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(c) Pester Lloyd / 31 - 2012     RUMÄNIEN 30.07.2012

 

Demokratie-Roulette

Basescu bleibt im Amt - Rumänien und Ungarn steuern in neue Krise

Hat Ungarn die Demokratie in Rumänien gerettet? Immerhin hat der offene Aufruf zum Wahlboykott an die ungarische Minderheit in Rumänien wesentlich zum Scheitern des zweifelhaften Referendums über Basescu beigetragen. Der rumänische Regierungschef tobt, mittelfristig dürfte Orbán "seinen" Landsleuten im Nachbarland einen ziemlichen Bärendienst erwiesen haben. Beide Viktors sind sich dabei sehr ähnlich, beiden fehlt jeder Respekt vor der Demokratie und vor ihrem Volk. - BERICHT & ANALYSE

Rot oder Schwarz? Alles dient nur der Illustration, die Kugeln sind austauschbar. Im Casino der Macht geht es auch nur um Gewinn: politischen wie materiellen...

Klares Votum gegen Basescu - Klares Scheitern Pontas

87% der Wähler wünschten am Sonntag die Ablösung Basescus vom Amt des rumänischen Präsidenten. Doch nur 46,1% der Wahlberechtigten nahmen - laut Wahlbüro - an der Volksabstimmung teil, womit das notwendige Quorum von 50% nicht erreicht wurde. Basescu bleibt also im Amt. Doch die aktuelle Regierungskoalition "Sozialliberale Union" aus Sozialdemokraten PSD, Nationalliberalen PNL und Konservativen PC, unter Führung von Premier Ponta, sieht sich als Sieger, sei Basescu doch "moralisch und politisch" abgewählt worden. Die Nationalliberalen (PDL), die Partei des Präsidenten sieht dagegen den "Staatsstreich" abgewendet, das Volk habe gesprochen. -
Mehr zur Vorgeschichte

Ethnische Ungarn gaben den Ausschlag

Abgesehen davon, dass ausgerechnet das Volk "gesprochen hat", das von seinem Stimmrecht keinen Gebrauch machte, waren die fehlenden Stimmen der ungarischen Minderheit ausschlaggebend dafür, dass Pontas Referendum scheiterte. Von der knapp eine Millionen wahlberechtigten ethnischen Ungarn in Rumänien nahmen, nach ersten Erhebungen, nur rund 25% am Referendum teil, in einigen Orten mit besonders hoher Ungarndichte lag die Wahlbeteiligung sogar nur bei 10-12%, in Hargitha waren es am Sonntag um 17 Uhr nicht einmal 7%.

Hochgerechnet auf das Gesamtergebnis hätte eine durchschnittliche Wahlbeteiligung der ethnischen Ungarn, unabhängig von dem, was sie ankreuzen, Pontas Referendum zum Erfolg verholfen. Die Ungarn in Rumänien haben also die Demokratie gerettet, es dauerte am Montag nicht lange, bis der erste regierungstreue Kolumnist diese hahnebüchene - wie im heutigen Ungarn erwartbare historische Parallelle - aufzog und schrieb: "...wie damals Horthy mit Hilfe aus Rumänien, die Demokratie in Ungarn rettete...".

Rumäniens Präsident Basescu. Ein angeschlagener Wahlsieger und Namensgeber eines eigenen “Systems”

Beide Lager bezichtigen sich des Betruges: beide haben Recht

Während das Basescu-Lager die PSD massivster Wahlbetrüge bezichtigt, durch Stimmenkauf, Eingriff in die Wahlunterlagen sowie die im Vorfeld veranlasste Verlängerung der Öffnungszeiten der Wahllokale, beschwert sich das Regierungslager über teilweise kriminelle Manipulationsversuche Basescu-naher Unternehmensbosse und Bürgermeister. Erstere sollen Angestellten mit Entlassung gedroht haben, falls sie bei Wahllokalen gesichtet werden, letztere sollen Staatsbediensteten auf "dem kleinen Dienstweg" eine Abwesenheitspflicht auferlegt haben. Außerdem seien etliche Wählerlisten nicht mehr aktuell, mehr als 2 Millionen Karteilichen würden eine falsche Berechnungsgrundlage für die Wahlbeteiligung liefern.

