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(c) Pester Lloyd / 08 - 2013   BOULEVARD 22.02.2013

 

Kulturgut Suff

Regierung von Ungarn verteidigt steuerfreies Schnapsbrennen gegen die EU

Neues, hochprozentiges Konfliktpotential bahnt sich zwischen Ungarn und der EU an. Es geht um eine der wichtigsten "geistigen" Errungenschaften der Orbán-Regierung: die Steuerbefreiung für privat gebrannten Pálinka. Die EU sieht in dem Freibrandbrief eine unlautere Wettbewerbsverzerrung, die Regierung will überhaupt kein Problem erkenn und das "Kulturgut" "für seine Bürger" bis vor die letzte Instanz verteidigen.

Mit der Begründung, dass es sich bei der privaten Destillation von Obstbränden um eine alte ungarische Tradition, ein quasi existentielles Kulturgut handelt, in das der Staat nicht einzugreifen habe, führte die Regierung gleich nach Amtsantritt 2010 im Rahmen ihres ersten Sofort-Programmes die Regelung ein, wonach bis zu 50 Liter 86%iger Pálinka, also Schnaps aus der Destillation von Obst oder bis zu 400 Liter 50%iger Fusel pro Haushalt pro Jahr steuerfrei bleiben, solange sie für den "Eigenbedarf" dienen und nicht verkauft werden. Für alle darüberliegenden Mengen oder jede Flasche die verkauft wird, wird die übliche Alkoholsteuer von 1.380 Forint (um die 5 EUR) je Liter reinen Alks fällig.

Die EU hat damit jedoch ein Problem, denn der Freibrief benachteiligt nach ihrer Ansicht die Marktteilnehmer, die mit der Herstellung und dem Verkauf von solchen Getränken ihr Auskommen bestreiten, daher handelt es sich um eine unlautere Wettbewerbsverzerrung, die beseitigt gehört. Die Europäische Kommission verlangte von der Regierung in Budapest nun eine "begründete Stellungnahme", die Vorstufe zu einem Vertragsverletzungsverfahren. Die Antwort kam prompt und lautet: "die Regierung verlangt für seine Bürger nur die Rechte, die auch andere EU-Bürger haben", daher sei die Regel in "vollstem Einklang mit EU-Recht." "Zweifellos und basierend auf historischen Traditionen, ist die Destilierung von Pálinka Teil des ungarischen Kultrerbes". Im weiteren verweist man auf "ähnliche Regelungen in Österreich, Deutschland, Slowenien und Portugal" und sei bereit, seine Position auch vor dem Europäischen Gerichtshof zu verteidigen, schreibt - passenderweise - das Ministerium für Nationalwirtschaft, dessen Hausherr schon für so manches Prosit gesorgt hat.

 

Wissende Leser mögen uns berichtigen, aber nach unserer Kenntnis bezieht sich die Steuerbefreiung bei der Herstellung von Alkohol in Deutschland im Rahmen des Branntweinmonopols nur auf die Erzeugung für medizinische Zwecke. Auch müsste sich die Orbán-Regierung die Frage stellen lassen, wie man 400 Liter, also 800 Flaschen Schnaps pro Jahr und Haushalt mit "privatem Gebrauch" erklären will und wie das mit dem sonst so betont begründten Kampf um die "Volksgesundheit" mit Chipssteuer auf "ungesunde" Lebensmittel und die strengen - und nun auch forciert kontrollierten - Nichtrauchergesetze in Einklang zu bringen ist. Auch könnten die kleinen Pálinka-Manufakturen des Landes viel eher als Kulturgut eingestuft werden, halten diese doch die ländlich-handwerkliche Tradition von Qualitätspálinka viel eher aufrecht als die meisten privaten Schwarzbrenner mit ihren zum Teil abenteuerlichen "Blindmachern" aus zusammengefegtem Fallobst und allem, was irgendwie Zellulose enthält.

Natürlich liegt die bösartige Unterstellung auf der Hand, die Orbán-Regierung sieht es ganz gern, wenn die ländliche Bevölkerung, bei derFidesz seine größte Wählerbasis hat, sich in einen Dauerdämmerzustand trinkt, denn nicht Weniges von dieser Regierung ist eigentlich nurmehr im Suff zu ertragen. Soll die Freibrennerei allerdings zur Wiederwahl anstiften, dann, mit Verlaub, dürften 400 Liter pro Jahr und Familie bei weitem nicht ausreichend sein...

 

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