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(c) Pester Lloyd / 23 - 2014 POLITIK 05.06.2014

 

Der Origo-Skandal: Deutsche Telekom verscherbelt Rest von Pressefreiheit in Ungarn: Updates, Statements, Kommentar

Lázár spielt sich als Inquisitor auf - weiterer Redakteur geht aus Protest - Wiki-Leaks belegt politischen Hintergrund - Lázár belohnt Telekom mit Breitbandausbau - Regierung und Telekom besprachen Origo-"Problem" bereits vor Jahren - Konzernzentrale leugnet Einflussnahme und verhöhnt Pressefreiheit - größter Eigentümer Bundesregierung ist am Zug - Montagsdemo am 9. Juni vor dem Parlament

Hier gehts zum Hauptartikel: Die Origo-Affäre oder Business as usual

UPDATE, 5.6., 20:31 Uhr: Die Magyar Telekom hat sich ein weiteres Mal zu Wort gemeldet und wiederum vehement bestritten, dass es politischen Druck auf das Unternehmen selbst oder Origo gegeben habe. - Am Donnerstag hat fast das gesamte Nachrichten-Team, insgesamt 10 Redakteure von Origo.hu ihre Firma verlassen. Man könne und wolle unter den Umständen der Entlassung des Chefredakteurs nicht mehr für Origo.hu arbeiten

Telekom-Vorstandschef Höttges im Februar 2014 mit Ungarn-Vorstandschef Orbán

Am Mittwoch verlangte Staatssekretär János Lázár vom gekündigten Chefredakteur des Newsportals www.origo.hu einen "unmissverständlichen, öffentlichen Widerruf der Behauptung, dass ich oder irgendein Regierungsmitglied Druck auf ihn ausgeübt habe, zurückzutreten." Wenn dem so sei, dann solle er Namen und Umstände nennen, ansonsten "widerrufen". Der Vorwurf der Druckausübung wurde allerdings gegenüber dem Origo-Management, viel mehr aber noch gegenüber dem Telekom-Management vorgebracht. Gergő Sáling hatte nie behauptet, dass auf ihn durch Lázár oder einen anderen Kapazunder Druck ausgeübt worden sei.

Inzwischen hat ein weiterer Redakteur, nämlich der Verfasser des Artikels über Lázárs Luxushotelrechnung, die
Auslöser für die Affäre war, aus Protest gegen den Rausschmiss des Chefredakteurs Origo.hu verlassen, bereits am Vortag schmiss einer der Gründer hin.

Beim ungarischen WikiLeaks
www.atlatszo.hu wurde zeitgleich ein Mitschnitt der Redaktionssitzung vom Dienstag veröffentlicht, auf dem zu hören ist, wie der Geschäftsführer des Portals die Redakteure dazu verdonnert, dass es sich bei der Kündigung nicht um politische Hintergründe sondern eine "strategsiche Neuausrichtung" handelt. Die Kollegen reagieren auf die Vorgabe mit Hohn und Protest, im Laufe des hitzigen Streits wird die Intervention seitens der Eigentümer immer deutlicher.

"Zufällig" wurde am Mittwoch - ausgerechnet durch János Lázár - angekündigt, dass "bis 2018 jeder ungarische Haushalt Zugang zu mobilem Breitbandinternet" haben werde. Strategischer Partner für das von der Regierung u.a. mit EU-Geldern forcierte und durch den Telekom-Oberboss im Februar in Budapest fixierte Projekt: T-Mobile, Tochter der Magyar Telekom, des Eigentümers von Origo.hu. Die zeitliche Nähe der Ankündigung ist weder ein Zufall, noch ein ungeschicktes Timing, sondern ein unverhohlenes Machtstatement Lázárs, der damit zum Ausdruck bringt, wie der Hase in Ungarn läuft.

Mittlerweile macht eine tiefergehende Version über das Protal 444.hu die Runde, wonach das heutige Telekom-Vorstandsmitglied Kerstin Günther, die bis Ende 2013 u.a. als "Vice President for Regulatory Affairs at Magyar Telekom" geführt wurde und damit unmittelbar mit der Regierung bzw. Medien- und Frequenzbehörde zu tun hatte, bereits seit Jahren in Verhandlungen, - auch mit János Lázár - über die Rolle von origo.hu stand. Schon 2012 - im Prozess der Verlängerung bzw. Neuausschreibung lebensnotwendiger Mobilfunkrequenzen - soll dieser in einer 150seitigen Vergleichsstudie die Oppositionslastigkeit von origo.hu - im Vergleich zum Staatsportal hirado.hu - nachgewiesen haben und zumindest um "mehr Zurückhaltung" gebeten haben.

