Hauptmenü

 


Kleinanzeigen für
Ungarn und Osteuropa
Stellenanmarkt
Immobilienmarkt
Geschäftskontakte
Privatanzeigen
Anzeigen ab 35.- / Monat

 

(c) Pester Lloyd / 20 - 2012     WIRTSCHAFT 16.05.2012

 

Schöngefärbtes Schlusslicht

Die ungarische Wirtschaft erholt sich nicht

Ob sich die Prognosen für Wachstum und Defizit angesichts eines stärker als erwartet schrumpfenden BIPs noch halten lassen, ist sehr fraglich. Doch Nationalwirtschaftsminister Matolcsy interessiert das kaum, er sieht allein schon aufgrund der neuen Steuern den Haushalt "für Jahrzehnte" saniert. Sogar die EU kauft ihm, zumindest bis 2013, die guten Prognosen ab. Hauptsache die Zahlen stimmen, das Elend dahinter interessiert in Brüssel und Budapest längst niemanden mehr.

Eigentlich gibt es nichts zu beschönigen: das ungarische Bruttoinlandsprodukt sank im ersten Quartal 2012 um 1,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, wie das Amt für Statistik (KSH) am Dienstag mitteilte. Die Zahlen fielen noch schlechter aus als erwartet, nachdem Analysten zuvor von 0,3 bis 0,8% Rückgang ausgingen. Sie bestätigen eher die worst-case-Prognosen der OECD. Ungarn findet sich mit den -1,3 auf dem letzten Platz in der EU wieder (außer Griechenland, für das keine Zahlen veröffentlicht wurden...), Tschechien lieferte -1%, Slowakei +0,8, EU-Schitt war +/-0. Trotz dieser Fakten, schreibt die Regierung auf ihrer Webseite umgehend: “BIP-Entwicklung von internationalen Trends getrieben”. Wieder eine Lüge.

Laut KSH herrscht in der Hälfte aller Wirtschaftsbereiche aktuell eine Stagnation der Wirtschaftsleistung. Lediglich im Bausektor ist ein signifikanter Einbruch zu verzeichnen, während die IT- und die Telekommunikationsbranchen ein leichtes Plus erkennen lassen. Verlass ist einzig auf die Exportwirtschaft, die überweigend von ausländischen Konzernen (Autoindustrie, Zulieferer, Elektronikfertigung etc.) getragen wird. Besonders bedenklich: die jetzige Entwicklung zeigt zum ersten Mal seit 2009 wieder ein Minuswachstum im Jahresvergleich. Selbst im vergangenen Quartal war der Trend mit 1,5% Steigerung noch positiv. Im Gesamtjahr betrug die Wachstumsrate sogar 1,7%.

Statistische (!) Entwicklung der Brutto- und Nettolöhne seit 2010. Die großen Ausschläge netto Anfang 2010 sind Wahlkampfzuckerln der MSZP, die freilich nichts mehr nutzten, der Negativbalken im Dezember 2010 hängt mit der Einführung der Flat tax per 1.1.2011 zusammen, die Arbeitgeber verbuchten fast alle Prämien und Zuschläge in den Januar, um Steuern zu sparen. Ebenso das gewaltige Nettoplus am Jahresende 2011, es ist hier nochmal näher erläutert und relativiert.

EU und Ungarn fast auf gleicher Linie

Bessere Aussichten, zumindest für den Zustand des ungarischen Staatshaushaltes, prognostiziert die EU-Kommission nach dem Studium des Wunderwerks "Széll Planes 2.0" und schätzt 2012 ein Haushaltsdefizit von 2,5% des BIP und 2013 von 2,8%, und damit unter den EU-Vorgaben von 3%. Die ungarische Regierung geht ebenso von einem 2,5%-Defizit 2012 aus, erwartet jedoch für 2013 nur noch 2,2% - deutlich geringere Zahlen als die EU. Die EU hat somit die neuen
Sparankündigungen der Regierung und die damit verbundenen neuen Steuervorhaben im Großen und Ganzen als ausreichend und zielführend empfunden.

Dass das Gros der Steuern von den ohnehin schon geschröpften Normalbürgern aufgebracht wird, scheint weiterhin keine Kategorie im noch neolilberal-konservativ dominierten Europa zu sein. So sind die Steuern, nicht das Wirtschaftswachstum der Träger der Hauptlast bei der Gesundung des Haushaltes, was sich geradezu zwangsläufig kurz darauf durch einbrechenden Konsum, fehlende Investitionen und wieder höhere Kreditausfälle bemerkbar machen muss. Doch so weit denkt momentan niemand, Brüssel schaut paralysiert nach Athen, Budapest nur auf den Kohäsionsfonds für 2013.

Desweiteren geht die EU von einer Staatsschuldenquote von 78,5% für 2012 und 78% 2013 zum BIP aus. Damit würden die Konvergenzkriterien von 78,4% bzw. 77% nahezu erfüllt werden. Hinsichtlich des Wirtschaftswachstums wird für 2012 ein Rückgang um 0,3% im Vergleich zu 2011 erwartet, für 2013 dann jedoch wieder ein Wachstum von 1 %. Andere, seriöse Sznearien rechnen, je nach Wetter (Landwirtschaft) mit einem Minus von bis zu 1,5%. Die Inflationsrate wird von der Kommission auf 5,5% in 2012 und 3,9% in 2013 erwartet, womit für die Masse ein Reallohnverlust von 4% im Jahresschnitt zu erwarten ist. Die Arbeitslosenquote soll von den erwarteten 10,6% 2012 auf 9,6% 2013 fallen, derzeit liegt sie - offiziell - bei 11,7%.

