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(c) Pester Lloyd / 18 - 2013   WIRTSCHAFT 03.05.2013

 

Kraft durch Gutschein

Milde Gaben im Untertanenstaat: das Erzsébetprogramm in Ungarn

Die Regierung Orbán vertieft auch im Freizeitsektor ihre Ambitionen, möglichst alle Lebensbereiche der Menschen zu kontrollieren. Selbst das Thema Erholung und Urlaub wird immer mehr verstaatlicht. 2013 fahren schon rund 135.000 junge Ungarn mit dem "Erzsébet Programm" in den Urlaub, staatlich gestützt und gelenkt. Vor allem auf die Kinder hat man es mit der "Kraft durch Freude"-Variante abgesehen, einer weiteren Facette des Fidesz-Ständestaates.

Auf den ersten Blick erscheint das Programm schlüssig und nachahmenswert. Arbeitende Menschen, die sich und auch ihren Kindern einen Urlaub immer weniger leisten können, kommen über ein staatlich gefördertes Programm in den Genuss erholsamer Tage in der Natur, Verpflegung und Rahmenprogramm eingeschlossen. Doch das überschwengliche Selbstlob, mit dem die Regierung den Stand des "Erzébet-Programmes" darstellt, macht stutzig: "In Ungarn haben prozentual mehr Menschen Zugang zu rekreativen Soziallagern als irgendwo sonst in Europa." sagt der Minister für den öffentlichen Dienst und die Justiz, Vizepremier Navracsics auf einer Pressekonferenz. "Wir sind damit im Spitzenfeld Europas und in vielen Bereichen sogar Europa weit voraus. Das ist ein Beispiel dafür, dass diese Regierung sozial agiert, nicht nur mit Worten, sondern auch mit Taten."

Fahnenapell am Rande der Puszta. Erzsébet-Lager mit uniformiertem Personal. Nationale Pfadfinder? Pionierauferstehung? Das Foto stammt von der offiziellen Webseite des Regierungsprogramms.

135.000 Menschen, davon 72.000 Kinder, der Rest meist Jugendliche und Großfamilien, werden in diesem Jahr vom 17. Juni bis 24. August in den Genuss von staatlich organisierten Ferienlagern und Urlaubsprogrammen kommen. Während man im Vorjahr gerade ein Dutzend Camps zu Stande brachte, werden es in diesem Jahr schon über 50 sein, vermeldet die Programmkoordinatorin Anna Nagy. Man würde gern noch knapp 20 Lager mehr anbieten, habe aber derzeit nicht genügend Angebote von Betreibern. Mit den Vouchern könnte man aber auch aus einer Reihe von Pensionen wählen (das Angebot hält sich jedoch in engen Grenzen.)

Jedes Kind habe gleichen Zugang zu dem Programm, Unterschiede gibt es nur bei der finanziellen Beteiligung der Eltern. Übersteigt das Pro-Kopf-Einkommen der erwachsenen Familienmitglieder 98.000 Forint (also den gesetzlichen Mindestlohn) beträgt der Kostenbeitrag für einen Lageraufenthalt 10.000 Forint (33 EUR), liegt das Einkommen darunter, dann zahlt man nur symbolische 1.000 bis 2.000 Forint.

Die meisten Ferienlager werden im Osten des Landes abgehalten, wo alte Betriebsferienheime notdürftig aufgehübscht wurden, plötzlich Campingplätze aus dem Boden wachsen und so mancher Bauer schnell ein Feld für ein Zeltcamp plattwalzte, dankbar für die Fördergelder aus Budapest. Mit der Überprüfung der Betreiber der Camps nimmt man es dabei oft nicht so genau, so schilderten Eltern im Vorjahr, dass sich mancher bei der Verpflegung mehr als sparsam gab und einige Kinder berichteten von Kasernenhofton. Auch kulturelle Begleitprogramme waren oft zweifelhafter Natur, Ausflüge zu nationalen Weihestätten, Gottesdienste im Lager und in Kirchen sowie magyarische Stammeslehre einschließlich revisionistischer Anmerkungen von zweifelhaften Gestalten, gehörten zum "Rahmenangebot". Fahnenapelle waren Pflicht. In Schulen werben sogar Betreiber paramilitärischer Trainingscamps erfolgreich um Teilnehmer. Die andere Seite: es gab auch eine Reihe Lager, die der reine Spass waren, die Kinder spielten Theater, gingen baden, machten Ausflüge, motivierte Betreuer standen zur Seite, alles war bestens.

