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(c) Pester Lloyd / 39 - 2012   POLITIK 28.09.2012

 

Knausern bei den Ärmsten

Streit um Sozialhilfe, Witwenrente und Mehrwertsteuernachlass in Ungarn

Derzeit machen Vorschläge aus dem Regierungslager die Runde, wonach Sozialhilfe- und andere staatliche und kommunale Unterstützungszahlungen mit einem Höchstbetrag gedeckelt werden sollen. Die Opposition ist entsetzt und fragt, wie die bedürftigen Menschen von noch weniger leben sollen. Eine klammheimlich Reduzierung von Witwenrenten bezeichnete man als "technischen Fehler". Auch die lange geplante Absenkung der Rekordmehrwertsteuer bei Lebensmitteln kommt nicht voran, denn das Budget 2013 ist schon heute überreizt.

Armenspeisung in Budapest. Für regelmäßige, warme Mahlzeiten reicht Rentnern und Langzeitarbeitslosen oft das Geld nicht. Geht es nach den aktuellen Plänen sollen zukünftig alle “materiellen Leistungen” auf die Stütze angerechnet und durch eine Deckelung begrenzt werden...

Wie soll man von 100.- EUR im Monat leben?

Derzeit machen Vorschläge aus dem Regierungslager die Runde, wonach Sozialhilfe- und andere staatliche und kommunale Unterstützungszahlungen mit einem Höchstbetrag gedeckelt werden sollen. Dieser Vorstoß hängt angeblich mit den Forderungen des IWF an Ungarn zusammen, stimmt aber auch mit den Ankündigung der strikt ständisch agierenden Orbán-Regierung zusammen, "das System der sozialen Unterstützung zu straffen". Ein Regierungssprecher sagte, dass derzeit erhoben wird, wieviel die Bedürftigen an materiellen Leistungen erhalten und wo Grenzen zu ziehen seien. Familien- und Kinderbeihilfen sollen dabei nicht mit eingerechnet werden. Genaueres will ein Parlamentskomitee am 1. Oktober erörtern.

 

Jede Überlegung, den sozial Bedürftigen die Mittel zu kürzen, sei zynisch und "lebensbedrohlich" kritisiert die linke Opposition die Gedankenspiele der Regierung. Während Orbán die wenigen Besserverdiener mit seiner unsinnigen und ungerechten Flat Tax von 16% auf alle Einkommen massiv subventioniert, darben die unteren Lohngruppen mit Realeinkommensverlusten von fast 4% allein in diesem Jahr. Verbrauchssteuern wurden erhöht, was auch die Ärmeren stärker belastet. Der MSZP-Politiker Lajos Korozs prangerte an, dass die gesetzliche Mindestrente von 28.500 Forint (100.- EUR) trotz 6% Inflationsrate seit zwei Jahren nicht angehoben wurde, gleiches gilt für die Waisenunterstützung von 24.500 Forint.

Ein Langzeitarbeitsloser erhalte nur noch 22.800 Forint Unterstützung pro Monat, nimmt er an den kommunalen Beschäftigungsprogrammen 40 Stunden die Woche teil, sind es maximal 47.000 Forint. Die Sozialhilfe wird im übrigen nur maximal an ein erwachsenes Familienmitglied ausbezahlt. Korozs fragt, wo hier die Regierung sparen will und wie sie sich das Leben dieser Menschen dann vorstellt. Nationalwirtschaftsminister Matolcsy war mit seinem Spruch berühmt geworden, wonach man von 47.000 Forint (165.- EUR) "heute in Ungarn ganz gut leben kann". Häufig übersteigt allein schon die Heiz- oder Stromrechnung diesen Betrag.

