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(c) Pester Lloyd / 31 - 2013   POLITIK 30.07.2013

 

Blockwahl in Siebenbürgen?

Streit über Wahlprozedur für Ungarn im Ausland

Am 1. August startet die für Auslandsungarn mit ungarischem Pass notwendige Wählerregistrierung. Dabei genügt es, wenn die Betroffenen ihren Willen, an der Parlamentswahl im Frühjahr 2014 in Ungarn teilzunehmen, per E-Mail, Brief oder Online-Registrierung kundtun. Der Ablauf der Wahl selbst sorgt für Kontroversen, die Opposition sieht Tür und Tor für Manipulationen geöffnet, die Regierung sorgt sich um die "Sicherheit" der ethnischen Schwestern und Brüder.

Laut der staatlichen ungarischen Wahlkommission haben insgesamt 420.000 Personen den ungarischen Pass nach dem neuen, vereinfachten Verfahren erhalten. Die Auslandsungarn haben dabei nur das aktive Wahlrecht für Landeslisten von Parteien, dürfen also weder selbst kandidieren, noch Stimmen für die Erlangung von Direktmandaten abgeben. Die Zahl der Wahlberechtigten ingesamt erhöht sich damit gegenüber der vorigen Wahl um immerhin 5 Prozentpunkte.

An dem Verfahren gibt es - aus verschiedenen Ecken - weitreichende Kritik, u.a.:
- es ensteht ein Wahlrecht zweiter Klasse
- im Ausland lebende Bürger bestimmen Politik mit, deren Konsequenzen sie nicht tragen müssen
- das Wahlrecht für Auslandsungarn ist ein Angriff auf die Loyalität gegenüber dem Land, in dem sie leben und damit eine Attacke auf die staatliche Souveränität der Nachbarn
- die Art und Weise der Registrierung und der geplante Ablauf der Wahl öffnet Manipulationen Tür und Tor, Orbáns Partei schaffe sich hierdurch ein undurchschaubares Instrument zur Wahlfälschung und eine 5. Kolonne von Stimmbürgern zur Sicherung seiner Macht

Gerade über letzteren Punkt, den Ablauf der Wahl außerhalb Ungarns, wird in Ungarn gerade heftig gestritten. Der Chef der staatlichen Wahlkommission (deren Mitglieder durch die Regierungsmehrheit bestimmt wurden), will ausschließen, dass "es überhaupt möglich ist, dass jemand Stimmen unter anderen Namen abgeben könne" oder sonst irgendwie Manipulationen möglich sind.

Eine Sprecherin der Oppositionsallianz Gemeinsam 2014 sieht das ganz anders: es gäbe eine ganze Reihe von "Schlupflöchern" für Manipulationen. So sei es möglich, an Botschaften oder Konsulaten seine Stimme ohne jede Identifikation abzugeben, behauptet Ilona Palffy, ja, es sei sogar möglich, dass eine einzelne Person die Stimmen aus einem ganzen Dorf sammelt, um sie dann in einem Konsulat abzugeben oder sogar über die Grenze nach Ungarn zu bringen oder per Sammelpost zu senden. Dies würde das Prinzip der geheimen Wahl unterminieren.

Palffy riet der Wahlkommission, sich an dem international gängigen Modell für die Briefwahl zu orientieren. Dem regstrierten Wähler sind zwei Umschläge zur Rücksendung zuzusenden, in den äußeren kommen die persönlichen Daten zum Abgleich mit dem Wählerregister samt eidesstattlicher Erklärung, dass man seine Stimme selbst abgegeben hat. In den inneren Umschlag kommt der Wahlzettel mit der Stimmagbabe. Dieser Umschlag wandert - nach Überprüfung der Gültigkeit der Wählerregistrierung - ungeöffnet in die Wahlurne und wird bei der Auszählung zusammen mit allen anderen Stimmen geöffnet und ausgezählt.

Die Regierungspartei lehnt dieses Verfahren ab, weil die Zustellung der Wahlunterlagen zu "Schikanen" seitens der Behörden der Nachbarländer führen könne, die sich an den ungarischen Patrioten wollen könnten, Dass man sich diese Unterlagen auch aus dem Internet laden oder anonymisiert zustellen kann, davon will man bei Fidesz nichts wissen. Deren Vorschlag: die Büros der ethnischen Minderheitenparteien sollen als Wahllokale dienen - freilich sind die fast alle auf Linie des Fidesz und daher nicht gerade ein Garant für "freie, gleiche, geheime" Wahlen.

Gerade reisten die "Führer der ethnischen, ungarischen Parteien im Karpathenbecken" (O-Ton MTI) zur sog. Sommerakademie nach Siebenbürgen, um Orbán Rapport über die Zahl der Wahlberechtigten und vor allem die Zahl der Wahlwilligen zu geben. Trend: rund 60-70% der "neuen" Staatsbürger, so die Aussagen der "Bezirksleiter", wollen ihre Stimmen abgeben, im Kernland will das heute nur rund die Hälfte. Wo die Zahlen der "nationalen Front" noch nicht befriedigend sind, können Orbáns Leute noch durch die eine oder andere "Förderung" nachhelfen.

Beobachter gehen davon aus, dass fast alle ethnischen Ungarn in den Vortrianongebieten, die sich extra die Mühe machten, einen Pass zu beantragen und sich für die Wahl zu registrieren, auch einer "national" gesinnten Partei die Stimme geben werden. Auf dieses Potential vertrauend, versichert die Regierungspartei, dass man "alles" für eine faire Wahl tun werde. Doch kann man Fidesz vertrauen?

 

Soeben wurde ein Fidesz-Gemeindevorsteher, Vater des Parteisprechers Máté Kocsis, gerichtlich der Wahlfälschung 2010 überführt. Er hat einfach einige Dutzend Menschen aus einem Nachbarort in seiner Gemeinde polizeilich registriert, bei sich und seinen Verwandten angemeldet und für sie mitgewählt. Fidesz-Generalsekretär Kubatov hat sich - ebenfalls 2010 - dabei filmen lassen, wie er - in Ungarn illegal - Gesinnungslisten über Wähler in Pécs anlegen lässt, die auf Haustürbefragungen von Parteiaktivisten, Anrufen und sonstigen "Recherchen" beruhten. Das Video sollte als Lehrfilm für andere Parteistrukturen dienen.

Auch das neue Wahlrecht in Ungarn selbst, die Zugangshürden, die Neuziehung der Wahlkreisgrenzen (Gerrymandering) und die ganz offen beschlossenen Behinderungen der Opposition im Wahlkampf werfen, zusammen mit der grenzüberschreitenden Mobilisierung die Frage auf, ob in Ungarn freie Wahlen überhaupt noch möglich sind.
Dieser Beitrag versucht sie zu beantworten.

red.

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