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(c) Pester Lloyd / 38 - 2013       WIRTSCHAFT 20.09.2013

 

Reallohn und Realität

Neue Zahlen zum Einkommen in Ungarn

"Die Regierungspolitik steckt hinter dem andauernden Trend wachsender Reallöhne in Ungarn!". So lautet die euphemistische Betitelung der jüngsten Lohnstatistiken durch die Orbán-Propaganda. In Wahrheit ändert sich im Lohngefüge nichts zum Guten, die grundsätzlichen Ungerechtigkeiten wachsen weiter: Besserverdiener verdienen besser, die Niedriglöhner, also die Bevölkerungsmehrheit, bleibt wo sie war. Auch die Schere zwischen manueller Tätgkeit und Bürojobs geht weiter auf.

Das Statistische Zentralamt KSH beziffert den durchschnittlichen Bruttolohn in Ungarn für Vollzeitbeschäftigte, gemessen in Unternehmen mit mindestens fünf Angestellten und dem öffentlichen Dienst, für die Monate Januar bis Juli 2013 mit 228.400 Forint (umgerechnet rund 770.- EUR). Danach hat sich das Bruttoeinkommen nominal um 3,2%, das Nettoeinkommen um 4,6% gegenüber dem Vorjahreszeitraum erhöht, "real" sollten das 2,5% mehr sein.

Mitarbeiter in der Privatwirtschaft erhielten brutto im Schnitt 19.000 Forint mehr pro Monat als Staatsbedienstete. Das Monatsbrutto für Teilnehmer an den Kommunalen Beschäftigungsprorgrammen (ca. 200.000) betrug 77.500.- HUF (260.- EUR). Anm.: der gesetzliche Mindestlohn in Ungarn liegt bei 98.000 HUF.  - Das Durchschnittsbrutto in der Finanz- und Versicherungswirtschaft war mit 484.400 HUF mehr als doppelt so hoch wie der Landesschnitt, IT und Energiewirtschaft folgten mit 431.000 bzw. 389.000 Forint. Wie üblich finden sich Hotelerie und Gastwirtschaft mit 145.000, Sozial- und Pflegedienste mit 152.000 sowie Land- und Forstwirtschaft mit 165.000 Forint am Ende der Lohnkette. Der öffentliche Dienst erhielt zudem noch rund 10.000 Forint pro Nase extra als "Kompensation" für die Lasten aus der Transaktionssteuer, eine Entlastung, die dem Normalbürger nicht zugestanden wurde und deshalb verfassungswidrig ist, was aber in Ungarn - wie bekannt - die Regierenden nicht mehr bekümmert.

Die Nettolöhne werden für die Gesamtwirtschaft im Schnitt mit 149.600 Forint (505.- EUR) ermittelt, wobei die Schere zwischen körperlicher Arbeit (103.000 Forint) und Bürotätigkeit (198.300) weiter gewachsen ist. Der nominale Zuwachs war in der freien Wirtschaft mit 5,1% etwas höher als bei den steuerfinanzierten Behörden und Non-Profit-Unternehmen mit 4,8% bzw. 3,2%. Gesamtwirtschaftlich ergibt sich so ein Nettoplus von 4,6%, das abzüglich der offiziellen Teuerungsrate von 2,1% bis Juli also einen Zuwachs des Realeinkommens von 2,5% im Schnitt ergeben müsste. Die Inflationsrate ist derzeit auf einem Rekordtief (August: 1,3%), verursacht durch die gesetzlichen Senkungen der Wohnnebenkosten. Diese kommen, absolut wiederum den Besserverdienern mehr zu Gute als den Bedürftigen, da sie für alle prozentual gleich hoch angesetzt wurden., obwohl Besserverdiener auch pro Kopf einen viel höheren Verbrauch, der zudem über das Lebensnotwenige hinausgeht (Pool, Zweitdusche, mehr zu heizende Quadratmeter etc.) haben als die "unteren Schichten".

Der Reallohnzuwachs ist in der realen Realität also eine Chimäre, vor allem weil der Anteil des Einkommens, den die untersten Einkommensschichten für Grundbedürfnisse, Grundnahrungsmittel etc. ausgeben müssen, deutlich höher ist und dort die Teuerung wesentlich höher liegt als im gesamten "Einkaufskorb". Auch die zusätzlichen Steuerbelastungen treffen, naturgemäß, die Einkommensschwachen schwerer, weil sie diese Zusatzbelastungen aus dem lebensnotwendigen Teil ihres Einkommens zu tragen haben, die Reichen nicht. Zudem sagt der "Durchschnittslohn" nichts darüber aus, wieviele Menschen nur den Mindestlohn erhalten bzw. wie hoch der Anteil der Bevölkerung unter dem Durchschnittswert ist. Hierzu müsste man die Medianwerte hinzuziehen, die uns das KSH nicht ermitteln will. Eine Zahl sagt aber viel über die Zustände aus: die bestverdienenden 10% kassieren rund 30% des gesamten Einkommens, vor vier Jahren waren es noch 22%. Die untersten 10% erhalten 4% der Gehälter und Löhne. Durch die Flat tax haben die oberen Einkommensschichten im Schnitt 37% mehr Nettogehalt erhalten, während die Freibeträge für die Normal- und Niedrigverdiener gestrichen wurden.

 

Fazit: die ständische Gestaltung der Steuerpolitik (Flat tax) und der Lohnpolitik (Kommunalbeschäftigte) vertiefen die sozialen Gräben, der herbeigezauberte Reallohnzuwachs im Schnitt der Messung ist aus Steuermitteln finanziert, sozial unausgewogen und nicht nachhaltig, die Wirtschaft verharrt wegen der Unwägbarkeiten der Politik im stand by und kann so kaum eigene Impulse setzen, die Einkommenssituation für die Mehrheit der Ungarn hat sich nicht gebessert, auch wenn man - wieder im nicht aussagekräftigen Schnitt - einen dicken Brocken an schwarzem Einkommen hinzurechnen sollte.

Die Regierung beharrt darauf, dass die Reallöhne in den kommenden Monaten permanent weiter steigen werden, schon aufgrund der von ihr festgelegten weiteren Absenkungen der Wohnnebenkosten. Die Opposition las aus den Zahlen des KSH indes ein Detail heraus, das den offiziellen Jubelmeldungen zuwiderläuft. Aus der Einzelaufstellung ergibt sich, dass die Zahl der Beschäftigten, trotz Hinzuzählung der Kommunalen Beschäftigungsprogramme, erstmals auch in der offiziellen Statistik gegenüber dem Vorjahr rückläufig ist.

red.

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