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(c) Pester Lloyd / 49 - 2014   WIRTSCHAFT   01.12.2014

 

Nationalpulver in (gelber) Gefahr: Ungarns Paprika verkauft sich immer schlechter

Es ist das "Hungarcum" schlechthin und noch mehr ein Symbol für ungarische Tradition und Lebensart als das so polemisch verteidigte kostenlose Brennen von Pálinka. Der ungarische Paprika, genauer gesagt das Paprikapulver. Internationale Konkurrenz und einheimische Behäbigkeit gefährden die Marktposition dieser ungarischen Ikone. Ohne staatliche Hilfe sei sogar das Überleben gefährdet...

Die traditionelle Herstellungsweise wird immer mehr verdrängt. Werden staatliche Förderung wirklich hier ankommen oder eher in industriellen Netzwerken versickern?

 

József Németh, Präsident des Marketingrates der ungarischen Gewürzpaprikahersteller schlug jetzt im regierungsnahen "Hír TV" Alarm: Wenn nichts geschehe, werde die ungarische Paprikaproduktion immer weiter abnehmen, Billigimporte aus China und anderen Ländern verdrängen das rote Nationalpulver immer mehr. Es sei geradezu eine Schande, dass die "Heimat des Paprika" (gut, die ist eigentlich Amerika), im vergangenen Jahr 3.000 Tonnen importierte, aber nur 1.500 Tonnen exportierte. Es brauche "mehrere hundert Millionen Forint Unterstützung für die heimische Paprika-Industrie, damit diese überleben kann." so Németh, der es bedauert, dass er der Regierung schon längst einen "16 Punkte Aktionsplan" vorgelegt hat, aber "noch keine Antwort erhielt."

Branchenkenner sehen in dem patriotischen Aufschrei des Marketingpräsidenten eher eine halbgeschickte Positionierung im Verteilungskampf für staatliche Subventionen. Denn Regierungsmitglieder hatten angekündigt, im Rahmen des "größten Wirtschaftshilfeprogrammes aller Zeiten", das jetzt irgenwann über Ungarn herniederfahren soll (mit welchem Gelde, ist noch nicht so ganz klar, vor allem da die EU etwas zickig ist gerade), besonderes Augenmerk auf die "heimische Lebensmittelindustrie" zu legen.

 

Der Paprika-Lobbyist sorgt sich nicht ganz grundlos, dass das Gros der Förderungen in Rinderstellen, Mangalica-Zuchten und Pferdekoppeln von Fidesz-Freunden und Oligarchen verbaut werden könnte, während die Paprika-Manufakturen von Kalocsa und anderswo sehen müssen, wie sie klar kommen. Immerhin liegen die Preise für das ungarische Pulver 30-40% über dem Mittel des Weltmarktpreises, was u.a. auch daran liegt, dass man hierzulande immer häufiger mit Gastrocknern hantiert, während andere Länder das die liebe und kostenlose Sonne erledigen lassen. Doch auch die besseren Weine aus dem Bordeaux, die Autos aus Deutschland, Schuhe aus Italien, sind teurer als ihre Konkurrenten, werden aber dennoch gekauft...

2014 stellte das Landwirtschaftsministerium, nach einem Bericht des Branchendienstes agrotrend.hu rund 150 Mio. EUR (also knapp 500.000 EUR) für "hochqualitative" Erzeuger von Gewürzpaprika zur Verfügung. Dabei ging es vor allem um die Kultivierung autochtoner Sorten und die Erzeugung von Saatgut zum Erhalt selbiger. Einigen Unternehmen griff man auch mit Arbeitsförderprogrammen unter die Arme, denn Paprikapulver ist arbeitsintensiv, also kosteninstensiver als viele andere Agrarzweige. Seit den 2000er Jahren ging die Anbaufläche immer mehr zurück, weil das Geschäft für immer weniger Betriebe lohnend wurde, bzw. Energiepflanzen und EU-geförderte Flächenumwidmungen rentabler erschienen. Auf ungefähr 2500 Hektar wird heute Paprika für die Gewürzpulvererzeugung hergestellt, das ist rund ein Drittel weniger als vor zehn Jahren.

Németh sollte sich daher lieber ersteinmal umschauen, was man im Bereich Marketing, aber auch bei der Qualität verbessern könne, um wirklich ein "Unicum" zu erzeugen und zu vermarkten, als nach weiteren staatlichen Subventionen zu rufen. Denn über den Preis wird man  Marktkonkurrenten wie China niemals schlagen können und auch keine Anreize für Innovationen und Qualitätsempfinden schaffen, zumal das Reich der Mitte der Regierung als wichtiger neuer strategischer Partner gilt, von dem man hofft, er springt investorisch und finanziell ein, wenn der dringend benötigte Kapitalfluss aus dem Westen immer mehr zum Rinnsal werden sollte. Man hat das Arbeitsrecht und die Ausschreibungsbedingungen im Lande nicht erst derart gründlich demoliert, um das Reich der Mitte jetzt mit Subventionen zu einem Paprika-Krieg herauszufordern, bei dem es um ein paar Millionen geht, während Milliarden auf dem Spiel stehen könnten, um Orbáns "neues Ungarn" zu finanzieren.

Ob Orbáns neueste Attacke auf die einflussreichen internationalen Handelsketten, die ja nicht nur Niederlassungen in Ungarn haben, hilfreich bei der Vermarktung ungarischer Produkte ist, beantwortet sich wohl von selbst. Auch hieran ist erkennbar, dass seine Prioritäten anderswo als beim Wohl des kleinen Mannes und der Ehre ungarischer Handwerkstradition liegen.

red. / a.l.

Zum Thema:
Legaler Etikettenschwindel: Türkischer Paprika, made in Hungary...
http://www.pesterlloyd.net/2011_10/10madeinhungary/10madeinhungary.html

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