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(c) Pester Lloyd / 18 - 2013   POLITIK 30.04.2013

 

Rauchzeichen des Widerstands

Tabakhandelsskandal in Ungarn weitet sich zur Staatsaffäre aus

Die Vergabe der Handelslizenen für Tabakwaren, die ab Juli einem staatlichen Monopol unterliegen, wächst sich immer weiter zu einem staatstragenden Skandal aus. Es geht dabei längst nicht mehr nur um die Dreistigkeit, mit der sich die Regierungspartei einen Wirtschaftszweig zur Selbstversorgung aneignete, sondern auch darum, dass sie das gesamte Volk für dumm verkauft. Wache Bürger und unabhängige Medien machen nun zusammen mit der Opposition mobil, die alten Regierungsparolen von fremden Mächten ziehen plötzlich nicht mehr, man könnte den Bogen überspannt haben...

Über die zwar erwarteten, in ihrer unverhohlenen Eindeutigkeit aber doch überraschenden Ergebnisse der ersten Ausschreibungsrunde berichteten wir bereits ausführlicher, über die dreiste Nachreichung einer gesetzlichen Gewinngarantie von 10% für die Lizengewinner, haben wir hier informiert.

Flächendeckende Schiebung aufgeflogen

Nun kam ans Licht, dass bei etlichen Ausschreibungsverfahren überhaupt keine irgendwie gearteten Regeln angewandt wurden und die Vergabe der besten Standorte vielerorts per Zuruf in den meist Fidesz-dominierten Gemeinderäten von Statten ging. Die Ergebnisse wurden dann der Nationalen Tabakhandelsbehörde gemeldet, die diese "Wahl" dann als Ausschreibungsergebnis übernahm. Sowohl Medien als auch Oppositionsparteien sehen darin gleich mehrfachen Amtsmissbrauch, Transparency International spricht vom "Gipfel der Korruption" und "staatlichem Raub". Die Sozialisten (MSZP) wie auch andere Parteien reichen nun Klage bei der Staatsanwaltschaft ein, Zeitungen, andere Medien und Bürgerrechtsgruppen rufen Bürger auf, Unregelmäßigkeiten zu berichten und forderten zugleich eine Offenlegung der Ausschreibungsunterlagen sowie eine Annullierung der Ausschreibung.

Das Rauchen schadet Ihnen und ihrer Umgebung und der Tabakhandel schadet dem ganzen Land...
Übrigens: die Marke gibt es wirklich....

"Die Kádárzeit ist zurückgekehrt"

Die MSZP sagte, dass es ein Unding sei, dass etliche eingeführte Tabakhändler leer ausgingen, während massenhaft Fidesz-Freunde und Verwandte zum Zuge kamen, die noch nie etwas mit diesem Business zu tun hatten. Die LMP sagte, dass "die Kádár-Zeit endgültig nach Ungarn zurückkgekehrt ist", auch LMP-Schiffer will die Sache vom Staatsanwalt behandelt wissen und alle Dokumente offenlegen lassen. Die aufstrebende Wahlallianz Gemeinsam 2014 hat bereits am Montag eine Tatsachendarstellung an die Polizei geliefert, in dem "der Verdacht des Amtsmissbrauchs" formuliert und belegt wird. Die ausschreibende Behörde habe politische Vorgaben erhalten, damit die Fidesz-Wahlkampfmaschine ein (illegales) Finanzierungsnetz bekomme. Ein Jobbik-Abgeordneter beklagte sich, dass die Regierungspartei ein landesweites Netz von "Tabakbaronen" installiere.

Fidesz mit der alten Leier: alles linksliberale Verschwörungen und Lügen der Multis...

 

Die Regierung schoss mit den gleichen Argumenten zurück, mit denen sie auch die "Angriffe" auf internationaler Ebene pariert. Allerdings dürften die stehenden Sätze wie "Alles ist eine unverschämte Lüge" oder "Es ist eindeutig, dass die multinationale Tabaklobby und die ständig Hysterie verbreitenden linken Parteien hinter der Affäre stecken", wie sie am Montag von Fidesz-Sprecher Kocsis kamen, diesmal nicht weit tragen, denn "das Volk" versteht sehr wohl, was in den letzten Tagen ablief, Amtsmissbrauch und Korruption sind ja kein neues Phänomen in Ungarn und die "Tabaklobby" hat am System des Einzelhandels relativ wenig Interesse, solang nur der Gesamtumsatz stimmt.

