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(c) Pester Lloyd / 42 - 2014 WIRTSCHAFT 16.10.2014

 

EU spricht von Raub: 1. Vertragsverletzungsverfahren wegen Bodengesetz in Ungarn

Die EU-Kommission hat am Donnerstag ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn wegen des neuen Bodengesetzes eingeleitet. Brüssel beklagt geänderte und verkürzte Übergangsfristen, die in der EU garantierte Schutzrechte für Investoren verletzen. Viele andere rechtlich zweifelhafte Aspekte und Rechtsunsicherheiten werden von dem Verfahren jedoch gar nicht tangiert. Und schon gar nicht die “Rechtspraxis”.

“Nach Auffassung der Kommission beschränken die ungarischen Rechtsvorschriften die Rechte ausländischer Investoren in einer Weise, die möglicherweise gegen das EU-Recht zum freien Kapitalverkehr und zur Niederlassungsfreiheit verstößt”, hieß es aus Brüssel. Konkret beanstandet die EU-Kommission eine Bestimmung aus dem ungarischen Gesetz vom Dezember 2013, mit dem bestimmte Nießbrauchverträge (Recht auf Bewirtschaftung und Erträge) am 1. Mai 2014 beendet werden, die in Ungarn übrigens pauschal - ob registriert oder nicht - als unrechtmäßge Taschenverträge qualifiziert und damit ungültig gemacht wurden. Den Nießbrauchern wurde nach Angaben der Kommission eine Übergangsfrist von lediglich viereinhalb Monaten eingeräumt. Damit sei die zuvor angekündigte Übergangszeit von 20 Jahren hinfällig geworden.

 

“Die Investoren waren auf der Grundlage dieser zuvor bekannt gegebenen Übergangszeit davon ausgegangen, dass sie die Grundstücke weiter nutzen könnten, und haben entsprechende Investitionsentscheidungen getroffen. Das neue Gesetz scheint sie nun ihrer erworbenen Rechte und des Wertes ihrer Investitionen zu berauben”, so die dazu herausgegebene Erklärung der Kommission. Bei Eingriffen in Eigentums- bzw. Kapitalrechte könnten die nationalen Regierungen zwar eigene Wege gehen, diese müssen aber auf der Basis von EU-Recht und wohl begründet sein.

Die gesamte Erklärung der EU-Kommission dort:
http://europa.eu/rapid/press-release_IP-14-1152_de.htm

Ungarn hat jetzt zwei Monate Zeit zu einer Stellungnahme. Wird diese von der Kommission nicht akzeptiert, erfolgt von dort eine Aufforderung zu entspr. Gesetzesänderungen. Werden diese nicht vorgenommen, geht die Sache vor den Europäischen Gerichtshof. Stellt dieser dann letztinstanzlich die Unrechtmäßigkeit der obigen Verordnung fest, müsste der ungarische Staat die Folgekosten aus den seit 1. Mai laufenden Vertragsaufhebungen bzw. Rückübertragungen (vulgo Enteignungen) bzw. deren Rückabwicklung vornehmen.

Vor allem in Österreich nahm man die Nachricht mit Genugtuung auf, man schätzt, dass ungefähr 200 Agrarunternehmer mit zusammen rund 200.000 Hektar Nutzflächen in Ungarn (ca. 4% der gesamten Agrarfläche des Landes) von den "Neuausschreibungen" ihrer Flächen betroffen sind. Der Nationale Bodenfonds vergibt seit 2010 bevorzugt an Fidesz-Günstlinge, der "Fidesz-Landraub" ist zum geflügelten Begriff der ungarischen Opposition - links wie ultrarechts geworden.

Doch nicht nur Österreicher, auch Deutsche, Niederländer und andere EU-Ausländer sind in größerer Zahl betroffen. Einige Landwirte berichteten bereits davon, dass Landpächter  bzw. -eigentümer ob des Inkraftretens des Bodengesetzes bereits selbst Hand angelegt haben und sich die Ernte, die eigentlich dem Nießnutzer zusteht, einfach einkassierten. Auch schlägt vielen auf Ämtern und in Dörfern offener Ausländerhass entgegen sowie Drohungen, dass man sie bald davonjagen würde.

Neben den großen Landwirten gibt es noch viele, die zum Teil mit tatsächlich illegalen Taschenverträgen wirtschafteten. Diese sind hinsichtlich der Art des Ausstiegs seit 1. Mai auf die Gunst des Pächters bzw. Eigentümers des Bodens angewiesen. Ihnen drohen verschärfte Haftstrafen, wenn sie die Absprachen nicht rechtzeitig beendet oder gemeldet haben. Ihr Tun war - genauso wie das ihrer ungarischen Strohmänner - jedoch bereits vor dem neuen Bodengesetz strafbar, weshalb sich die Aufregung hier in Grenzen halten sollte. Als Hintergrund: Ungarn ist eines der wenigen Länder der EU, in denen Pachterträge steuerbefreit sind. Auch darüber könnte die Kommission einmal nachdenken.

 

Rechtsunsicherheit besteht jedoch auch für etliche ausländische Ferienhausbesitzer, deren Haus, Grund und Gärten auf Flächen liegen, die - je nach Laune der Bürgermeister oder der neu eingesetzten "Bodenkomitees" - als agrarisch nutzbar eingestuft werden können und so den Eigentümern bzw. Besitzern abspenstig gemacht werden. Ähnlich ging man bereits bei der Hin- und Herdeklaration von Naturschutzarealen vor.

Auch das Vorkaufsrecht des nationalen Bodenfonds gekoppelt mit einer freihändigen Preisgestaltung ist EU-untersuchungswürdig, aber nicht Teil des o.g. Verfahrens, ebensowenig wie die Entmachtung der Gerichte. Laut Bodengesetz entscheiden nämlich die Staatsanwälte, ob ein Vertrag für nichtig zu erklären ist und das Land eingezogen wird, die Richter dürfen dann nur noch die Umschreibung im Grundbuch anordnen.

Offiziell und rein theoretisch steht EU-Ausländern in Ungarn seit 1.1. pro Kopf 1 Hektar Agrarland zur Pacht zu. Auch diese grundsätzliche Beschränkung verstößt gegen die zwischen Ungarn und der EU ausgehandelte Fristenlösung.

Weitere Details zum Bodengesetz sowie Links zu Fallbeispielen

red. / cs.sz.

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