So gut wie fest steht, dass die Gerichte, womöglich bis hoch zum Verfassungsgericht, letztlich über die Gültigkeit des Referendums werden entscheiden müssen. Ponta signalisierte am Montagnachmittag immerhin die Bereitschaft für einen Waffenstillstand mit dem Präsidenten, während dieser ausgelassen triumphierte. Im November sind Wahlen, die Sommerpause dürfte kurz werden.

Mit den Betrugsvorwürfen haben beide Lager übrigens Recht: doch ist es nicht der Betrug beim Referendum selbst, der so erschreckend ist, sondern der mainpulative Einsatz des Souveräns für die Interessen der verschiedenen Machtcliquen. Denn es ist richtig, wie es die Basescu-Seite darstellt, dass Ponta mit dessen Abwahl und den Umbauten in der Justiz nur seine eigene korrupte Riege schützen will, gegen die man in den letzten Monaten massiv vorging. Allerdings: Basescu will auch nichts anderes, als durch sein Amt seine Leute schützen. Das sprechen seine Anhänger, einschließlich der bigotten Demokratieverteidiger der EVP, nur nicht aus.

Rumäniens Premier Ponta scheiterte mit seinem durchgeprügelten Referendum und führt sein Land in eine demokratiepolitische Sackgasse. Neuer Entscheidungstermin: Paralamentswahlen im November.

Ponta empört über Orbáns offiziellen Aufruf zum Wahlboykott

Am Sonntag äußerte Premier Ponta seine "Empörung" über die "massive Einmischung in die inneren Angelegenheiten Rumäniens" seitens Ministerpräsident Orbán. Dieser sagte bei einer Fidesz-Veranstaltung in Siebenbürgen, die "Ungarn in Rumänien können die richtige Entscheidung treffen, in dem sie keine Entscheidung treffen", ein klarer Aufruf, der Wahl fernzubleiben und damit eine direkte Hilfe für das Basescu-Lager. Auf der offiziellen Webseite des Ministerpäsidenten prangte noch am Montag an erster Stelle die Schlagzeile: "A jó romániai döntés: távolmaradni az urnáktól": Die richtige rumänische Entscheidung: den Urnen fernbleiben... - Ein offizeller Aufruf zum Wahlboykott im Nachbarland.

Diese Einmischung jedoch ist weder neu, noch kommt sie überraschend.
Wie wir bereits berichteten, ist das Klima zwischen Ungarn und Rumänien seit der Machtübernahme der Ponta-Regierung und dem gleichzeitigen Ausscheiden der gemäßigten Ungarnpartei RMDSZ aus der Regierung spürbar im Abkühlen begriffen. Orbán unterstützt zudem seit 2010 massiv die neu gegründete Ungarische Székler Bürgerpartei des Separatisten László Tökés, der über ein RMDSZ-Mandat, also als Rumäne, im Europaparlament sitzt und dort ungarische Politik betreibt.

Ungarns Premier Orbán ruft auf der offiziellen Webseite direkt zum Wahlboykott im Nachbarland auf

Fidesz vertreibt "Landsleute" aus den Parlamenten

 

