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(c) Pester Lloyd / 37 - 2013   POLITIK 10.09.2013

 

Das Parlament stört

Parlamentspräsident von Ungarn legt Bekenntnis zur Autokratie ab

Eine besonders offenherzige Meinung vertritt - einmal mehr - der ungarische Parlamentspräsident László Kövér. In einem Interview mit dem Infórádió am Montagabend, aus Anlass der Eröffnung der Herbstsitzungen des "Hohen Hauses", beklagte der Fidesz-Mann und offiziell höchste Hüter des Parlamentarismus, dass das Parlament "zu viel Einfluss" auf die Regierungsarbeit habe, diese hemme.

Mit mehr "exekutiven Vollmachten ausgestattet", könne die Regierung sich doch viel besser um die "tagtäglichen Herausforderungen" kümmern und "Entscheidungen über Dekrete umsetzen", ohne "jedes Detail" vorher von den Gesetzgebern beschließen lassen zu müssen. Dieser Vorschlag zeugt von Realitätsbewußtsein und ist nur konsequent: ist das Regieren durch Dekrete ohnehin schon Alltagspraxis, die dazu nötigen Gesetze werden dann nach Belieben ins Parlament eingebracht und dort von der Fidesz-KDNP-Mehrheit durchgewunken, angesichts der Machtverhältnisse wahrlich ein unnötiger bürokratischer Aufwand. Parlamentsdebatten folgen nur noch einem formalen Ritus, Konsultationen mit "Sozialpartnern" und "NGO´s" beschränken sich auf befreundete Verbände oder regierungstreue Schein-Vereine wie die "Friedensmärschler". "Regierungskommissare" koordinieren heute die Interessenslagen der verbundenen Unternehmen und Organisationen und bereiten alles Nötige vor. Fraktionssitzungen haben mehr Gewicht als Parlamentssitzungen.

Mit Verfassungsgerichtseinsprüchen wird ebenso verfahren, seit dem Verfassungsputsch auch rechtlich einfwandfrei: das betreffende Gesetz wird entweder abgewandelt, um formal zu entsprechen oder der als verfassungswidrig beanstandete Gegenstand wird einfach zum Teil der Verfassung gemacht und damit der Beurteilung entzogen, ob es sich dabei um Fragen der Steuersätze oder der menschlichen Würde handelt, ist einerlei. Dass ein Parlament - neben der Gesetzgebung - vor allem aber auch eine kontrollierende Funktion zu erfüllen hat, haben die Mächtigen in ihrem Rausch schon längst nicht mehr auf dem Schirm.

Kövér fordert also nicht mehr als die Einschränkung eines kostspieligen und zeitaufwendigen Scheinparlamentarismus und nicht weniger als das offene Bekenntnis zur Autokratie. Kövér ist zwar selbst für Fidesz-Verhältnisse ein ausgesprochener Hardliner und Paradebeispiel eines populistischen Haudraufs (Nyirö-Verehrung, Slowakei-Sager), doch seine Verachtung des Parlamentarismus, ja der Demokratie durchaus Fidesz-Mainstream. Sein Chef Orbán deutete bereits einmal an, dass - angesichts der Herausforderungen der globalen Krise - womöglich bald "andere Regierungsformen als die gewohnte parlamentarische Demokratie notwendig sein werden".

 

Kövér weiter: da sich die Zahl der Abgeordneten ab 2014 verringern wird (um rund 45%), sollte sich auch die Zahl der Parlamentsausschüsse verkleinern, die Sitzreihen im Parlament will er aber nicht umbauen lassen, denn er will das "ästhetisch schöne Ambiente erhalten". Zu dem zählt auch der Umbau des Parlamentsvorplatzes, Kossuth tér, der sich durch die Hochwasserschäden leider verzögert. Der geplante Rückbau auf den "Zustand von 1944" wird aber vor den Wahlen im kommenden Frühjahr abgeschlossen sein. Der schöne Schein wird also gewahrt, das Parlament als Museum der Demokratie.

Auch für die Tagespolitik seiner Partei hatte Kövér noch ein paar Tipps auf Lager. Die Regierung solle die Wohnnebenkosten so lange reduzieren, bis die Gewinne der Versorgerkonzerne auf ein "faires Level" gesenkt seien. Denen bleibt immer noch genug Geld für Investitionen und Rücklagen, denn sie haben schließlich jahrelang ihre "Extragewinne repatriiert".

Die Demokratieablehnung Kövérs gibt der Opposition Gelegenheit die Reihen enger zu schließen: am Dienstag traten die Chefs von MSZP und “Gemeinsam 2014” vor die Medien und verlangten den sofortigen Rücktritt des Parlamentspräsidenten. Sie seien schockiert über Kövérs Äußerungen, dem wohl nicht klar sei, dass das Parlament die Regierung zu kontrollieren habe. Kövérs Äußerungen seien der verbale Höhepunkt des seit drei Jahre anhaltenden Abbaus von demokratischen Kontrollinstanzen und Prinzipien. Solche Äußerungen zeigten, wie wichtig die Rolle der Opposition ist, damit Ungarn nicht vollends in die Diktatur abgeleitet.

Update, 11.09.: Am Dienstagabend hat Kövér auf die Kritiker reagiert und seine Äußerung “erklärt”. Er meinte, dass er sich wünsche, dass die Regierung weniger “Anlassgesetze” verabschiedet, sondern sich mehr um ihre Aufgabe, die des Regierens und Umsetzens von Gesetzen kümmert. Dazu bedürfe es besserer Arbeitsteilung. Dies sei also genau das Gegenteil dessen, was die Opposition in seine Äußerungen hereininterpretiert habe. Kövér schloss seine Erwiderung mit den Worten: “Wenn Dummheit von Bösartigkeit begleitet wird, wird es zerstöererischer als mehrere Hiroshima-Bomben.” - Ob er damit die Opposition oder sich meinte, sagte er nicht dazu.

red.

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