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(c) Pester Lloyd / 07 - 2013   NACHRICHTEN 15.02.2013

 

Neues BGB in Ungarn: Streit um engen Familienbegriff und "Oligarchenparagraph"

Ab März 2014 tritt in Ungarn ein neues Bürgerliches Gesetzbuch in Kraft. Das beschlossen in dieser Woche 245 Abgeordnete der Regierungsparteien, die mit dem neuen Werk das rund einhundertmal geänderte Zivilgesetz von 1959 ablösen. Auf politischer Ebene zeichnet sich bereits ab, dass auch das BGB von den Regierungsparteien zur Umsetzung ideologischer Ziele genutzt wurde. Die Parteien MSZP, LMP sowie die Bürgerrechtsgruppe TASZ forderten den Präsidenten auf, verschiedene Gesetze über das Verfassungsgericht prüfen zu lassen. Bei einigen Punkten herrschen auch Zweifel an der Übereinstimmung mit europäischem Recht.

Verheiratet (miteinander!) und fünf eigene Kinder, mutmaßlich alle heterosexuell und mit geputzten Zähnen! Familie Orbán lebt den konservativen Familienbegriff vorbildlich.

So wurden unverheiratete Paare im Erb- und Familienrecht deutlich benachteiligt, trotz einer bereits existenten und sich auf die neue Verfassung beziehenden Rechtsprechung des Verfassungserichtes, das im Dezember das Familienschutzgesetz wegen einer zu "engen Definition der Familie" zur Nachbesserung abwies. Der Familienbegriff der Regierungspartein wurde zwischenzeitlich durch einen umfangreichen Vorschlag zur Verfassungsänderung so eingeengt, dass er bald im Kerntext der Verfassung auftauchen wird, was dem VfG - findet es keine andere widersprechenden Aspekte wie z.B. die Menschenwürde - keine Einspruchsmöglichkeit mehr lässt.

Laut BGB und Verfassungstext sollen als "Familie" nur noch verheiratete Paare (Mann, Frau) mit wenigstens einem Kind oder Alleinerziehende mit Kind gelten, weder verheiratete Kinderlose, noch unverheiratete Paare mit Kindern (!), schon gar keine gleichgeschlechtlichen Paare, womit auch das relativ liberale Partnerschaftsrecht der Vorgänger endgültig und - wegen der Verfassungsfestschreibung - irreparabel getilgt wurde. Daraus ergeben sich tiefgreifende Auswirkungen aufs Erbrecht, aber auch auf steuerliche Fragen sowie auf die Berechtigung zur Wohnbauförderung und für andere an “Familien” gebundene Förderungen. Für das Familienrecht wurde eine eigene Sektion im BGB geschaffen, unter das Unverheiratete nur "teilweise fallen, wenn ein Kind in die Beziehung geboren wurde und diese Beziehung mindestens ein Jahr hält", also im Zweifel darf das dann ein Richter definieren, Rechtssicherheit sieht anders aus.

Weitere Bedenken gibt es über eine ganze Reihe der bei Fidesz so typischen Last-Minute-Änderungen. Abgeordnete und Bürgerrechtler stoßen sich an einem Passus, der, so ihre Auffassung, es den "einschlägig bekannten Oligarchen" des Landes ermöglichen könnte, "Milliarden öffentliche Gelder beiseite zu schaffen". Das neue BGB gibt nämlich Teilnehmern an öffentlichen Ausschreibungen die Möglichkeit, die Ausschreibungsunterlagen sowie die darauf fußenden Verträge als "Geschäftsgeheimnis" zu qualifizieren und unter Verschluß zu halten. Das neue BGB lagert dazu die Angelegenheit an das ebenfalls neue Datenschutzgestz aus, das entsprechend ausgestaltet wurde.

Eine komplette kritische durchsicht des umfangreichen Gesetzeswerkes steht noch aus.

red.

 

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