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(c) Pester Lloyd / 49 - 2014   WIRTSCHAFT   04.12.2014

 

Putin oder die EU: Wer stoppt den AKW-Ausbau in Ungarn zuerst?

Die Regierungen der EU-"Atommächte" haben dafür gesorgt, dass die EU die Errichtung neuer AKW´s grundsätzlich nicht beeinspruchen darf. Doch selbst die Überwachung der Umsetzung ist auf Fragen des Wettbewerbsrechts beschränkt, wo letztlich die formale Konformität genügt. Das macht es sogar den dilletantischen EU-Rechtsbrechern in Budapest leicht, den Milliarden-Deal mit Russland nach Belieben zu gestalten. Nur Mastermind Putin bleibt ein Risikofaktor.

Proteste gegen den AKW-Ausbau wie hier von Greenpeace auf der prominenten Verkehrsinsel an der Budapester Kettenbrücke bleiben Stückwerk. Die Mehrheit der Ungarn steht dem Thema gleichgültig gegenüber, die grüne Bewegung ist schwach, selbst die sozial-liberalen Orbán-Vorgänger waren - grundsätzlich - für einen Ausbau.

Der Regierungskommissar für das Projekt Paks II, also den Ausbau des ungarischen Atomkraftwerks durch russische Unternehmen um zwei weitere Blöcke und einen russischen 10 Mrd.-EUR-Kredit (Links dazu unter dem Beitrag), Attila Aszódi, bereitet sich derzeit auf eine Prüfung der Vergabe sowie der Durchführungspläne seitens der EU-Institutionen vor.

 

Dabei geht es in erster Linie um die Art und Weise der (Nicht)-Ausschreibung sowie der als gegen EU-Richtlinien eingestuften Finanzierung als "staatliche Subventionen", also wettbewerbsrechtliche Aspekte. Es werden sowohl die Verträge mit Rosatom und dem russischen Staat, als auch das vor wenigen Tagen geschaffene Gesetz zur verschärften Geheimhaltung, inkl. Aussetzung von Ausschreibungsregeln und Monitoring eine Rolle spielen.

Aszódi verbreitete gestern via MTI bzw. Reuters vorauseilend den Standpunkt, dass man den Ausbau um zwei weitere Blöcke "ohne staatliche Zuschüsse" bewerkstelligen will, ein interessanter Ansatz, wenn man bedenkt, dass das gesamte Projekt letztendlich ausschließlich mit Steuergeldern finanziert werden wird. Man hoffe, dass die EU das "binnen eines Jahres auch so anerkennt". Die Professionalität der ungarischen Vorbereitung wird durch folgende Ausführungen des Projektleiters untermalt: "Selbst wenn die Kommission entscheidet, dass das Projekt Staatsbeihilfen bekommt, kann Ungarn nachweisen, dass es aus anderen Aspekten im Einklang mit EU-Regeln ist, genauso wie das britische Projekt Hinkley Point".

Die EU-Kommission wird mutmaßlich eine Prozedur durchführen, die feststellt, ob das Projekt unter "den gleichen Voraussetzungen" auf für "private Investoren machbar und attraktiv" wäre, mutmaßt man in Budapest, allerdings sollte man eine solche Überprüfung besser fürchten. Man werde die Projektverträge so gestalten, dass sie bei einer Nichtgenehmigung seitens der Europäischen Kommission "aufgehoben" werden könnten, lies: so geändert, dass es formal passt.

Abseits der wettbewerbsrechtlichen Prüfung befindet sich die EU bereits im Konflikt mit der ungarischen Regierung über Paks II. Wie die Anfrage einer NGO ermittelte, lag Euratom nämlich bis Juli, als der Ausbau samt Finanzierung schon Gesetz war, noch keine formale Meldung bzw. Beantragung vor, wie es die EU-Regeln (Artikel 41 Euroatom-Vertrag) vorschreiben. Doch die Regierung Orbán behauptete schlicht das Gegenteil, log also, genauso wie sie die Bürger bei den Kreditkonditionen belogen hatte, die viel nachteiliger sind als man es zunächst behauptete.

