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(c) Pester Lloyd / 14 - 2013   WIRTSCHAFT 04.04.2013

 

Teurer Kurzschluss?

Energiepreissenkungen in Ungarn zwischen Populismus und wirtschaftlichem Risiko

Die ausländichen Multis und die "Kommunisten" sind mal wieder Schuld. Auch an zu hohen Müll- und Heizungskosten. Wieder wird der Staatsanwalt und die geballte Legislativ- und Exekutivmacht der Regierungspartei für "das Volk" in Stellung gebracht, um Senkungen der Energie- und Kommunalkosten durchzusetzen. Risikoabwägungen und alternative Instrumente, um dieses hehre Ziel zu erreichen, werden ausgeblendet, Hautpsache die PR stimmt - koste es später auch, was es wolle...

10% weniger für Strom und Gas sind schön, aber wie sieht die Gesamtbilanz unter Orbán aus?

Nachdem die Regierungspartei Fidesz mit einer Gesetzesänderung die - vorerst - 10%ige Senkung der Preise für Strom, Gas und Fernheizung für Privatkunden durchgesetzt hatte, will man sich nun um die verpsprochenen Tarifsenkungen bei kommunalen Dienstleistungen wie Müllabfuhr, Wasser- und Abwasser etc. kümmern. Dies geht, wie immer im heutigen Ungarn, nicht ohne politischen Aufruhr ab. Wir hatten über dieses Thema immer wieder berichtet, die aktuellen Entwicklungen bieten einen guten Anlass für eine Zusammenfassung der wichtigsten Aspekte.

Heizungskosten für Parteistiftungen?

Derzeit lässt der zuständige Regierungskommissar Szilárd Németh Ermittlungen seitens der Staatsanwaltschaft und der staatlichen Energiebehörde gegen den Ex-Oberbürgermeister von Budapest, Gábor Demszky (SZDSZ) einleiten. Der Vorwurf: "überhöhte Rechnungen für Fernheizungskosten" seitens des städtisch beaufsichtigten Versorgers in den Jahren 2007/08. Németh behauptet, dass Demszky mit den unzulässigen Mehreinnahmen "verschiedene Stiftungen" unterstützt habe, wurde aber nicht konkret. Er habe eine entsprechende Sachverhaltsdarstellung an den Chefankläger weitergeleitet.

Ebenfalls im Visier sind über 700.000 Wasserrechnungen des französischen Konzerns GDF Suez, die nicht nach "den seit Februar geltenden neuen Regeln" ausgestellt worden sein sollen, das Unternehmen müsse mit Rückzahlungen von umgerechnet rund 25 Mio. EUR an die Kunden rechnen, so Németh. Anhand eines Musterprozesses möchte Németh auch das Gebaren von Müllentsorgern gerichtlich überprüfen lassen, so hätten sich die Müllentsorgungsgebühren in der Stadt Dunavecse "plötzlich verdoppelt", obwohl das Gesetz nur Anhebungen bis max. 4,2% pro Jahr erlaubt. "Das Parlament werde keinerlei Tricks zulassen, um die Regulierungen zu unterlaufen", so Németh vor Medienvertretern am Donnerstag.

Entwicklung der Strompreise in den letzten 8 Jahren, oranger Balken Normaltarif pro 10 Kilowattstunden, schwarzer Balken ermäßigter Tarif z.B. Nachtspeicheröfen etc.

Kostensenkungen nach Wählerverhalten - Sogar sterben soll billiger werden

Die 10%ige Kürzung der Energietarife sowie weitere angekündigte, zentral gesteuerte Preissenkungen werden von der Regierungspartei als große Sozialmaßnahme gefeiert und als eines der Hauptargumente für eine gewünschte Wiederwahl im kommenden Jahr ins Felde geführt. Mit Unterschriftenlisten, für die man sich extra die legislative Genehmigung für die direkte Sammlung an den Wohnungstüren erteilte, versicherte man sich dafür der Unterstützung des "Volkes". In Ankündigungen wurden weitere Kostensenkungen für das Frühjahr 2014 in Aussicht gestellt, also vom Wahlergebnis abhängig gemacht. Dabei stehen sogar auch die Kohlepreise und die Bestattungskosten auf dem Wunschzettel der Volksbeglücker. Ja, wenn sogar das sterben billiger wird...

