen Bevölkerung stellen. Die Schlussfolgerung ist so einfach wie schwer umsetzbar. Die Roma zu ignorieren, wird teurer als viel Geld in sie zu investieren. Selbst wenn die Rechnung aus Sozialleistungen, Aufbauhilfen, Investitionen in Arbeitsprogramme, Bildung und Infrastruktur auf der einen sowie höhere Kaufkraft, niedrigere Arbeitslosigkeit nur eine Nullsummenrechnung ist, gewinnt das ganze Land. Bisher schickt man die Kinder aus den Schulen auf Sonderanstalten und von dort direkt in ihre Ghettos mit ein paar Euros Sozialhilfe in der Tasche.

Antiziganistischer Schutzwall? - Wie den "Insulanern" von Ostrovany ein Licht aufgehen könnte

Die Ostrovaner, die nicht umsonst mit Insulaner (ostrov = Insel) übersetzt werden können, haben zwar Fernsehen, aber noch nicht erkannt, dass Mauern nur zum einreißen und überwinden taugen, nie zum lösen von Problemen. Doch, so fragen sich und uns die Leute, wer oder was löst die Probleme dann? Immerhin hätten sie eine Weile damit zu tun, die Namen der Parlamentsabgeordneten auf die Mauer zu schreiben, samt ihrer Nebentätigkeiten. Dann würde ihnen vielleicht ein Licht aufgehen, um wen oder was sich die Volksvertreter in den letzten zwei Dekaden gekümmert haben, wenn nicht um ihre Probleme. Aber das hätte wohl auch keinen Sinn, wahrscheinlich würden die Roma ihnen vorher ohnehin die Farbe stehlen. Immerhin, eines haben die Ostrovaner erreicht. Zwanzig Jahre nach den Ereignissen von Ungarn und Berlin trennt wieder eine Mauer Bürger des gleichen Landes voneinander. Diesmal ist die eine Hälfte aber für diesen anziganistischen Schutzwall.

ms.

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