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(c) Pester Lloyd / 03 - 2015   WIRTSCHAFT   13.01.2015

 

Weg in die Finsternis: Geplante "Steuer auf Sonnenschein" erregt ökologische Gemüter in Ungarn

Die ungarische Regierung will Solarmodule hinfort mit einer Produktabgabe, ausgerechnet einer "Umweltsteuer" belegen. Weil sie muss, wie die Administration mit Hinweis auf eine kommende EU-Verordnung zum Recycling behauptet. Mumpitz, entgegnen Fachleute und die Opposition, schon wieder gehe es nur um den klammen Haushalt und Klientelpolitik. Eine "Sonnensteuer" verdunkle Ungarns Technologiezukunft, nun sei der Präsident gefragt.

 

Über die einseitig auf Kernkraft und fossile Brennstoffe gerichtete Energiestrategie der Orbán-Regierung berichteten wir hier immer wieder ausführlich, auch die "komplette Aufgabe von Umweltschutz" aus "Missbrauch und Desinteresse" war erst kürzlich wieder Thema der politischen Debatten.

An der Bevorzugung von Maßnahmen, die kurzfristig die Billiglohnlandstrategie im Rahmen von Orbáns "Arbeitsgesellschaft" födern bzw. sichern sollen, leiden naturgemäß förderungsbedürftige neue Technologien wie die Erneuerbaren Energien, aber auch die energetische Sanierung. Schon lange berichten Branchenbeteiligte über die Erschwernisse im Bereich der Genehmigung von Windkraftanlagen, aber auch Biothermie und Biomasse-Kraftwerke werden immer selektiver gefördert, auch hier geht es meist nicht um einen wirklichen Plan, sondern um die Bevorzugung der "Richtigen", also Marktpositionen.

Der neueste Vorstoß betrifft eine geplante "Umweltschutzabgabe", also eine Produktsteuer, die u.a. auf Verpackungen, aber auch elektronische Geräte erhoben wird und an die sich als universelle Stellschraube für fiskalische und politische Bedürfnisse bestens bewährt hat, wie die Ausweitung nämlicher Steuer auf weitere Produkte des täglichen Bedarfs belegte und die Ungarn zu einem Land machte, das tatsächlich eine "Seifensteuer" einführte.

Diese Steuer aber genau in jenem Bereich anzuwenden, der andernorts - teils auch in umstrittenem Ausmaß - dezidiert gefördert wird, mag paradox erscheinen. Die Kritik von Umweltgruppen aber auch den Oppositionpsartein zielt auf die Aufnahme von Solarpanelen für den industriellen und privaten Einsatz in die Liste der mit dieser Sondersteuer zu belegenden Erzeugnisse, die, so die bisherige Planung mindestens 5, eventuell aber bis 12% des Nettoverkaufspreises betragen soll.

Begründet wird das vom Umweltstaatssekretariat mit der EU-Maßgabe, wonach für die fachgerechte Beseitigung von technologischem Sondermüll ab 2016 eine Recyclingquote von 45% des Wertes der jeweils in einem Jahr hergestellten Produktkategorie erfüllt werden müsse, die bis 2019 auf 65% ansteige. Man müsse daher Produkte nicht nur von ihrem Nutzen während der Lebensdauer her bewerten, sondern auch die Kosten und Belastungen nach deren Ablauf berücksichtigen und diese seien "sehr hoch", meint das Ministerium.

 

Dummerweise kommt aber gar nicht öffentliche Hand für die Recycling- bzw. Entsorgungskosten auf (es sei denn es handelt sich um Anlagen im öffentlichen Eigentum), sondern der Eigentümer der Anlagen, der wiederum das Recht auf Rückgabe an den Hersteller bzw. Händler hat, der sich dann um die fachgerechte Abwicklung kümmern muss. Die Kosten dafür sind zu teilen, so zumindest der Plan der EU-Kommission, erklärte ein Branchenfachmann in einer Aussendung. Gerade die Sonnenenergie ist in Ungarn, das den EE-Zielen ohnehin hinterherhinkt, immer noch das absolute Stiefkind, gerade 0,2% der erzeugten erneuerbaren Energie geht auf Sonnenkraft zurück, dennoch gab es bedarf, die Förderausschreibungen - so lange es sie noch öffentlich gab - waren stets binnen Stunden überrannt und brachten die Server der Behörde zum Zusammenbruch.

