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(c) Pester Lloyd / 07 - 2013   KULTUR 12.02.2013

 

Zauber und Schrecken der Provinz

Zum letzten Mal? "Das andere Ungarn" in der Kunsthalle

Das ländliche Ungarn ist eine beliebte Projektionsfläche der Nationalkonservativen für die ideale Nation. Bescheiden, fromm, arbeitsam und heimattreu werkeln die Bauern, die natürlichen Ressourcen schätzend und leben die uralte Tradition der sesshaft gewordenen Magyaren. Die Landfrauen erziehen die Jugend in diesem Sinne, hier gibt es keine Dekadenz, keinen Drang nach Liberalismus, nicht mal Homosexualität. Die Realität sieht natürlich anders aus. Aber wie?

...strukturelle Rückständigkeit führten vielerorts zu Armut, Hunger und Hoffnungslosigkeit. Die soziale Ausgrenzung der größten Minderheit, ihre Selbstaufgabe und durch ihr Elend verstärkte Spannungen mit der Mehrheit, insgesamt fehlende Perspektiven zeichnen die andere Seite der Medaille. Die ländliche Provinz wird im zentralistischen Ungarn überwiegend von einer vergessenen Gesellschaftsschicht bewohnt. Vom Lande starten die Hungermärsche der "Sozialisten", auf dem Lande haben aber Fidesz und Jobbik auch ihre stärkste Wählerbasis. Das Land selbst ist zur Beute von Funktionären geworden, von der heiligen Erde zur Maßeinheit für EU-Subventionen verkommen.

Imre Bukta ist ein in der ungarischen Kunstszene populärer Maler. Der Künstler hat sich dieser komplexen Thematik als Inspiration für seine Bilder und Installationen angenommen. Seine Ausstellung mit dem passendem Namen "Das andere Ungarn" beleuchtet die Widersprüche zwischen ländlicher Rückständigkeit und dem Willen der Modernisierung, mit den dort lebenden Menschen als Medium, Opfer und Beteiligte. Die Transformation von Traditionen, die Entfremdung und Zerstörung der Natur, zerfallende Architektur, die Krise von Moral, der täglich verzweifelte Kampf sozial ausgegrenzter Menschen - mit diesen Themen wird der Besucher von Bukta´s Ausstellung konfrontiert.

Dem Künstler gelingt es durch sich wiederholende Motive, technische Erneuerungen der Moderne der Zerissenheit und dem Aufholbedarf der Menschen gegenüberzustellen. Die soziale Frage, mit der sich die städtische Welt bereits arrangiert zu haben scheint, ist auf dem Land noch hochaktuell. Moderne Motive von Kettensägen und Traktoren in den Weiten der Ackerlandschaft wirken in Komposition mit traditionell gekleideten Bauern, deren Höhepunkt des Tages ein Bier in der düsteren Dorfkneipe ist und die sich mit dem Fahrrad fortbewegen, bizarr.

Durchläuft man die Ausstellung, ergreift einen trotz des Paradoxons der Welten doch irgendwie ein vertrautes, sicheres Gefühl. Vielleicht sind es die vielen Elemente der Natur, denen Bukta sich bedient. Schweine, weite Landschaften, Kürbisse, Mais und die Sicherheit bei Gott: Elemente, nach denen man sich als Stadtbewohner in komplexer Welt voll von Unbeständigkeit und Konstrukten sehnen kann. Bukta selbst wurde 1952 in Mezöszemere, einem 1300-Seelendorf in der Nähe von Miskolc, geboren. Das "andere Ungarn"kennt er, es liegt ihm am Herzen.

 

Interessierte können Bukta´s Ausstellung noch bis zum 17. März 2013 in der Budapester Kunsthalle am Heldenplatz besuchen. Der Eintritt kostet 1.800 Forint (ca. 6.- EUR), die Kunsthalle hat Dienstags bis Sonntags von 10-18 Uhr geöffnet. Es lohnt sich die Ausstellung zu besuchen, denn die tieferen, Fragen aufwerfenden Reflexionen dieses Kunstinstitutes werden bald ein Ende nehmen. Die Mücsarnok wurde unter die Kuratel der "Kunstakademie" MMA gestellt und von deren schwarzbraunem Präsidenten Fekete mit einem "national gesinnten" Direktor bestückt, als der alte, selbst von den Konservativen entsandte, die Gleichschaltung nicht mehr mittragen wollte. Die MMA kündigt uns nun "Nationale Kunstsalons" an, keine "nationalblasphemischen" Ausstellungen mehr, wie Fekete die vorangegangene Schau "Was ist Ungarisch?" abqualifizierte. Die Provinz hat Einzug gehalten in Budapest. Heute noch so, morgen dann so.

Saskia Bücker, red.

 

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