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(c) Pester Lloyd / 36 - 2012   POLITIK 03.09.2012

 

Die Axt im Hause

Armenien bricht Beziehungen zu Ungarn ab / Bericht & Kommentar

Armenien hat am Freitag die diplomatischen und alle offiziellen Beziehungen zu Ungarn abgebrochen und seinen Botschafter zurückgerufen. Grund war die Überstellung eines wegen Mordes Verurteilten nach Aserbaidshan. Während sich die ungarische Regierung darauf beruft, rechtmäßig nach internationalen Abkommen gehandelt zu haben, wirft ihr die Opposition vor, den Rechtsstaat verkauft zu haben. Geht Orbán "über Leichen", nur um dem IWF eins auszuwischen?

Freitag in Eriwan. Aufgebrachte Bürger verbrennen vor der ungarischen Botschaft eine Fahne.

Die Vorgeschichte

 

Ramil Safarov, Leutnant der aserbaidschanischen Armee, nahm im Februar 2004 an einem multinationalen Lehrgang im Rahmen des NATO-Programms "Partnerschaft für den Frieden", an der Zrinyi Miklós Militärakademie in Budapest, teil. Ebenfalls Teilnehmer war sein späteres Mordopfer, der armenische Offizier Gurgen Markarjan. Am 19. Februar 2004 wurde Markarjan im Schlaf mit einer Axt erschlagen und war mit Messerstichen übersät, sein Kopf fast abgetrennt worden. Safarov gestand nach einigem Zögern den Mord. 2006 wurde er dafür von einem ungarischen Gericht zu einer lebenslangen Haft verurteilt. Das Gericht schloss dabei, wegen der besonderen Brutalität, eine vorzeitge Haftentlassung für die kommenden 30 Jahre aus.

Ein Mörder kehrt als Held nach Hause

Am Freitag kehrte Safarov nach Aserbaidschan zurück, Medien und Offizielle feierten ihn zuvor schon wie einen Helden und er wurde von Präsident Ilcham Alijew sofort bei seiner Ankunft begnadigt. Dabei hatte Aserbaidshan der ungarischen Regierung - gemäß den entsprechenden völkerrechtlichen Regularien - zuvor zugesichert, dass er die Reststrafe in einem aserbaidshanischen Gefängnis verbüßen werde, die ungarische Seite hatte dies offenbar geglaubt. Der Vorgang bekam schon deshalb eine so große Dimension, da das Land des Mordopfers, Armenien, mit Aserbaidshan seit Jahrzehnten wegen des Gebietsstreits um Bergkarabach im Kriegszustand ist.

Freiheit für den Mörder gegen ein paar Milliarden?

3 Milliarden Euro, das war Ungarn Ehre und Rechtsstaatlichkeit wert, wetterten am Wochendne die Kritiker der Orbán-Regierung und fordern den Rücktritt von Justizminister und Vizepremier Tibor Navracsics, der die Überstellung von Safarov nach Aserbaidshan veranlasst hatte und damit Ungarns Ruf als Rechtsstaat ruiniert hätte. Vor wenigen Tagen erst war, im Rahmen der sogenannten "strategischen Ostöffnung" der Orbán-Regierung von
Gesprächen über den Kauf von Staatsanleihen im Wert von 2-3 Milliarden Euro durch den Öl- und Gasstaat am Kaspischen Meer, Investitionsprojekten und generell einer verstärkten Zusammenarbeit mit Aserbaidshan zu hören, was es fast unmöglich macht, nicht von einem Deal zwischen Baku und Budapest auszugehen.

Hier eine Ordensverleihung bei der NATO-Schulung “Partnerschaft für den Frieden” 2004. Die Teilnehmer werden in der Zrinyi-Militärakademie mit Orden behängt, einer tötete dann einen Kollegen.

Bigotterie in Ost wie West

Dass Präsident Ilham Aliyev sein Land autokratisch, nahe an einer Diktatur führt, eingeführte Clans die Wirtschaft und die Politik kontrollieren, war nichts Neues. Ungarn suchte und sucht verstärkt Kontakt auch zu Ländern wie
China, Saudi-Arabien und sogar den Iran, Berührungsängste mit Diktaturen gibt es bei der Aussicht auf wirtschaftliche Vorteile und "Alternativen zur EU" längst keine mehr. Ungarn steht mit der mangelnden Moral natürlich nicht allein, Rüstungsexporte in demokratiefreie Staaten, Öl und Gas aus absolutistischen Gewalt-Monarchien, lassen das rechtsstaatliche Gewissen auch westlicher Akteure schnell in den Hintergrund treten.