Für die ungarische Administration, stets auf der Suche nach Geldquellen, sind das jedoch keine Argumente und so zieht sie das Geld einfach in die Staatskasse ein, auch wenn es - vorerst - zweckgewidmet augebucht bleiben soll, weil es sonst eine wettbewerbswidrige Branchensteuer wäre. Ist Gras drüber gewachsen, kassiert man die Gelder gewohnheitsgemäß ein. Variante 2: ganz bestimmte staatlich initiierte und parteilich zuzuordnende Unternehmen erhalten die aus diesen öffentlichen Geldern zu finanzierenden Entsorgungsaufträge. Der Kreislauf des "Lebens".

Am Wochenende protestierten die linksliberalen Parteien LMP, "Együtt" und PM, die DK, MSZP und auch die rechtsextreme Jobbik scharf gegen die Pläne. Ein Jobbik-Sprecher sagte, dass die Regierung seit Jahren "Luxusinvestitionen" (Stadien etc.) betreibt und nun mit dieser "Steuer auf Sonnenschein" den nächsten "Sargnagel" in die Energieunabhängigkeit des Landes treibe. Die Grünen LMP nannten den Schritt "nicht akzeptabel", für PM eine der "dunkelsten Momente der Orbán-Regierung", das bei der viereinhalbjährigen Tunnelfahrt des Premiers schon eine Ansage ist.

Ungarn wird sich so noch weiter vom technologischen Fortschritt, dem Motor der Entwicklung in Europa, verabschieden und alle fordern nun Präsident Áder auf, das Gesetz nicht zu unterzeichnen, immerhin habe der ja gerade mit großem Pathos die Einrichtung eines Klima- und Umweltschutzdirektorats im Präsidentenamt angekündigt, da könne er ja nun gleich mal zeigen, was das kann. Das ist natürlich ein fatalistisches Ansinnen und eher als Provokation gemeint, denn Áder schickt zwar ab und an Gesetze ans Parlament zurück, aber nur, um den Schein von Demokratie zu wahren und sie am nächsten Tag, um ein paar Kommas verändert doch zu stempeln. So wird es auch hier sein.

 

Gyurcsánys DK, mit jahrelanger Erfahrung in der Nutzung öffentlicher Strukturen für private Zwecke, stellte fest, dass das Gesetz die Abhängigkeit von Erdgas wieder erhöhen muss und somit vor allem den Gasimporteuren hilft, von denen der auffälligste in den letzten Jahren die MET Zrt. war, jenes Unternehmen mit eigenartigen Verzweigungen in die Schweiz und in off-shore-Gebiete und in Eigentum von Orbáns Fußballfreund und Regionaloligarch Garancsi, das mit einem lukrativen Vermittlungsvertrag mit der staatlichen MVM Erdgas für dreistellige Millionenbeträge verkauft und dabei gigantische Provisionen kassiert.

Habe Orbán den Anteil grüner Energie am Gesamtmix erst einmal zurückgefahren, so die naheliegende Unterstellung, ließe sich auch der Atomdeal mit Russland besser rechtfertigen, bei dem verlockend viel Geld fließt, für das allerdings ganz Ungarn haftet...

cs.sz. / red.

Hintergrund: Erneuerbare Energien warten in Ungarn auf bessere Zeiten / Kaum noch Fördermittel / Große Nachfrage lässt Riesenpotenzial erkennen  (Analyse der Germany Trade & InvestGesellschaft der Bundesrepublik Deutschland für Außenwirtschaft und Standortmarketing mit detaillierten Zahlen und politischen Maßnahmen, Stand: 2013)

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"ENERGIE & UMWELT"

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