RMDSZ-Verantwortliche hatten sich in den letzten Monaten Einmischungen aus Ungarn verbeten, blieben damit aber erfolglos. Sie sehen ihr über Jahre aufgebautes Standing bedroht, das, trotz schwieriger Umstände, nicht wenige Zugeständnisse in der Nationalitätenpolitik für die rund 1,6 Mio. ethnischen Ungarn (rund 7% der Bevölkerung) in Rumänien möglich machte. Die Wahlaussichten für die RMDSZ bei den für November angesetzten Parlamentswahlen sind, da sie jahrelang als käuflicher Mehrheitsbeschaffer für die Regierung Boc (Basescu-Lager) galten, ohnehin nicht sonderlich günstig. Eine weitere Spaltung der Rumänienungarn untereinander würde das Aus für deren parlamentarische Vertretung insgesamt bedeuten. Die Széklerpartei hat keinerlei Chance selbst ins Parlament einzuziehen. Diese "Taktik" klappte schon in der Slowakei. Auch dort schnitt Orbán die Gemäßigten und hofierte die Hardliner, nun sind beide aus dem politischen Rennen.

Demokratie wird im Casino der Macht verzockt

Trotz dieser Gemengelage ist Orbán zu keinen taktischen Kompromissen bereit. Seit dem Streit um die Nyirö-Bestattung, der durch den nationalistischen Eifer des ungarischen Parlamentspräsidenten Kövér (Fidesz) über die Maßen befeuert wurde, fahren beide Seiten nur mehr auf der Welle der Konfrontation. Dabei sind sich Orbán und Ponta in ihrer Respektlosigkeit gegenüber rechtstaatlichen Mechanismen und der Demokratie ähnlicher als sie sich eingestehen können. Wie in einem Roulettespiel setzen beide Alles auf Rot bzw. Schwarz, wobei die Farben nur äußerlich eine Bedeutung haben, geht es am Ende, wie im Casino, doch nur um materiellen Gewinn, der neben barer Münze für Politiker auch in der reinen Macht besteht.

Pest und / oder Cholera

Orbán wie Ponta biegen sich die Gewalten zurecht oder schalten sie gleich, benutzen das Parlament als reines Machtinstrument und sind zu keinerlei Interessensausgleich fähig. Sekundiert werden sie dabei kritiklos von ihren jeweiligen europäischen Glaubensbrüdern, die - gefangen im Lagerdenken des Kalten Krieges - jeweils nur dem anderen Lager antidemokratische Allüren vorwerfen.

Beide Viktors argumentieren mit der Ablösung des vorherigen, korrupten Systems, obwohl beide längst eigene korrupte Systeme repräsentieren. Hier wie da wechseln mit den regierenden Parteien eigentlich nur die Mafiafamilien, auch das ist wohl ein Grund für die niedrige Wahlbeteiligung, Basescu sollte sich daher schämen, sämtliche Nichtwähler als seine Fans zu einvernahmen. Viele von denen sehen nämlich in der Frage nach Pester oder Cholera einfach keine Alternative, das half ihm, im Sattel zu bleiben.

Selbstdefinierter "Volkswillen" als Freibrief

Beide, Ponta wie Orbán, berufen sich stets pathetisch auf ihre demokratische Legitimation durch den Volkswillen, den sie aber sicherheitshalber gleich selbst definieren. Pontas Koalition ist bisher noch überhaupt nicht gewählt worden und eher ein Ergebnis des Scheiterns der Gegner, Orbáns Legitimation stützt sich zwar auf 2/3 der Mandate, diese entstammen jedoch lediglich 35% der Wahlberechtigten, die auf diese Weise für eine völlig neue Verfassung und einen Komplettumbau des Staates, inklusive der Unterwerfung fast aller demokratischen Kontrollinstanzen gesorgt haben. Ein Mandat, die Demokratie abzubauen, gibt es aber in einer Demokratie nicht, nicht einmal mit 99%. Ponta und Orbán haben ihr Land in eine Staatskrise geführt und riskieren bei vollem Bewußtsein das Ende der Demokratie. Nicht wenige im Westen schauen dabei fasziniert zu.

Wird Ponta die "Verräter" bestrafen?

