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(c) Pester Lloyd / 45 - 2014   NACHRICHTEN   06.11.2014

 

Budgetentwurf Ungarn 2015, Teil 2: Kleingedrucktes und Großgemachtes

Während die Ressorts Bildung und Soziales im Haushaltsentwurf rigoros zusammengestrichen und Staatsbetriebe massiv bezuschusst werden, ist für Prestige- und Megaprojekte jede Menge Geld vorhanden. So richtig auf Hochtouren dreht sich das finanzielle Glücksrad 2015 aber für die nationalen Leuchtfeuer in Kultur und Forschung. Wir haben dazu ein paar aufschlussreiche Details.

Vor einer Woche legte die Regierung den Haushaltsentwurf für 2015 vor. In unserem damaligen Beitrag bereiteten wir dessen Eckdaten auf, besprachen einige Einzelbudgets, darunter das massiv gewachsene des Amtes des Ministerpräsidenten, aber auch Bildung, Verteidigung, Äußeres, Familien- und Arbeitsmarktpolitik. Vor allem aber konzentrierten wir uns auf die für kommendes Jahr anstehenden Steuererhöhungen.

In der heutigen Übersicht soll es um aufschlussreiche Details gehen, die sich erst bei genauerem Eintauchen in das Zahlenwerk erschließen und die mehr über die Ausrichtung der Politik preisgeben als die meisten offiziellen Verlautbarungen. Wir stützen uns dabei sowohl auf den Budgetentwurf auf der Parlamentswebseite (
hier das 300seitige Original) sowie auf Ausarbeitungen der Wochenzeitung Magyar Narancs und des Wirtschaftsportals portfolio.hu.

Sozial- und Arbeitsmarktpolitik

> Im Zuge der "Arbeitsgesellschaft" werden nicht nur die Ausgaben des Sozialfonds, sondern auch jene des "Nationalen Familienfonds" gedrosselt, auf zusammen 646 Mrd. Forint von zuvor 714 Mrd., also um rund 10%. Entgegen der Ankündigung einer Erhöhung sinken die Steuernachlässe für Familien um 5% auf rund 422 Mrd. HUF, was damit zusammenhängt, dass die Bemessungsgrenzen enger gefasst werden, womit eine bestimmte Gruppe mehr Entlastung erhält, an den Rändern aber etliche ganz aus dem System fallen. Die Sozialhilfe wird in Summe um 23% gekappt. Die Lohn- bzw. Nebenkostenzuschüsse für Unternehmen, die Langzeitarbeitslose, Karenz-Rückkehrerinnen, Menschen mit Behinderung, ältere Arbeitnehmer oder Berufsanfänger einstellen, bleiben gleich hoch, ein Hinweis darauf, dass es diese Arbeitsplätze unbezuschusst wohl genauso wenig geben würde, wie das Orbánsche Jobwunder insgesamt. Über die Aufstockung der Közmunka berichteten wir bereits, sie entspricht in etwa der Kürzung der Sozialhilfe.

Staatsbeteiligungen

> Staatliche Unternehmen sollen eigentlich Gewinne erwirtschaften, die dem Haushalt und damit der Allgemeinheit zu Gute kommen. Doch die Zuschüsse an staatliche Beteiligungen oder Liegenschaften des Staates steigen 2015 um fast 20%, von 180 auf 215 Mrd. Forint und das, obwohl sich im Portfolio solche Goldesel wie die Lottogesellschaft Szerencsejáték befinden. Unter den Ausgaben finden sich: 23 Milliarden Schuldenübernahme der Staatsbahnen MÁV, 50 Mrd. Kapitalerhöhung für den Energieriesen MVM als Betreiber des AKW Paks sowie der weiteren Erwerbungen im Energiesektor (Fögáz, E.ON-Gastöchter, Ex-MOL-Gaslager, Beteiligung an der South Stream Projektgesellschaft)

