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(c) Pester Lloyd / 44 - 2014   WIRTSCHAFT   31.10.2014

 

Ungarischer Staatshaushalt 2015: Jetzt kommt die Seifensteuer!

Am Donnerstag überreichte Wirtschafts- und Finanzminister Mihály Varga dem Parlamentspräsidenten den Haushaltsentwurf für das kommende Jahr 2015. Trotz oberflächlich positiv dreinschauender Prognosen hält man es für ratsam, insgesamt neun Steuern zu erhöhen oder neu zu erfinden. Die "Mittelschicht" wird weiter gefördert, der Pöbel bestraft. Ungarns Haushalt bleibt auf dünnstem Eis und eigentlich: unberechenbar.

Die Eckdaten: Wirtschaftswachstum 2,5% des BIP, Anstieg der Beschäftigungsrate um 1,3%, Teuerung von 1,8% und Privatkonsum +2,6%.

Die Schuldenquote soll - laut Budgetentwurf - deutlich unter 80% des BIP gedrückt werden, erreicht wird das durch massive Auslagerung in staatlich kontrollierte Betriebe und Banken, substantiell und strukturell ändert sich an den 85%+ Schuldenquote freilich nichts. Per Ende des Jahres 2015 erwartet man einen offiziellen Gesamtschuldenstand der öffentlichen ungarischen Haushalte von 25.100 Mrd. Forint (81,65 Mrd. EUR nach heutigem Kurs) bzw. 75,4% des geplanten BIP gegenüber 76,3%, die man für Ende 2014 hinbiegen wird.

Das Budget geht 2015 von Einnahmen in Höhe von 16.381 Mrd Forint aus, nach heutigem Kurs ca. 53,25 Mrd. EUR. Auf der Ausgabenseite sieht man rund 56,1 Mrd. EUR. D.h. der Staat wird 2015 rund die Hälfte der gemessenen Wirtschaftsleistung ausgeben. Das cash-flow-basierte Defizit von 2,4% des BIP kommt dabei auf 877 Mrd. Forint. Der Haushaltsrat kritisiert die erhofften Mehrwertsteuereinnahmen durch den privaten Konsum als zu optimistisch, hält die Zahlen aber ansonsten für seriös.

(UPDATE) Der Beitrag der EU zur ungarischen Wirtschaftsleistung wird im Budget für 2015 mit rund 2.563 Mrd. Forint veranschlagt, 350 Milliarden HUF bzw. 1,15 Mrd. EUR mehr als 2014. Der Betrag der direkt von der EU nach Ungarn fließt macht damit mittlerweile 7,5% der offiziell gemessenen Wirtschaftsleistung aus. Ein nicht geringer Teil dieser Summen fließt durch Steuern direkt bzw. durch die Absorbtion von EU-finanzierten Ausschreibungen durch staatliche Strukturen auch indirekt in den Staatshaushalt, so dass die EU nicht nur die Wirtschaft Ungarns am Leben erhält, sondern auch die Administration mitträgt. (/UPDATE)
 

 

Im Rahmen des Budgetgesetzes werden etliche Steuergesetze modifiziert, wobei nun auch Details auf den Tisch kamen, die der Minister vor einigen Tagen lieber noch nicht angesprochen hatte. Die Erhöhung der Steuerfreibeträge für Familien (von der logischerweise nur Familien mit einem reduzierbaren Steueraufkommen profitieren) mit mehr als einem Kind startet doch erst 2016, die angekündigte 12x5.000 (in Summe also 200 EUR) Forint-Prämie für erstverheiratete Paare (Mann und Frau!) wird es ab 2015 geben.

Warum Varga auf der Präsentation gestern die Internetsteuer mit keinem Wort erwähnte,
wissen wir seit heute morgen. Dafür gibt es fünf weitere bemerkenswerte Neuerungen, die direkt den Konsumenten treffen werden:

1. die Besteuerung von geldwerten Vorteilen aus "Cafeteria-Gutscheinen" wird erhöht

2. Entgegen der lautstarken Ankündigung, das "ungarische Kulturgut" des steuerbefreiten Pálinka-Brennens für den Privatbedarf "gegen die EU mit allen Mitteln verteidigen zu wollen" knickt die Regierung nach dem EU-Kommissionsverdikt  bemerkenswert schnell ein. Ab 2015 werden für Private 50% auf den regulären Alkoholsteuersatz für kommerzielle Erzeuger (1800 HUF / Liter?) fällig, auch die Auftragsdestillation wird derart besteuert.