Ungarischer Wirtschaftsminister sieht Konsolidierung für "Jahrzehnte"

"Wir haben den ungarischen Gesamthaushalt nicht für die kommenden Jahre konsolidiert, sondern für die kommenden Jahrzehnte", traumwandelte der ungarische Wirtschaftsminister György Matolcsy, kaum ist er bei der Kabinettsumbildung ungeschoren davon gekommen, am Montag
einmal mehr vor den Pressemikrofonen. "Wir können höchstwahrscheinlich eine Wachstumsrate im nächsten Jahr erreichen, die von niemandem so erwartet wird“, fügte der Minister kryptisch hinzu. Am Dienstag dann fiel der Quartalseinbruch um 0,5 Punkte höher aus als "erwartet". So gesehen lag Matolcsy, der aber auch bei sämtlichen seiner makroökonomischen Prognosen der letzten zwei Jahre gründlichst daneben lag, einmal - zumindest semantisch - richtig. Zugleich könne die Politik des Senkens des Haushaltsdefizits, der Staatsverschuldung und der Steuern auf berechenbare Art und Weise erfolgen, meinte er weiter. Er fürchtet jedoch, Probleme mit EU-Mitteln da wegen des „früheren, fehlerhaften Systems, Tausende von Milliarden (Forint) stecken bleiben könnten“.

Hinsichtlich zu erfolgender Maßnahmen forderte er unter anderem einen Fokus auf die Beschäftigungsquote, welche von derzeit 56% stetig auf 75% steigen solle, wiederholte er die Vorgaben von Premier Orbán. Außerdem „dürfen wir nicht zulassen, dass die jungen ungarischen Menschen, die aus Ungarn verschwinden, nicht zurückzukehren. Wir werden sie zurückzuführen, wir rufen sie zurück." wie das aussehen könnte,
ist hier nachzulesen.
Der Staat war bisher nicht in der Lage, Arbeitsplatz stimulierende Maßnahmen umzusetzen, eher im Gegenteil.

Ein Mutterkreuz für Matolcsy

Seiner Auffassung nach sei Erfolg in einem Land mit einer sich verringernden Bevölkerung „schwer zu erreichen, obwohl es Anzeichen für eine Veränderung in der Bevölkerungsentwicklung gib“. Beispielsweise helfe das Flat-Tax-System laut Matolcsy "dem Mittelstand", „etwa 40-50.000 Familien mit drei oder mehr Kinder sahen ihre Realeinkommen um 19% erhöht im letzten Jahr und es werden mehr Kinder geboren als früher.“ Die Opposition kritisiert diese "Geburtenförderung" stark, geht sie doch mit einer massiven weiteren Verarmung der unteren Einkommensschichten einher. Wenn Arbeit stimuliert werde, die Einkommen für alle steigen, dann regele sich das Geburtenproblem von ganz allein.

Rund 70% aller arbeitenden Ungarn liegen mit ihren gemeldeten Gehältern unter der Grenze, ab der die Flat tax sich tatsächlich auszahlt, diese Zeitung hat, dies und die tatsächliche Teuerung beim unmittelbaren Lebensbedarf einrechnend, einen Verlust verfügbaren Einkommens von 20 bis 30% bei rund 50% der Bevölkerung seit Einführung der flat tax errechnet. Die Zahl der von Armut bedrohten bzw. an der Armutsgrenze lebenden, ist von 1,5 auf über 3 Mio. Menschen angestiegen.

 

Genau dieser Gruppe aber mutet man durch die massenhaft erhöhten bzw. neu eingeführten Verbrauchssteuern weiterhin realtiv gesehen die größten Belastungen zu. Anstatt sich (s)eine Klientel "heranzuzüchten", soll die Regierung endlich das gesamtökonomische Scheitern der Flat tax einräumen und Konsequenzen ziehen, fordert die linke Opposition im Parlament von MSZP über DKP bis LMP genauso wie die neuen Gruppen. Die EU bezeichnet den neuen "Konvergenzplan" hingegen als "ausreichend strukturell und nachhaltig", kein Defizitverfahren also wird den ungarischen Wirtschaftspolitikern in Zukunft noch auf die Finger schauen.

Informationen zur Auswirkung der Flat-Tax auf Einkommen und Arbeitgeber (Lohnkompensation) findet man u.a.
hier. Darin auch weitere Links zum Themenkreis. Mehr zur neuen Verarmungswelle in Ungarn und zur tatsächlichen Einkommenssitutation "Dank" Flat Tax.

Ausführliche Analysen finden Sie im Ressort Wirtschaft

PK / red.

 

IN EIGENER SACHE
Der PESTER LLOYD möchte sich verbessern - Helfen Sie mit? ZUM BEITRAG