Investitionen

> Ein Entwicklungs- und Sportfonds wird mit 186 Mrd. Forint (600 Mio. EUR) gefüllt sein und soll sich aus dem Verkauf und der Vermietung bzw. Bewirtschaftung von Immobilien in Staatsbesitz finanzieren. Dazu werden Immobilien im Wert von 8,3 Mrd. Forint verkauft. Auch von hier gehen 28 Milliarden Forint in das AKW Paks 2 Ausbauprojekt, wobei es sich wohlgemerkt nur um Kosten für die Projektvorentwicklung handelt, 4 Milliarden Forint werden in den Bau des neuen Campus der Ludovika, also die Staatsuni für den Öffentlichen Dienst gesteckt, ebenso viel fließt in die Errichtung eines einzigen neuen Verwaltungsgebäudes (Szigetszentmiklós). 5 Milliarden Forint gehen für die Totalrenovierung eines Konvents des Karmeliterordens, weitere 4,3 Milliarden Forint in den Ausbau von Gefängnissen, einige Milliarden als direkte Zuschüsse für den Bau von Fußballstadien (es gibt dafür außerdem noch die Steuerwidmung für "populäre Sportarten" sowie Sonderfonds für Projekte von "nationaler Wichtigkeit" wie dem Puskás Stadion). Weitere 23 Milliarden aus diesem Fonds sind für Immobilienzukäufe des Liegenschaftsamtes MNV vorgesehen, das sich damit in Konkurrenz zur kaufwütigen Nationalbank begibt.

Reserven

> Die beiden vorgenannten Posten können jederzeit aufgestockt werden, wozu die sogenannten "Budgetreserven" dienen, die meistens ab Mitte des Jahres geplündert werden. Im kommenden Jahr liegen die Allgemeine und die Notfallreserve zuammen bei 160 Mrd. Forint, weniger als die 213 Mrd. 2014.

Kultur und "Sonstiges"

Dieser Bereich, der seit 2010 mit heftigen Einsparungen zu kämpfen hatte, wird deutlich aufgestockt. Doch nur für die "Richtigen". Freie Theatergruppen müssen weiterhin selbst sehen, wie sie klar kommen, wenn sie nicht sogar auf Lázárs "Schwarzen Liste" nichtregierungsnaher Problembären landen. Wohl nirgendwo lässt sich die Günstlingswirtschaft und ideologische Ausrichtung staatlicher Lenkung so direkt und unmittelbar darstellen wie in diesem Sektor. Neugründungen und Parallelstrukturen zur Mittelumleitung und Inhaltssteuerung sind das Merkmal der Orbán-Ära im Forschungsbereich, z.B. durch etliche neue bzw. beigeordnete Institute rund um die Akademie der Wissenschaften, aber vor allem auch im Kulturbereich, der als Versorgungsapparat für nationalistische Ideologen fungiert.

- Die unter Staatskuratel stehenden Museen bzw. Veranstaltungsorte "Palast der Künste", Museum der Schönen Künste (Szépmüvészeti), Petőfi Literatur Museum etc. müssen rund 3 Mio. EUR Einsparungen hinnehmen, während gleichzeitig Abermilliarden für das neue Museumsquartier, die "Kulturhauptstadt Hungária" geplant sind. Das von einem Fidesz-Mann geführte Nationaltheater muss trotz Rückgang an Zuschauern und Eigenumsätzen keine Budgeteinbußenfürchten, Staatsoper und Operettentheater, ebenfalls geleitet von einem treuen "Regierungskommissar" und Ex-Hír-TV-Moderator, erhalten sogar 1,8 Mrd. Forint mehr.

