(c) Pester Lloyd / 45 - 2009
GESELLSCHAFT 02.11.2009 _______________________________________________________
Städtebauliches Schlachtfeld
"Balkanology" versucht sich an einem komplexen Thema: Architektur und Städtebau auf dem Balkan
Unter dem Titel "Balkanology - Neue Architektur und urbane Phänomene in Südosteuropa" läuft derzeit im Architekturzentrum Wien eine Ausstellung.
Der Titel ist eine ironische Unterstellung, so als wollte oder könnte man den eigenartigen Gewächsen von Architektur und Stadtverplanung auf dem
unheimlichen Subkontinent mit einer eigenen Philosophie zu Leibe rücken.
Gewerbeneubau an der Straße von Prishtina nach Skopje, Foto: Kai Vöckler
Das Architekurzentrum versucht, sich sowohl Projekten der avancierten
"Star"-Architektur in den Balkanländer zu widmen als auch das postzozialistische Umfeld zu beleuchten. Die Ausstellung im Wiener Museumsquartier entzieht sich
dabei der eigentlich notwendigen Aufgabe, diese Zusammenhänge als unausweichlich radikale Gesellschaftskritik zu formulieren, in dem "bewusst nicht
der Versuch unternommen (wird), eine für die gesamte Region gültige Darstellung der urbanen Entwicklung zu erreichen. Ausgewählte Beispiele an
unterschiedlichen Orten veranschaulichen vielmehr die neuartigen Entwicklungen von Architektur und Städtebau." Warum "bewusst nicht"? - Überforderung,
Unwille, Sponsorenvorgabe? Immerhin den Fragestellungen kamm man nicht ausweichen, sie drängen sich zwangsläufig auf.
National- und Universitätsbibliothek, 1983, Prishtina, Kosovo; Architekt: Andrija Mutnjakovic, Foto: Wolfgang Thaler
An Beispielen der Städte Belgrad,
Bukarest, Kotor, Pula, Prishtina, Sofia, Tirana und Zagreb zeigt man etwas, was die Macher als "umfassende informelle Bautätigkeit" bezeichnen. Immerhin, der Versuch wird also
unternommen, über die Bewunderung einzelner Vorzeigeprojekte hinauszugehen. "Forschungsprojekte, konkrete Interventionen, architektonische Analysen und Planungsstrategien werden
vorgestellt. Aber auch kaum bekannte herausragende Bauten der sozialistischen Moderne Jugoslawiens werden mit zeitgenössischen Architekturen in Dialog
gesetzt." Weiter will man die Veränderungen durch "medial vermittelte Bildwelten, Migrationsbewegungen und Finanzströme" aufzeigen. Man schafft
einen kleinen Einblick in die langwierige Neuordnung eines kriegsversehrten Landstrichs. "Balkanology", beim Wort genommen, wäre auch eigentlich ein Forschungszweig der Chaostheorie.
Museum für zeitgenössische Kunst 2009, Zagreb, Kroatien;
Architekt: Studio za arhitekturu – Igor Franic, Zagreb, Foto: Bruno Bahunek
Während die Städte und Entwicklungsgebiete von Serbien
über Bosnien bis zum Kosvo an chaotischen Auswüchsen wilden Bauens, einem korrupten Planungs- und Genehmigungswesen kranken, backen sich die profitgesteuerten Großentwickler von Einkaufszentren
und Büroanlagen ihre eigenen Paläste, die Protz und Kaufreize in fast apokalypitscher Ausformung repräsentieren. Man beschreibt das dortige Treiben mit "rasanten urbanen
Transformationsprozessen" eher noch verharmlosend. Eine systematische Entmenschlichung der Lebensumwelt durch die Abkopplung von Entscheidungs-
und Schaffensprozessen von den Bedürfnissen ihrer Bewohner, die zu bloßen Statisten, ja Objekten verkommen, ist die traurig treffendere für all den Wust
dieser Wüsten. Europa hat aus dem Balkan den verkommenden Hinterhof einer Sonderschule werden lassen. Man bekämpfte das Balkan-Klischée und es wurde
Wirklichkeit. Das sieht man dann auch an den Bauten in ihrer Umgebung.
Ausstellung im Wiener Architekturzentrum
Etliche Projekte von sehr kreativen Geistern gehen darin fast unter,
die sich durchaus im internationalen Architektenzirkus sehen lassen können. Ja man kann sagen, die Stararchitekten benutzen die größte Baustelle Europas als ein Experimentierfeld, so wie es die
Politik und die Wirtschaft genauso treiben, in dem sie zwar teils bewundernswerte Monolithen installieren, dies aber eher im Stile von kreativen Egoshootern, die wegen der
genannten gesellschaftlichen Verwerfungen kaum Einfluss auf das Gesamtprogramm nehmen können oder wollen. Einige Ausschnitte dessen zeigt das Architekturzentrum.
Auch der 17. Wiener Architekturkongress, der vom 20. – 22. November
stattfinden wird, widmet sich diesem Themenkreis. Auch hier geht es um die "raumgreifende informelle Bautätigkeit, die eine neuartige Form der
Urbanisierung darstellt, sowie die Prestigeprojekte, die jede Stadt benötigt, um am globalen Wettstreit der Stararchitekturen teilnehmen zu können."
Architekten, Urbanisten und Vertreter verschiedener südosteuropäischer Städte gehen diesen Phänomenen der weitgehend unregulierten urbanen
Transformationsprozesse nach und diskutieren die Zukunftsfähigkeit der einzelnen Modelle im Fokus der „weltweiten Wirtschaftskrise“. Detaillierte
Informationen zu den ReferentInnen, zum Ablauf und zum Programm unter: www.azw.at. Die Ausstellung im Wiener Architekturzentrum geht noch bis 18. Januar 2010.
red.
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