3. die "Chipssteuer" auf so definierte ungesunde Lebensmittel wird auf alkoholische Getränke ausgeweitet,

4. die im Rahmen der Branchensondersteuer für Handelsketten erhobene Verwaltungsabgabe zur Erhebung der Sondersteuer (auf so etwas muss man erstmal kommen!) wird von bisher 0,1% aller Umsätze nun gestaffelt berechnet, 0% bis 500 Mio. HUF Jahresumsatz so dann je 1% für jede 50 Mrd. HUF Umsatz bis zu maximal 6%. Die höchste Steuerklasse erreicht ausschließlich der britische Konzern Tesco, während die Fidesz-Kette CBA, weil sie das Recht hat, jede Filiale als einzelnes Geschäft abzurechnen, günstig davon kommt.

5. die sogenannte "Umweltschutzabgabe" wird auf Waschmittel, Körperreinigungsmittel wie Duschgel, Flüssigseifen etc, Kunstblumen, Büropapier und "Industrielle Ausstattung" erweitert. Auch die Einzäunung von neu verpachtetem Land zählt laut Landwirtschaftsministerium übrigens als Umweltschutzmaßnahme, denken Sie daran beim nächsten Duschen!

Milliarden für die "Zielgruppe"

Umgerechnet fast eine halbe Milliarde Euro stellt der Staat als Unterstützung beim Erwerb von (gebrauchten) Wohnungen und Häusern bereit. Ein Benefit, der wieder vor allem der "Mittelschicht" zu Gute kommt sowie die überquellenden Portfolios der Banken entlasten und den Immobilienmarkt in Bewegung versetzen soll. Die OTP Bank wird zusätzlich - durch eine "Lex OTP" - von 1 Prozentpunkt der Bankensondersteuer befreit, ebenso entfällt ab kommendem Jahr der Einkommenssteuerzuschlag für Fondsmanager, dafür müssen nun deren Anlage- bzw. Brokerfirmen 25% ihrer Nettoverkaufsprovisionen an den Staat abführen.

Almosen für die Unterschicht

270 Mrd. Forint (878 Mio. EUR), und damit 35 Mrd. Forint bzw. 113 Mio. EUR mehr stehen 2015 für die Kommunalbeschäftigungsprogramme (Közmunka) zur Verfügung, die nach dem Wunsch der Erbauer der "Arbeitsgesellschaft" alle antreten sollen, die heute noch Sozialhilfe erhalten. Letztere soll letztlich ganz abgeschafft werden. Eine Mindestquote von dauerhaft 200.000 Közmunkás ist bereits Gesetz. Sie erhalten in Gänze und bei Vollzeitauslastung ohne die häufig willkürlichen oder auch aus rassistischen Motiven vorgenommenen Strafabzüge rund die Hälfte des "gesetzlichen" Mindestlohnes. Ein Austausch mit dem seit Jahren rückläufigen bzw. zuletzt stagnierenden ersten Arbeitsmarkt findet so gut wie nicht statt.

Die Renten sollten - laut Minister Balog - zunächst um 2,2% angehoben werden, doch Minister Varga betonte gestern, dass sie nur um die Inflationsrate (bzw. die Projektion dafür) erhöht werden, d.h. sie steigen für die rund 3 Mio. Rentenbezieher in Ungarn nur um 1,8%.

Der Haushalt beinhaltet wieder die üblichen "Reservefonds", die meistens für den außerplanmäßigen Erwerb von der Regierung vor die Füße fallenden Gelegenheiten, also marode Banken, entnervte Energiefirmen etc. benutzt werden. In diesem Jahr wird die allgemeine Budgetreserve mit 100 Mrd. Forint installiert, sowie der "Landesschutzfonds" (also vornehmlich für natürliche Unwägbarkeiten) auf 60 Mrd. HUF gesetzt. Der Haushaltsrat hätte gerne 40 Mrd. HUF mehr Reserven, auch wegen den schwierigen Prognosen in der Ukraine-Krise. Die Regierung verzichtet, vielleicht hat sie ja aus Moskau Zeichen der Entspannung gekabelt bekommen.

(UPDATE) Immer mehr Geld wird, ohne genaue Ausgabezuordnung direkt im Vorzimmer des Premiers gebündelt. Das offizielle Budget des Amtes des Ministerpräsidenten, das, geführt von "Kanzler" Lázár um etliche Kompetenzen erweitert wurde und praktisch alle Ministerien spiegelt, aber auch für Sonderprojekte von der "Museumsinsel" bis zum AKW-Ausbau zustündig ist, wurde von 34 Mrd. Forint im Vorjahr auf 277 Milliarden Forint verachtfacht, inkl. einer Art “Privatschatulle” des Premiers, über die er nach Lust und Laune verfügen kann. Meistens entstehen daraus wertlose Studien, PR- und Beratungsverträge an umso wertvollere Freunde und Bekannte.