Dennoch ist das Vorgehen der ungarischen Offiziellen in diesem Fall als besonders naiv bis plump zu bewerten, denn sowohl die zeitliche Nähe zu den
Verhandlungen über den Milliardendeal wie auch die mangelnde Sensibilität gegenüber Armenien, die als "christliche Brudernation" im heutigen Ungarn eigentlich einen besonderen Stellenwert genießen müsste, kann man nicht mehr nur als "unglücklich" durchgehen lassen. Ungarn wusste, dass Safarov begnadigt bzw. sehr bald freigelassen würde, Ungarn kannte die Gemengelage mit Armenien und man war sich im Klaren, dass die Öffentlichkeit über den Hintergrunddeal bereits informiert war.

Am 6. September findet in Eriwan eine Protestdemo gegen das Vorgehen Ungarns und Aserbaidshans statt

Die üblichen Ausreden der Regierung

Die Aufregung war groß: die Medien der Region, vor allem auch die russischen, widmeten dem Vorfall einige Aufmerksamkeit, in Eriwan wurden ungarische Fahnen verbrannt, die ungarische Botschaft attackiert.Orbáns Sprecher versuchte zu besänftigen und die Wut auf den eigentlich Schuldigen, die Aserbaidshaner zu lenken, deren "Vorgehen sei inakzeptabel", sagte Staatssekretär Péter Szijjártó am Sonntag und fügte gleich hinzu, dass "jede Verbindung zu irgendeinem `Deal` vollkommen abwegig" sei. Mehr als ein halbes Dutzend Stellungnahmen folgten am Montag, in denen man den Wortbruch Aserbaidshans beklagte, sich selbst reinwusch und über die Einbestellung des aserbaidshanischen Botschfter ins Außenministerium berichtete.

Außenminister Martonyi wiederholte die Schutzbehauptungen, dass man sich "buchstabengetreu" an das Auslieferungsabkommen des Europarates gehalten habe, eine Prozedur, die "nichts außergewöhnliches darstellt" und fügte hinzu, dass sich Ungarn in jedem Falle dem Rechtsstaat verpflichtet fühlt. Ein bekanntes Schema: passt der Regierung eine judikative Entscheidung in den Kram, ist "die Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit zu akzeptieren": so war es gerade wieder kürzlich, als ein Gericht das Polizeiverbot einer Nazidemo überstimmte, obwohl der Aufmarsch gegen mehrere Gesetze verstieß. Passen Urteile der Regierung nicht, werden sie entweder ignoriert (EUGh-Spruch zum "Roten Stern"), die zum Urteil führenden Gesetze verändert oder es wird notfalls gleich das entsprechende Gericht entmachtet (z.B. das Verfassungsgericht in Budgetfragen).

Orbán ging für seinen Selbstbestätigung nun erstmals "über Leichen"

Wer sich aber hier darauf beruft, dass die Überstellungsaktion im Hinblick auf internationale Abkommen "juristisch einwandfrei" abgelaufen, je eigentlich eine reine Formalität ist, - und den Orbántreuen genügt das schon wieder - verleugnet, dass die Entscheidung dazu von einem Politiker, nicht einem Richter, nämlich dem Fidesz-Justizminister Navracsics, getroffen wurde und damit also eine politische Entscheidung war.

 

Dass sich Budapest wegen Unwissenheit oder Naivität bei der Affäre des Axtmörders verschätzt hat, kann ausgeschlossen werden, viel eher passt der Vorfall generell zur Durchmarschmentalität Orbáns, sozusagen der Axt im Hause, die diplomatische Folgen unbedacht in Kauf nimmt, eines vermeintlichen Vorteils wegen. Die Milliarden aus Aserbaidshan hat Ungarn nicht wirklich gebraucht, die Milliarden schon, aber nicht unbedingt aus Aserbaidshan. Man will sie, wie auch Gelder aus China und von anderen "neuen Partnern" gegen den IWF und die daran gekoppelte EU in die Waagschale werfen und seine Verhandlungsposition verbessern, um weniger politische Zugeständnisse machen zu müssen. Dass man sich damit auch politisch-moralisch dem neuen Partner anpasst, ist sozusagen eine logische Folge. Orbán ist für seine Selbstbestätigung, die er "Befreiungskampf" nennt, nun erstmals - und noch sprichwörtlich - über "Leichen gegangen". Das ist in jedem Falle eine neue Qualität.

cs.sz. / red.

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