THEMA: WAHLEN UNGARN 2014

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(c) Pester Lloyd / 07 - 2014   WIRTSCHAFT 13.02.2014

 

Politisierte Erde

Aktuelle Entwicklungen zum neuen Bodengesetz in Ungarn

Die staatliche Wahlkommission hat ein Referendumsgesuch der Jobbik vorerst abgewiesen. Derweil bleiben die wesentlichen Fragen des neuen Bodengesetzes offen: die Entmachtung der Gerichte, der Eingriff in bestehende Verträge, die Rechtsunsicherheit vor allem für Ausländer. Die österreichische Bauernlobby ist erbost und auch ein weiteres Vertragsverletzungsverfahren der EU scheint im Frühjahr unausweichlich.

Der Verkauf von "ungarischer Erde" an Ausländer sei "Landesverrat". Der Sturm der Jobbik-Leute auf das Parlamentspräsidium im Vorjahr wurde übrigens mit 130.000 Forint Geldbuße geahndet. Als die Grünen kürzlich eine Sirene gegen den AKW-Deal heulen ließen, wurden 840.000 Forint verhängt...

Die staatliche Wahlkommission hat den Antrag zur Initiierung eines rechtsverbindlichen Referendums über die künftigen Vergabekriterien von Agrarland in Ungarn seitens der neonazistischen Partei Jobbik in dieser Woche abgelehnt und machte dafür formale Gründe geltend. Die Antragsteller hätten Antrag und Unterstützungsunterschriften auf zwei separaten Papieren eingereicht, das Gesetz verlangt aber, dass beides "auf dem gleichen Blatt Papier zu stehen hat", so Ilona Palffy von der Wahlkomission. Gegen den Bescheid kann nicht berufen werden, allerdings steht es der Partei offen, den Antrag erneut einzubringen.

Jobbik machte das Thema zu einem zentralen Punkt seiner Wahlkampagne. Das neue Bodengesetz bestimmt, dass Ausländer hinfort nur noch maximal 1 Hektar Land käuflich erwerben können, jeder darüber hinausgehende Erwerb ist erst nach einem schwer durchschaubaren Genehmigungsverfahren möglich, also ohne entsprechende Drähte praktisch unmöglich. Die Regierungspartei will damit sowohl ihre Politik der "Bodenrettung" vor "ausländischen Spekulanten" erfüllen, als auch der EU vorauseilend entgegenkommen, in dem man den Kauf nicht gänzlich verbietet. Konform mit EU-Regeln ist das Gesetz dennoch nicht, denn im Mai läuft die letzte für Ungarn mögliche Übergangsregel zu Restriktionen für EU-Ausländer beim Landerwerb aus, ein Vertragsverletzungsverfahren ist damit unausweichlich.

Jobbik geht das neue Bodengesetz aber noch nicht weit genug, die Partei verlangt eine "Anpassung der Verträge mit der EU", wonach Agrarland in Ungarn künftig ausschließlich "vom Staat, von religiösen Organisationen oder von ungarischen Privatpersonen besessen werden darf." Über ein Referendum in zeitlicher Nähe zu den Wahlen Anfang April wollte man aber nicht nur den Sachdruck auf die Regierung erhöhen, sondern vor allem das Sentiment potentieller Anhänger befeuern.

Probleme mit dem neuen Bodengesetz gibt es auch bei ausländischen Pächtern. Mit Inkraftreten des Gesetzes im Mai, werden alle - auch noch gültigen und laufenden - Pachtverträge mit Ausländern aufgehoben und neu ausgeschrieben, allein rund 200 österreichische Bauern sollen davon betroffen sein. Diese werden bei Neuausschreibungen kaum Chancen auf einen Wiederbesitz haben, zumal der Staatliche Bodenfonds in den vergangenen Jahren vor allem Fidesz-Günstlinge mit Pachtverträgen bedachte. Österreich, vor allem die starke (ÖVP-)Bauernlobby im Lande, beklagt den Eingriff in laufende Verträge als nicht rechtskonform, als eine "Enteignung". Der ungarische Landwirtschaftsminister lehnte ein Gespräch mit seinem österreichischen Amtskollegen ab, was zu weiterer Verstimmung führte.

 

Als rechtsstaatlich besonders gefährlich ist eine weitere Gesetzesanpassung anzusehen, die künftig Staatsanwälte auf Emfpehlung einer beim zuständigem Ministerium angesidelten Kommission dazu berechtigt, Verträge als "Taschenverträge" zu klassifizieren, was zur "Rückübertragung" des Landes an den Staat und Strafverfolgung der Vertragspartner führen kann, ohne dass zunächst ein Verfahren vor einem ordentlichen Gericht stattfindet. Richter hätten dann erst ein Wort mitzureden, wenn die Inkrominierten die Entscheidung beeinspruchen. Zunächst sollten Richter sogar dazu gezwungen werden, auf "Weisung" der Staatsanwaltschaft die Veränderungen im Grundbuch abzusegnen. Dieser Passus wurde aber zunächst zurückgezogen, der Rest wurde Ende des Jahres zum Gesetz erhoben und bereits vom Präsidenten (nach einmal ans Parlament zurückschicken) ratifiziert.

Kürzlich hatte die staatliche Wahlkommission einen anderen Referendumsantrag, diesmal der linken Opposition, zum Atomdeal mit Russland, ebenfalls aus formalen Gründen abgewiesen.

Die wichtigsten Beiträge zum Bodengesetz, Taschenverträgen und der neuen Landnahme im Überblick:
Junker János - Januar 2014
Orbáns Amtschef "organisiert" Familienbetrieb 1.300 Hektar Staatsland
Österreich und Ungarn steuern auf neuen Bodenkonflikt zu - Dezember 2013
In Grund und Boden - Juni 2013
Arbeitsteilung: der Pöbel tobt, die Regierung nimmt sich was sie braucht
Neues aus Felcsút: Bürgermeister pachtet "konkurrenzlos" weiteres Land - Oktober 2013
Bodenoffensive - November 2012
Ungarn will bei "Taschenverträgen" Urteile ohne Gerichte
Nationale Feldbestellung - Oktober 2012
Regierung verschärft verbalen "Kampf um ungarische Erde"
Fidesz-Funktionäre werden zu Großbauern: "Alles korrekt" bei der neuen Landvergabe - Oktober 2012

red.

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