Zum Vergleich: das ungarische Parlament hat im kommenden Jahr 21 Mrd. Forint zur Verfügung, der Staatspräsident erhält mit 2,3 Mrd. Forint rund 200 Mio. Forint mehr als 2014. Das Außenministerium wird mit 103 Mrd. Forint um 40 Mrd. besser ausgestattet als im Vorjahr und das, obwohl es rund 400 Personen weniger beschäftigt. Das Geld soll der "Außenwirtschaftsförderung" dienen, nur 39,3 Mrd Forint dafür sind für die Botschaften, Konsulate und Kulturinstitute samt ihrer Mitarbeiter und Diplomaten bestimmt. Die staatlichen Parteizuschüsse sind (offiziell) bei 3,9 Mrd. Forint eingefroren.

Die Verteidigungsausgaben werden um 9 Milliarden auf 250 Milliarden Forint angehoben und bleiben damit immer noch deutlich unter 1% des BIP, bis 2020 sollen es 2% des BIP sein, so Orbáns Anweisung, der nicht nur bei mehr NATO-Aktivitäten mitmischen und eventuell sogar Soldaten im Baltikum stationieren, sondern vor allem auch die Ausrüstung der Honvéd auf den neuesten bzw. den neuesten leistbaren Stand bringen will. 4 der 250 Mrd. Forint gehen als Beitrag an die NATO, 350 Mio. Forint an den gemeinsmaen Verteidigungsfonds der EU.

Die zentrale und strukturell als gescheitert geltende Schulbehörde KLIK, die rund 3.500 Pflichtschulen des Landes verwaltet erhält 524 Mrd. Forint, wobei die 50 Mrd. mehr als im Vorjahr allein die Gehaltserhöhungen der Lehrer umfassen, allerdings nur jener, die sich in ihrem "Karriemodell" den ideologischen Anforderungen unterwerfen. Das Hochschulsystem bekommt Zuschüsse in Höhe von 143 Mrd. Forint, ungefähr 1/3 weniger als 2010.
(/UPDATE)

 

Fazit: An den Budgetdaten, den Schwerpunkten und der bis an jede Schmerzgrenze ausgereizten Besteuerung ist ablesbar auf wie dünnem Eis die Orbánschen Wirtschafts- und Finanzpolitik gebaut ist. Die Abhängigkeit von ausländischem Kapital (Direktinvestitionen, Kredite und Anleihekapital, EU-Gelder) und der deutschen bzw. europäischen Konjunktur ist noch weiter gestiegen.

Größtes Risiko bleibt aber das unseriöse Finanzgebahren Orbáns aufgrund seiner planwirtschaftlichen Ambitionen und den sündteuren Prestigeprojekten (Museumsstadt, Fußballstadien, Umbau des Burgbergs zum Regierungssitz) sowie die Parallelwelt im Zuge der Machtkonzentration.

Die angekündigten, aber noch nicht konkret benannten Umbauten in den Sozialfonds und im Gesundheitswesen lassen zudem darauf schließen, dass dieser Budgetentwurf 2015 nur ein Anfang ist und - wie stets - einige Nachtragshaushalte zu erwarten sind, um die schlechten Nachrichten für das Volk über einen längeren Zeitraum zu verteilen. Aufgrund dieser äußeren und inneren Faktoren bleibt das auf dünnem Eis gebaute Budget im übertragenen wie im Wortsinne unberechenbar.

In Summe ist das ziemlich wenig, was Orbán als "zweites Jahr der Ernte" angekündigt hat und die ständestaatlich vorgesehene Umverteilung von Unten nach Oben wird strikt ausgebaut.

Mehr Hintergründe dazu in:
Harakiri in Zeitlupe: Orbáns Finanzpolitik wird Ungarn noch große Probleme bereiten

Die Generaldebatte über das Budget ist für den 17. November angesetzt, gleichzeitig werden dabei die Steuergesetze angepasst, für diesen Tag war auch die nächste Großdemo der Protestbewegung gegen die Internetsteuer geplant, die nun aufgrund des
Schachzugs von Orbán offen ist. Parlamentspräsident Kövér hofft, dass das Parlament am 15. Dezember das Budget verabschiedet.

red

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