Der größte Teil der ohnehin schon verheimlichten Projekt- und Finanzierungsdetails ist jetzt endgültig zum Staatsgeheimnis deklariert worden, mit den damit einhergehenden Risiken. Es sickerte jedoch durch, dass Ungarn praktisch alle Aufsichts- und Souveränitätsrechte im Zusammenhang mit Paks II an Rosatom, also die staatliche russische Atombehörde abgibt. Orbán wörtlich: "Rosatom ist für die Umsetzung von Planung und Bau verantwortlich." Also weder die ungarische Regierung, noch der Betreiber MVM. Rosatom richtet auch alle notwendigen Ausschreibungen selbst aus, die nicht "in-house" erledigt werden können, womit sich die Verfahren EU-Regularien entziehen sollen, natürlich in "freien, international anerkannten Verfahren", sekundiert Orbán.

Auch das wird die EU für Projekte im Geltungsbereich von Gemeinschaftsrecht nicht dulden können und war u.a. ein Knackpunkt bei den Streitigkeiten über South Stream. Bei Paks muss die Kommission nun aber erst einmal sicherstellen, dass sie überhaupt Zugang zu allen zwischen Russland und Ungarn getroffenen Vereinbarungen bekommt.

Über grundsätzliche energie-, umweltpolitische oder entwicklungsstrategische Fragen geht es bei den anstehenden EU-Prüfungen weniger. Die bürgerliche Mehrheit im EU-Parlament, erst Recht die Befindlichkeiten der "Atommächte" in der EU, samt ihrer mächtigen Lobbyisten, werden einen ökonomisch und ökologisch noch so fraglichen Ausbau der Kernkraft zur Energiegewinnung, paradoxerweise in einem Land mit enorm hohem Alternativpotential (Geothermie, Biomasse, Wind, Sonne), nicht in Frage stellen. Orbán behauptet gar, dass die "Kooperation Ungarns mit Russland" in dieser Frage "der europäischen Energiesicherheit im Ganzen" diene.

 

Barroso machte im Februar klar, dass man die "Schwerpunktsetzung für den Energiemix" bei Mitgliedsländern nicht in Frage stellen werde, es gehe in Summe um die Erreichung der Klima- und Erneuerbare Energienziele, wenn sich die Staaten an alle sonstigen Regeln halten. Im Klartext heißt das nichts anderes, als dass man auch bei Paks II vorgehen wird, wie bei Mediengesetz, Verfassungsputsch, Justizreform: eine falsche, sogar gefährliche Politik im Großen geht durch, wenn nur das Kleingedruckte der EU-Verträge formal eingehalten wird.

Nach dem Scheitern von South Stream, ist Paks II für Orbán vor allem eine Prestigefrage, denn von "Glaubwürdigkeit" braucht man hier ohnehin nicht mehr sprechen. Solle Putin auch dieses Projekt canceln, wobei sich auch hier die "Uneinsichtigkeit" der EU als nette Ausrede für schieren Geldmangel anböte, stünde der ungarische Premier mehr denn je als Kaiser ohne Kleider da und hätte sich wiederholt "in den eigenen Fuß geschossen", um es mit seinen Worten zu sagen. Es mag absurd klingen, ist aber wahr: Putin, nicht die EU ist der größte Unsicherheitsfaktor für die Realisierung des Projektes.

Ökonomisch sinnvoll wird Paks II nicht sein, da sind sich selbst die Experten der staatlichen MVM einig, die in einer - natürlich geheimen -
internen Studie von einer massiven Verteuerung des Strompreises sprachen, die notwendig sei, um die Blöcke I-IV profitabel bzw. verlustfrei zu betreiben. Tschechien hat genau aus diesem Grund ein eigenes Projekt vorerst eingefroren. Doch die "billigste Energie" Europas als "Schlüssel für das Überleben" der Ökonomie im "Kampf der Systeme" war und ist das erklärte Ziel und die Rechtfertigung Orbáns für die 30jährige finanzielle Abhängigkeit von Moskau, in die er sein Land gebracht hat. Dafür wird er sich irgendwann selbst vor seinen heute noch treu-gläubigen Anhängern rechtfertigen müssen.

red. / cs.sz.

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