Origo.hu wurde als ein Problem, eine Hürde kommuniziert. Ein Wink mit dem Zaunpfahl, den Frau Günther aus "strategischen Gründen" verstanden haben dürfte. Denn nicht nur Frequenzen und öffentliche Aufträge in Ungarn hängen am Goodwill der Regierung, auch der gerade abgeschlossene Erwerb der GTS Central Europe, eines hochmodernen Glasfasernetz- und Datenzentrumsbetreibers in ganz Ostmitteleuropa, rentiert sich nicht von allein. Man stelle sich bei diesem Rückgrat des Managements der Telekom vor, was wohl für ein "Widerstand" gegen Forderungen zur Herausgabe von persönlichen Kunden- und Verbindungsdaten zu erwarten ist.

Die Telekom-Konzernzentrale in Bonn wie ihre Filiale vor Ort in Budapest reagierte auf Mediennachfragen zu den skandalösen Vorgängen bei ihrem News-Portal origo.hu äußerst schmallippig: dass der Deutschen wie der Magyar Telekom die Pressefreiheit ein hohes Gut sei und man mit den - rein aufgrund strategischer Überlegungen bei Origo - getroffenen Entscheidungen nichts zu tun habe. Man sei zwar Eigentümer, das Portal arbeite aber völlig "unabhängig", hieß es z.B. auf die Nachfrage der Kollegen von
www.index.hu sowie auf der Webseite von origo.hu selbst. Auch der deutschsprachige www.verfassungsblog.de nahm das Thema auf, er erhielt die gleiche Antwort.

Wenn Christopher Mattheisen, CEO der Magyar Telekom substantielleres als seine Bonner Kollegen zum Thema beisteuern möchte, steht ihm unsere Zeitung natürlich offen, für übliche Phrasen gibt es andere “Medien”. Denn was die Bonner PR-Leute ablieferten, ist eine faustdicke Lüge: denn jeder Eigentümer hat Durchgriffsrechte, bei Aktiengesellschaften sogar Durchgriffspflichten gegenüber seinen Beteiligungen.

Wenn man also nicht gewillt oder fähig ist, die Angelegenheit im Sinne freiheitlicher Grundrechte zu reparieren, wenn man glaubt, die kritische Öffentlichkeit an der Nase herumführen und wie die eigenen Konzernschafe mit ein paar Neusprech-Floskeln abspeisen zu können, wäre ein Verkauf von origo.hu (am besten gleich direkt an das Amt des Ministerpräsidenten) und der Rückzug der Telekom aus dem ihr offenbar völlig wesensfremden Pressebereich die konsequenteste Lösung. Der Presse- und Meinungsfreiheit hat man bereits genug geschadet.

 

Da der deutsche Staat mit 31,9% (14,5% direkt, 17,4% über die bundes- bzw. ländereigene Kreditanstalt für Wiederaufbau) der mit Abstand größte Aktionär der Telekom ist, wäre es am Eigentümervertreter, also der Bundesregierung, ihre Aufsichtsmacht zu nutzen, um die Telekom von weiteren Verletzungen freiheitlich-demokratischer Grundrechte, ob in Ungarn oder sonstwo abzuhalten. Dazu bedürfte es aber politischer Einsicht und Willens, beides ließ die Bundesregierung im Verhalten zur Orbán-Regierung bisher konsequent vermissen.

Betroffene, Sympathisanten und Bürgerrechtler haben für 9. Juni zu einer "Montagsdemo", 18 Uhr vor dem Parlament in Budapest, Kossuth tér, aufgerufen. Im Zentrum steht dabei die Rolle von János Lázár als Symbol für den Machtrausch der Orbán-Regierung, der Orbán-Imitator als Impresario einer ganzen Skandalkette: Fasanenjagd, Werbsteuer, Luxushotels, Origo, Landnahme, Angriff auf Norwegen-Fonds etc. etc. Es geht aber auch um Solidarität mit den Kollegen, denen die Pressefreiheit mehr bedeutet als der Zugang zu öffentlichen Geldquellen... Zum Aufruf:
https://www.facebook.com/events/586271888155324/

Mittlerweile protestierte auch “Reporter ohne Grenzen” gegen die abrupte Kündigung des Origo-Chefredakteurs

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red. ms.

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