Erst nahm man ihnen das Brot, nun wirft man die Krümel zurück

Die soziale Wohltat wird sowohl von Experten als auch von der politischen Opposition stark in Zweifel gezogen. Zum Einen kommen die Preissenkungen allen zu Gute, nicht nur den bedürftigen Geringverdienern. Letztere sind durch den Wegfall der Steuerfreibeträge mit Einführung der Flat tax, massiv erhöhte Verbrauchssteuern und den überproportional hohen Preisanstieg bei Grundnahrungsmitteln jedoch derart zusätzlich belastet, dass sich die Senkung der Stromkosten kaum bessernd auf die Lebensumstände auswirkt. Oppositionsführer Gordon Bajnai kommentierte die Regierungsaktion denn auch als reinen PR-Trick: "...zuerst hat man den Menschen das Brot genommen, nun wirft man ihnen die Krümel zurück".

Echte Sozialmaßnahmen werden verweigert

Eine Absenkung der Mehrwertsteuersätze auf Lebensmittel, mit 27% bzw. 18% den höchsten Europas, verwirft die Regierung seit Jahren, letztes Argument war, dass das den klammen Staatshaushalt bis zu 240 Mrd. Forint (ca. 800 Mio. EUR) Einnahmen kosten würde. Das ist ungefähr die Hälfte dessen, was der Staat durch seine 16%ige Flat tax-Umverteilung dem oberen Einkommensdrittel jährlich zu Gute kommen lässt. Außerdem verliert der Haushalt, nach der Schätzung externer Experten, jährlich rund 500-800 Mrd. HUF durch sogenannte Karussel-Geschäfte, betrügerische Scheingeschäfte zur Erschleichung von Mehrwertsteuerrückerstattungen, die durch die hohen Steuersätze in Ungarn besonders lohnend sind. Diese Ausfälle könnte man durch die Anpassung der Steuersätze an den EU-Schnitt bedeutend senken und so diese wirkliche Sozialmaßnahme problemlos gegenfinanzieren.

Entwicklungen des Gaspreises (Forint / 10 Kubikmeter)
Daten: KSH, Grafiken: MTI

Den Ausländern das Geschäft madig machen und dann abnehmen

Neben dem Wahlkampfkalkül verfolgt die Fidesz-Regierung mit dem Energiepreisvorstoß auch den Plan, internationalen Konzernen das Engagement in Ungarn madig zu machen, mit dem Argument sie würden seit Jahren überhöhte Preise verlangen und Milliardengewinne ins Ausland schaffen. Durch die gesetzliche Gewinnreduktion will man die Tochtergesellschaften sozusagen sturmreif schießen, um sie dann zu günstigen Preisen übernehmen oder einfach aus dem Geschäft drängen zu können. Wo das nicht sofort klappt, wird ein Versorgungsbereich, wie z.B. die Müllentsorgung, per Dekret zum Kommunal- oder Staatsmonopol erhoben.

Unter dem Logo der "nationalstrategischen Bedeutung" hat man u.a. einen Anteil an der MOL erworben, von dieser zudem ein strategisches Gaslager in die Obhut der staatlichen MVM zurückgekauft, die auch zwei E.ON-Gastöchter erwarb. Alle drei Geschäfte zusammen kosteten den Haushalt bereits rund 3,5 Mrd. EUR bzw. 3,5% des BIP. Die oben erwähnte GDF Suez wurde in Pécs 2010 bereits per Handstreich enteignet, die Firma Saubermacher aus Österreich systematisch von ihren Geschäftsfeldern abgeschnitten. Interessanterweise stöhnen die Menschen aber auch dort unter hohen Kosten und Gebührensprüngen, wo die kommunalen Dienstleistungen längst in "ungarischer Hand" sind...