- Die "Ungarische Akademie der Künste", MMA, ist der große Gewinner des 2015er Haushaltes, denn das Budget der einst als Privatinitiative des Inneneinrichters und offenen Antisemiten und Ultranationalisten György Fekete gestarteten und quasi zur Reichskunstkammer emporgehobenen Versammlung von "national gesinnten" Staatskünstlern, steigt um 5,2 Mrd. Forint (16 Mio. EUR), wobei allein 1,5 Mrd. Forint für die Gehälter und Boni von Fekete und seinen Stellvertretern vorgesehen sind. Weitere 2,3 Mrd. gehen als "Stipendien" an die förderungswürdigen Kollegen, die Personalkosten insgesamt werden mit rund 4 Mrd. Forint veranschlagt, für die Kunst selbst, also Ausstellungen in der unterstellten Kunsthalle, die geplanten "Nationalen Kunstsalons", bleiben ganze 900 Mio.

- Ex-Kulturstaatssekretär und jetziger "Regierungskommissar" für Dies und Das, László L. Simon hat den Burgbasar gerade nicht pünktlich und nicht kostentreu fertiggestellt, ein paar Medien mit Schließung bedroht und erhält schon die nächsten 3 Mio. EUR für sein "Projekt Esterháza", mit dem er das "ungarische Versaille" in Fertőd in ein Zentrum für zeitgenössiche Kunst umwandeln soll. Projekte, die Steuermittel in bewegliche und auslagerungsfähige Güter konvertieren, scheinen besonders in Mode zu sein.

- 4 Milliarden gehen in Projekte im Zusammenhang mit dem ablaufenden "Holocaustgedenkjahr", u.a. an das "Haus der Schicksale". 1 Milliarde Forint extra, also über 3 Mio. EUR erhält die private "Stiftung zur Erforschung der Gesellschaft und Kultur in Mittel- und Osteuropa" von Orbáns Haushistorikerin, Chefin des "Terrorhauses" sowie des Entwicklungspojektes "Haus der Schicksale", Mária Schmidt. Das ist jene, die ihre schlimme 68er-Phobie in ein allgemeingültiges Geschichtsbild transformierte und mit Bundespräsident Gauck und der Stasi-Gedenkstätte Hohenschönhausen an einer gemeinsamen "Opferdatei" bezügl. des "Kommunismus" arbeiten will. Ungarn ist dafür natürlich der ideale Partner, denn hier sind bekanntlich alle Opfer, aller Systeme und aller Mächte. Dazu gibt es auch noch ein eigenes Wende-Institut, das bekommt ebenfalls 300 Mio. Forint.

 

- Das 3-Mann-Geschichtsinstitut "Veritas", dessen Leiter uns erklärte, dass Deportationen aus Ungarn vor der Nazi-Besetzung lediglich "fremdenpolizeiliche Maßnahmen" gewesen seien, erhält allein knapp 1 Mio. EUR für Gehälter, Konferenzen, Publikationen, Reisen und Buffets. Der Direktor ist ein zackiger Militärhistoriker, er erarbeitet gerade ein Geschichtsbuch für die Mittelstufe, das wird aber aus einem anderen Budget finanziert. Auch am "Haus der Schicksale" ist Veritas federführend konzeptionell beteiligt, der Mann wird den Juden, deren Nachkommen übrigens eine Kooperation ablehnen, ihr Schicksal schon schlüssig erklären.

- Das "Zentrum für Sprachstrategie", zur "Reinheit der ungarischen Sprache", das tatsächlich die Aufgabe hat, selbige von "unnötigen Modernismen" zu befreien, wird mit 133 Mio. bedacht, während gleichzeitig Hunderttausende junge Leute zwangsläufig Englisch und Deutsch lernen, um einen Job zu finden. Absurd? Keineswegs, denn es gibt ja außerdem ein Institut "für Nationale Strategie", das 4 Mio. EUR für die "Festigung der nationalen Einheit zwischen im Ausland lebenden ungarischen Gemeinschaften" arbeitet. Allerdings vermuten manche, der siebenbürgische Separatistenführer, der das Institut seit 2012 leitet, legt mit den Geldern eher Waffenlager in Transsylvanien an, denn man hat noch nie irgendein Projekt gesehen, was dem Begriff "Think tank" eine wortgetreue Bedeutung verleiht.

red.

Budgetentwurf, Teil 1

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