Orbán will nun 12 statt 10% Garantiegewinn

Orbáns Kabinettschef, János Lázár versuchte es auf am Montag auf eine ähnlich plumpe Tour, die schon sehr an den "Ich liebe Euch doch alle"-Sager Mielkes erinnerte und meinte, die Regierung wolle doch nur das Rauchen und den Schwarzmarkt einschränken und die Jugend schützen, das habe doch mit politischer Einflussnahme nichts zu tun. Im bevorzuge der Premier nun eine garantierte Gewinnmarge von 12% statt der von ihm vorgeschlagenen 10%, "um damit illegale Zahlungen der Tabakindustrie an die Händler zu unterbinden". Die durchschnittliche Gewinnmarge hätte man damit ungefähr verdreifacht - und: garantiert. Da dürfte auch interessant sein, was die EU dazu meint. Lázár, dem als Bürgermeister von Hódmezövásárhely diverse Kontakte in die Branche nachgesagt werden, war es übrigens auch, der im Vorjahr die ganze Geschichte mit dem Tabakmonopol ins Rollen brachte, damals war er noch Fidesz-Fraktionschef. Bald könnten auch der Handel mit Alkoholika und Lotto-Losen unter Staatsmonopol fallen, natürlich alles nur zum Schutz der Nation...

Sämtliche Bewerbungen landeten bei den "Parteisekretären"

Interessant ist, wie die Geschichte ins Rollen gekommen ist. Nachdem die Namenslisten der Konzessionisten die Runde machten und im Internet von wachen Bürgern, die Funktionen und Parteimitgliedschaften sowie die vielfältigen Verwandschaftsverhältnisse hinzugefügt wurden, nahm die Sache erst richtig Fahrt auf als ein Fidesz-Interner dem Magazin HVG am Freitag steckte, was in den kommunalen "Volksvertretungen" so abgelaufen war. Danach ging es nicht um einige Absprachen besonders dreister Vertreter, sondern es seien "sämtliche Bewerberlisten bei den Fidesz-Wahlkreisabgeordneten, also sozusagen den Parteikommissaren gelandet, die dann dazu ihre "Kommentare" abgegegen" hätten. Fidesz-Sprecher Kocsis auch dazu wieder: "Alles Lüge...!"

Ein Szekszárder Fidesz-Abgeordneter, der Details zu den Abläufen der Vergabe weitergab, darf sich nun auf die Rache seiner Partei gefasst machen. Ákos Hadházy habe “falsche Aussagen” getätigt, “nichts davon stimme mit der Realität überein”, es habe “weder auf Fraktionssitzungen noch bei irgendwelchen anderen Meetings irgendwelche Absprachen oder politischen Vorgaben” gegeben, ließ die Fidesz-Fraktion in einer Aussendung wissen. Ob Hadházy, im sonstigen Leben Arzt, aus demokratischem Gewissen gehandelt hat oder weil er bei der Vergabe womöglich übergangen wurde, ist nicht überliefert, es hat aber Seltenheitswert, dass ein Fidesz-Mandantar sich öffentlich zu Verfehlungen seiner eigenen Partei äußert.

Bitte um Mithilfe

Die einschlägigen NGO´s, also TI Ungarn sowie TASZ sattelten drauf und riefen, zusammen mit unabhängigen Medien, darunter das Transparenznetzwerk atlatszo.hu, HVG, index.hu, K-Monitor und origo.hu die Bürger auf, doch noch mehr Details - gern auch anonym - zu sammeln und zu berichten, die man dann geschlossen per Anfrage weiterleiten werde, an die Behörden und an die Gerichte.
www.tasz.hu

Indizien für den Stand von Rechtsstaat und Restdemokratie

Der weitere Umgang der Behörden und der Justiz mit diesem offensichtlichen Fall von Betrug am Volk, Selbstbereicherung, Korruption, Amtsanmaßung und Machtmissbrauch, kann und wird interessante Einblicke in den Stand von Rechtsstaat und Restdemokratie in Ungarn liefern. Auch wenn dieses Thema im Vergleich mit sonstigen Sauereien bei öffentlichen Auftragsvergaben, der Schiebung mit Agrarsubventionen und EU-Geldern sowie dem Land-Grabbing fast eine Kleinigkeit darstellt, könnte sich die Regierung diesmal verrechnet, den Bogen überspannt haben, denn diesmal taugt kein außerungarischer Feind mehr als Rechtfertigung, war kein linksliberalen Netzwerk zu zerschlagen und keinem abstrakten Nationenfeind oder nervigen Österreicher mit Taschenvertrag der Kopf abzuschlagen.

Diesmal ist es nur der unmittelbare, offene und zynische Raub. Eine Anmaßung, die jeder in seinem Dorf, vor der eigenen Haustür sehen, in diesem Falle riechen kann. Und es stinkt vielen sehr, wie die Reaktionen im Internet zeigen. Der Bürger und seine Wut senden vielleicht bald wieder kenntliche Rauchzeichen des Widerstandes, auch wenn der Anlass dazu eher trivial erscheint.

red

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