Das "Érzsebet"-Programm, dass ein Gutschein- bzw. Voucher-System darstellt, das weit über diese Ferienlagerangebote hinausgeht und u.a. auch bei Lebensmittelgeschäften und anderen kleinen Händlern akzeptiert wird, stellt eine Art zweiter Lohntüte dar, so wie es früher - im "Sozialismus" - die staatlichen Preissubventionen waren. Unternehmen ordern, steuerbegünstigt, die Voucher und verteilen sie als Prämien oder - allzu häufig - zweite Lohnsäule an ihre Mitarbeiter. Die Unternehmen sparen so Lohn- bzw. Lohnnebenkosten, der Staat kann sich dafür sicher sein, dass die Werte wieder im ungarischen Wirtschaftskreislauf landen, vorzugsweise bei den Unternehmen, die bei "Erzsébet" dabei sind. 2/3 der Unternehmen davon seien "rein ungarisch", freut sich Zoltán Guller, Regierungskommissar für das Programm, natürlich, CBA und andere Fidesz-Versorgungseinrichtungen sind auch dabei. Immerhin 86 Milliarden Umsatz brachte dieser zweite Wirtschaftskreislauf 2012, in diesem Jahr sollen es schon 130 Milliarden HUF, also rund 400 Mio. EUR sein, nur rund 1% davon fallen auf die Ferienlagerprogramme.

 

Kritiker halten die ganze Aktion für eine Mogelpackung, ökonomisch, fiskalisch und vor allem sozial. Anstatt durch eine angepasste Wirtschafts- und Steuerpolitik den Menschen ordentliche Gehälter zu zahlen, versucht man Unternehmer durch ein Steuerschonmodell bei Laune zu halten, das diejenigen, die in den "Genuss" der Voucher kommen, letztlich bevormundet. Viel lieber nämlich würden auch ungarische Arbeiter ans Mittelmeer oder den Balaton statt in den staubtrockenen Osten reisen und ihren Kinder das Ferienlager selbst aussuchen, aber sie können nicht. Wollte diese Regierung, wie sie sich selbst lobt, wirklich sozial handeln, hätte sie nie eine Flat tax einführen dürfen, die nur Besserverdienern mehr brachte, müsste staatlich geförderte Korruption unterbinden und die selektive Sozialpolitik einstellen, den Mehrwertsteuersatz auf Lebensmittel vom Europarekord 18-27% absenken und den Rahmen dafür schaffen, dass die Leute ihre Grundbedürfnisse selbst befriedigen können - kurz: sie müsste ihren Job machen. Die Ferienlager-Wohltaten schätzen Ökonomen genauso “sinnvoll” ein wie die 10%ige Energiepreissenkung für alle: erst nimmt man den Menschen das Brot, dann wirft man ihnen die Krümel zurück...

Die Anzahl und der Anteil prekärer Arbeitsverhältnisse sind unter Orbán nochmals gestiegen, die Armut grassiert, viele Menschen müssen am Nötigsten sparen, durch die Forex-Blase (für die Orbán nichts kann, für die - wiederum selektive - Folgenbeseitigung allerdings schon) sind auch viele aus der Mittelschicht abgestürzt. Diese verstärkt geschaffenen Schichten nehmen die Wohltaten von "Érzsebet" murrend an, weil ihnen gar nichts anderes bleibt. Ihre Kinder werden derweil in den Lagern zu national gesinnten Wesen erzogen. Denn das, die materielle und mentale Kontrolle, ist der eigentliche Zweck des Programms. Diese Art der Herablassung, die Menschen erst zu verarmen und zu entrechten, um sie dann mit wohldosierten Gnadenakten ruhig zu stellen, auch noch als europaweit beispielhaft herauszuposaunen, ist ein Zynismus, der nur noch den uniformierten Beobachter Ungarns überraschen sollte.

cs.sz.

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