(c) Pester Lloyd / 07 - 2011
POLITIK 17.02.2011
Gretchenfrage
Der Schaukampf um das Mediengesetz in Ungarn - KOMMENTAR
Wie erwartet, haben sich EU-Kommission und ungarische Regierung zügig auf einen Kompromiss zur Beendigung des "Streits" über das Mediengesetz einigen können. Da
in Brüssel niemand bereit war, die Gretchenfragen zu stellen, war es Ungarn ein Leichtes "Entgegenkommen" zu zeigen. Orbán lachte schon zuvor die EU aus und
feierte das wie einen Tag der Befreiung, doch keines der Probleme wurde gelöst.
“Alles klar, so machen wir´s”
Der zwischen Barroso und Orbán ausgehandelte Deal, denn als nicht anders sollte man das
lächerliche Scheingefecht bezeichnen, das vor den Augen der Öffentlichkeit inszeniert wurde, sah vor, dass die für die "digitale Agenda" zuständige EU-Kommissarin Neelie Kroos
die deutliche Drohung eines Vertragsverletzungsverfahrens ausspricht, sich in ihren schriftlich geäußerten Kritikpunkten aber mit oberflächlichen und eher technischen
Aspekten bescheidet, die durch einige Anpassungen zügig zu beheben sein würden, ohne den Charakter und die Wirkungsmöglichkeiten des Gesetzes zu verändern.
Da die EU-Kommission nach eigenen Worten offiziell nur aktiv werden könne, wenn der
Verdacht auf Bruch von EU-Regeln vorliegt, hatte man die Begründung für den Brüsseler Papiertiger schnell zur Hand. Die ungarische Seite erfüllte ihren Teil der Abmachung wie
gewünscht und hat damit "alle vier Punkte" des Briefes abgearbeitet. Die Gretechenfrage: wie hälst Du´s mit den Grundrechten, wurde nicht gestellt.
Die tiefergehnde Kritik, die in dem Scheingefecht ausgespart worden war und die somit die
Grundfragen nach der Rechtsstaatlichkeit und der Wahrung von Grundrechten vermeidet, wurde hier mehrfach (und übrigens schon seit Juni letzten Jahres!) beschrieben. Alles weitere zu Wesen, Inhalt und Wirkung des Mediengesetzes und die Originalschreiben aus
Brüssel und Budapest gibt es auf der Themenseite.
Viktor Orbán kann in der Frage vorerst den Sieg für sich beanspruchen, was er auch schon
überschwänglich tat, in dem er am Montag im Parlament die "Angriffe auf das ungarische
Volk" als "zurückgeschlagen" erklärte und konstatieren konnte, dass "Brüssel schließlich nicht
Moskau" sei und sich Ungarn "nichts von fremden Mächten, auch nicht von der EU" vorschreiben lasse, immerhin gäbe es in Ungarn die Demokratie ja nicht, weil das jemand
wünscht oder befiehlt, sondern weil die Ungarn an sich ein Volk der Freiheit sind. Den Willen zum Schutz von Grundrechten als Angriff auf ein Land zu stilisieren, das kann
innerhalb der EU nur er, vielleicht noch Berlusconi.
Die konservativen Europapolitiker können nun auf den formalen Aktionismus der
Kommission verweisen und so die sichtlich schlecht vorbereiteten Kritiker der "Linken" zum Schweigen bringen. Diese hatte von Anfang an den fatalen Fehler gemacht, sich einzig auf
das Mediengesetz einzuschießen, das indes nur die Spitze eines wachsenden autoritären Eisberges ausmacht, der sogar einige konservative Kreise ins (stille) Grübeln bringt.
Immerhin benutzt in Budapest eine Partei die Demokratie als Ausrede, um selbige, vielleicht nicht abzuschaffen, so doch nach ihrem Bilde womöglich bis zum brechen
zurechtzubiegen und fühlt sich durch eine parlamentarische 2/3-Mehrheit zu einer Diktatur der Mehrheit ermächtigt. Der Beispiele dafür gibt es u.a. in diesem Medium etliche.
Was das Mediengesetz betrifft, liegt es jetzt wohl an einzelnen Klägern in Ungarn allein
vom Verfassungsgericht festzustellen zu lassen, ob die parteilich einseitige Besetzung und die Macht der Medienbehörde verfassungsgemäß, grundrechtskonform und rechtsstaatlich
ist, ob die einzelnen Pragraphen klar genug formuliert sind, um politisch oder wirtschaftlich motivierte missbräuchliche Interpretationen zu verhindern, ob bestimmte Abschnitte im
Gesetz womöglich die Kompetenz einer Aufsichtsbehörde überschreiten, ob die Verbindung von Aufsicht, Kontrolleur, Kläger und Richter in einem Gremium womöglich gegen die
Gewaltenteilung spricht, kurz: ob es sich noch um ein Regulierungsgesetz oder ein politisches Strafgesetz außerhalb der ordentlichen Gerichtsbarkeit handelt.
Derzeit sind mehrere Klagen vor dem Verfassungsgericht anhängig, prominentester Kläger
ist die Tageszeitung Népszabadság des Schweizer Ringier Verlages, die 16 Einzelpunkte vor
die Richter bringen wird. Eine erste Entscheidung wird für Ende März erwartet. Mit Ende der Ratspräsidentschaft, wenn ohnehin nur noch wenige nach Ungarn schauen werden,
können - laut Gesetzestext erst nach dem 30.06. - auch finanzielle Sanktionen bei "Vergehen" verhängt werden, dann werden bald auch erste Präzedenzen vorliegen. Bisher
gab es nur ein paar Abtastversuche seitens der Behörde und vom Fidesz einen Orden für genau jene Art von Hasspredigern, die das Gesetz u.a. im Zaum halten soll. Inzwischen
geht die "Selbstreinigung" im öffentlich-rechtlichen Rundfunk weiter und die Scheren in den Köpfen der Redaktionen arbeiten auf Hochtouren.
ms.
Themenseite Mediengesetz
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