Wie Ponta nun mit dem "Verrat", der "Illoyalität" der Rumänienungarn umgehen wird, ist noch offen. Denn sie einfach abstrafen, in dem er ihre Nationalitätenprivilegien streicht oder ihre Bedürfnisse bestenfalls ignoriert, kann sich als Bumerang erweisen, wenn er die leicht zu überzeugende RMDSZ bei einem knappen Wahlausgang womöglich als Bündnispartner brauchen kann. Andererseits ist Ponta nicht von der Art Sozialdemokratie, die davor zurückschreckt, im Wahlkampf die nationale Karte auszuspielen, um so im Lager der rumänischen Rumänen mehr Stimmen zu ernten. So oder so, der Wahlkampf wird sehr hässlich werden.

Orbáns Kurs dagegen ist so klar wie schädlich, er wird die "Vertretung aller Ungarn im Karpatenbecken" weiter betreiben, so lange sie ihm zum Machterhalt im Innern hilft und das tut sie bisher noch. Welchen Preis die "Vertretenen" dafür zahlen müssen, interessiert ihn nicht.

"Székler" werden in Sippenhaftung genommen

Die aktuellsten Nachrichten im bilateralen Schlagabtausch, lassen von beiden Seiten wenig Gutes hoffen: die Regionalregierung in der rumänischen Präfektur Covasna denkt darüber nach, alle Kulturveranstaltungen zu verbieten, die das Wort „Székely“ (Székler) im Namen tragen. Anlass für den Vorstoß ist die „Székely Sziget“, ein Festival, das von verschiedenen rechtsextremen ungarischen Organisationen in Targu Secuiesc veranstaltet wurde und das die Unterstützung des dortigen ethnisch-ungarischen Bürgermeisters genoss. Das Festival ist ein Schwesterevent des „Magyar Sziget“, das von der rechtsextremen Vereinigung Bewegung der 64. Burgkomitate organisiert wird und auf dem offen rassistische und nazistische Parolen verbreitet werden. Rumänien hatte schon im Nyirö-Fall klar gemacht, kein Aufmarschgebiet für Nazis sein zu wollen. Wie man aber zukünftig das Verbot eines "Székler Chortreffens" oder ähnliches rechtfertigen will, wird spannend.

Ungarns Staatsfunk wildert im Karpatenbecken

Ebenfalls in das Bild wachsender Friktionen passt die Mitteilung der ungarischen, öffentlich-rechtlichen Medienstiftung MTVA, die ihre "Mittel für die Entwicklung und Unterstützung ethnisch-ungarischer Radio- und Fernsehsender im Karpatenbecken verdoppeln" will. Die Ankündigung wurde, wie auch der Orbánsche Aufruf zum Wahlboyokott, auf der "Ungarischen Sommeruniversität" in Baile Tusnad gemacht, also in Rumänien. Die MTVA hat schon heute Kooperationsverträge mit den lokalen TV-Stationen von Odorheiu Secuiesc / Székélyudvárhely und Cluj-Napoca / Kolózsvár, bis zum frühen Herbst sollen weitere acht solcher Kooperationen in Rumänien abgeschlossen werden, sagte MTVA-Chef István Borocz und fügte hinzu, dass auch die Slowakoungarn mit mehr Geld rechnen dürfen.

 

Es gehe darum, "das Netzwerk der Studios in den Nachbarländern zu verbessern, damit diese mehr Qualitäts-Inhalte bieten" können. Ähnlich wie im öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Ungarn sollen auch in den Nachbarländern "TV-, Radiostationen, Reporter und Nachrichtenagenturen ihre Arbeit koordinieren". Diese Qualitätsmedien dürfen die Kernungarn schon eine Weile genießen. Da gibt eine amtliche Agentur alle Nachrichteninhalte für die Öffentlich-Rechtlichen vor. Bereits im Vorjahr hatte die von Orbán preferierte Széklerpartei ein "Medienzentrum" aus Mitteln der ungarischen Lotteriegesellschaft finanziert bekommen, Kostenpunkt fast 1 Mio. EUR.

red. / TA

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