Wohnnebenkosten, einschl. Energiekosten pro Kopf und Jahr

Politische Übertreibungen, wirtschaftliche Risiken

Grundsätzlich ist die Regulierung der Wohnnebenkosten, die beim Durchschnittsungarn einen enorm hohen Anteil seines verfügbaren Einkommens ausmachen, als sinnvoll und im Rahmen der staatlichen Aufgabe des Schutzes des sozialen Friedens als notwendig zu bewerten. Allerdings geht die Umsetzung unter dieser Regierung sowohl mit politisch absurden Fremdschuldthesen und Stellvertreterkriegen als auch einer Aushebelung rechtsstaatlicher Abläufe einher. So echauffierte sich Premier Orbán kürzlich im Parlament über ein Gerichtsurteil, das eigentlich nur nüchtern feststellte, dass die staatliche Energiebehörde laut der derzeitigen Gesetzeslage kein Recht habe, in die Netzentgelte der Versorger einzugreifen. Das Urteil sei "skandalös", er lasse sich von "einem Gericht nicht die Politik für die Menschen kaputtmachen". Die Gesetzesänderung war eine Formsache.

Innoations- und Investitionsschub wird verhindert

Dabei hätte man auch andere Instrumente zur Hand. So sind z.B. die Ausschreibungen für die Zuschüsse (fast alles EU-Gelder) zur energetischen Gebäudesanierung und Aufrüstung mit Erneuerbaren Energietechnologien (für 2013 rund 50 Mrd. HUF) bereits nach einem Tag um das Vierfache überzeichnet gewesen. Ein Zuschlag für die Forderung kommt fast einem Lottogewinn gleich. Energie sparen aber wäre nicht nur ökologisch, sondern auch finanziell viel reizvoller als eine Pseudoentlastung mit der Gießkanne. Außderm könnte das Land dadurch einen dringend notwendigen Investitionsschub und ein Anstieg von Know how auf diesem weiten Feld erfahren.

Der Staat überschreitet sein Können und Sollen

Die strikte Gangart der Regierung lässt aber jede vernünftige Abwägung dieser Art vermissen. Der Staat tritt nicht als Kontrolleur auf, sondern übernimmt die Facharbeit selbst. Ökonomen warnen in diesem Zusammenhang vor einem weiteren Vertrauensverlust der Investoren, die notwendige Instandhaltungen und Investitionen zurückfahren könnten. RWE hat bereits 50% der Investitionen für dieses Jahr abgesagt, E.ON will bald ein Kraftwerk verkaufen und weitere Anteile in Ungarn abstoßen. Eine gänzlich von ausländischen Unternehmen autarke Energieversorgung bleibt aber in der heutigen, vernetzten Welt eine Illusion und ist auch gar nicht erstrebenswert, so wichtig eine Regulierung ist, wie nicht nur Ungarn weiß.

 

Der Staat bzw. seine Strukturen übernehmen mit einem größeren Anteil an der Versorgungsleistung auch eine höhere Verantwortung für die Versorgungssicherheit, für die er gar nicht qualifiziert und auch nicht vorgesehen ist. Ob diese Verpflichtung mit geringeren Einnahmen, dem Einfluss lokaler Parteiplatzhirsche und der Abhängigkeit der staatlich kontrollierten Versorger von der zentralen Budgetlage zu gewährleisten ist? Allein schon die Einkaufspower der Großkonzerne auf dem internationalen Markt lässt sich nicht einfach so kopieren, abgesehen vom Handling und dem technischen Know how. Einfach nur ein immer größeres AKW genügt dazu nicht, wiewohl das nicht wenige "Strategen" dieser Regierung glauben.

Schon eher ist auch dieser Schritt als eine energiepolitische Fortführung des allgemeinen Machtrausches zu sehen, den die Fidesz-Partei seit 2010 auslebt und der sich nicht "nur" auf politische, verfassungsrechtliche Fragen beschränkt, sondern absolut ist und mit dem auch das Risiko eines späteren Scheiterns, auf Kosten der heute angeblich so entlasteten Bürger, enorm ansteigt und sich die Energiepreissenkung als teurer Kurzschluss und die Übernahme der Versorgungsmacht als Größenwahn mit Bumerangeffekt herausstellen könnte.

red.
 

 

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