Skandal um "irrtümliche" Senkung der Witwenrenten

Mehr als 2.500 Personen erhielten in den letzten Wochen einen Brief, in denen ihnen die Kürzung ihrer Witwenrente angekündigt wurde. Die Regierung ruderte danach zurück und sprach von einem "Irrtum und bedauerlichen Fehler". "Keine Rente werde gekürzt", so die Regierung. Die Opposition verlangt persönliche Konsequenzen und wittert dahinter Absicht. Der "irrtümliche" Brief enthielt nämlich einen Passus, wonach all jenen, die Zuwendungen wegen Behinderungen / Invalidität beziehen, die Witwentrente reduziert würde. Ein Vorschlag, der bereits im Amtsblatt veröffentlich wurde und zu dem Paket gehört, dass die Überprüfung aller Invalidenrenter auf ihre Arbeitsfähigkeit vorsieht und das bereits auch in Kraft ist. Danach wurden an diesem Paket einige Änderungen wegen sozialer Härten vorgenommen (nach massiven Protesten und Andeutungen von Verfassungsjuristen, dass man mit dem Gesetz nicht durchkommen könnte), u.a. wurde die Kürzung der Witwenrente bzw. die Anrechngung von Invaliditätsbezügen auf selbige darin wieder abgeändert. Einige Tausend Betroffene sollten mit dem Brief daher nun über die Korrekturen informiert werden, wie das zu den tausendfachen "Fehlbescheiden" kommen konnte, kann sich die Regierung nicht erklären. Die Opposition mutmaßt, dass man auf die Wehrlosigkeit hilfloser Personen spekulierte, um Gelder einsparen zu können.

Regierung schiebt Thema Mehrwertsteuersenkung auf Lebensmittel auf die lange Bank

 

Auch das seit über einem Jahr anhaltende Gezerre um eine Absenkung der Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel geht in eine nächste Runde. Die Regierung denkt seit Monaten laut darüber nach, die Mehrwertsteuerrate von 27%, damit die höchste in der ganzen EU, aus "sozialen Gründen" auf Lebensmittel und Waren des täglichen Bedarfs abzusenken, wie das auch in den meisten anderen EU-Ländern üblich ist. Allerdings hat sich die Regierung durch verschiedene Aktionen und schwer nachvollziehbare Kalkulationen schon jetzt in eine prekäre Lage hinsichtlich des Budgets 2013 gebracht.

Eine Lobbygruppe des Lebensmittelhandels, Fórum, bei der sich federführend auch die Lebensmittelholding Bonafarm des OTP-Bankchefs und Magnaten Csányi engagiert, hat nun Vorschläge an die Regierung gesandt, wie die Erleichterungen, die auch im Interesse des Handels sind, umzusetzen wären.

Eine Absenkung der Áfa auf Grundnahrungsmittel würde nämlich auch den ausufernden Steuerbetrug (
Wurst- und Fleischkarussel), der wegen der großen Mehrwertsteuerdifferenz mit dem Ausland betrieben wird, begrenzen, der Staat verliert laut einer Studie von Ernst & Young jährlich bis zu 128 Mrd. EUR pro Jahr, also rund 450 Mio. EUR durch bandenmäßigen Steuerbetrug mit Nahrungsmitteln. Angeblich seien dadurch auch 22.000 Jobs in der Branche gefährdet, so Fórum.

Die Studie emfiehlt eine Absenkung von den derzeit 27% auf 10% für die wichtigsten Warengruppen. Um den Steuerausfall zu kompensieren wird empfohlen die Mehrwertsteuer auf Medikamente, Bücher und Zeitungen von den derzeit 5% auf 10% zu verdoppeln. Allerdings können sich, wegen der zusammengestrichenen Staatszuschüsse, die meisten Rentner schon heute kaum noch ihre Medikamente leisten, was Ernst & Young nicht erwähnt.

Die Regierung will nun weitere "Machbarkeitsstudien" anfordern, was keine schnelle Lösung verspricht. Mutmaßlich könnte der Beschluss ins Jahr 2014 fallen, dann sind Wahlen.

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red.

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