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(c) Pester Lloyd / 05 - 2015   WIRTSCHAFT   30.01.2015

 

Jobverlust = Freiheitsgewinn: Das Leben ist SZÉP...

Ein Verbot als Befreiung, eine weitere Errungenschaft der Orwellschen Sprachumdeutung in Neu-Ungarn. Das partielle Geschäftsverbot für Handelsketten und Shoppingcenter sowie einige andere Gemeinheiten gegen profitgierige "Multis" bescheren uns ab sofort wieder "arbeitsfreie Sonntage", - vielleicht bald auch Wochentage. Doch Freiheit hat nun einmal ihren Preis. Immerhin, mit der Szép-Karte gibts darauf einen Rabatt, auch zum Wohle der Kinder und natürlich der "Nation".

Staatssekretär und SPA-Experte Ruszinkó (rechts) erklärt die schöne neue Welt...

“Die Kritik an den arbeitsfreien Sonntagen (Ladenöffnungsverbot an Sonntagen, Anm. d. Übersetzers) hat ausschließlich auf den Konsumenten abgezielt, anstatt auf das menschliche Wesen." erläuterte Vizestaatssekretär Ádám Ruszinkó bei einer Präsentation mit Tourismusveranstaltern im Entwicklungsministerium und ergänzte, dass "schließlich die Wirtschaft dem Menschen dienen solle und nicht umgekehrt!" Das ist heute ein mutiger Satz, so mitten in Orbáns neuer "Arbeitsgesellschaft", in der Menschen wieder "der Arbeit zugeführt" werden. Marx ist tot und Marx lebt, so sicher wie heute war das lange nicht.

 

Da der Regierung insgesamt aber nichts weiter im Sinn stehe, "als die Qualität des Lebens der Ungarn zu verbessern", sollten sie "mehr Urlaub und Erholungszeiten" nehmen, eben z.B. an den Sonntagen, an denen sie früher Regale auffüllen oder an der Kassenschlange mit quängelnden Kindern warten mussten. Durch die "Ausweitung der Familiensteuerfreibeträge und der Senkung der Energiekosten" sowie das "Forex-Umtauschmodell" habe man - so Ruszinkó jedes "Aber" im Keim erstickend - den Menschen auch das notwendige "höhere verfügbare Einkommen" besorgt. Auch hier schließen wir an Marx an, der ja bereits feststellte, dass es das Sein ist, dass das Bewußtsein steuert und nicht umgekehrt. Ruszinkó geht noch über Marx hinaus: er erklärt dem Bewußtsein einfach, es sei das Sein, dass sozusagen dann selbst den Wohlstand zurückmeldet - und alle Widersprüche lösen sich in Wohlgefallen auf.

Dem staunenden Zuhörer rechnet er vor, dass 50 bis 60 Prozent der Fehlzeiten am Arbeitsplatz auf "Überforderung, Erschöpfung, Auslaugung" der Arbeitnehmer zurückzuführen (und das, obwohl die Wirschaft bei uns den Menschen dient!!!) und "jedem modernen Arbeitgeber" ist es "völlig klar", dass die "Arbeitsleistung unter mangelnder Erholungszeit leidet". "Investitionen in Erholungszeiten generieren zwei- bis dreimal höhere Profite", so Ruszinkó, was in seiner unschlagbaren Logik bedeuten müsste, dass bei 100% Erholungs- statt Arbeitszeit der Maximalporfit erreicht sein müsste. Aber das konnte Marx damals noch nicht wissen. Denn damals gab es die Matolcsyschen Forschungseinrichtungen der unorthodoxen Wirtschafskunde noch nicht.

Noch eine erschreckende Zahl: gerade 7 Minuten am Tag verbringt jedes Elternteil nur noch mit dem eigenen Nachwuchs! In Worten: sieben. Woran das wohl liegt? An dem menschendienlichen Wirtschaftssytem? An nerviger Brut? Dem vielen Geld, das die Eltern zu zählen haben? Man weiß es nicht. Auch hier hat aber Staatssekrtär Ruszinkó die Lösung parat, denn die neuen Erholungszeiten, Dank der "arbeitsfreien Sonntage" böten "mehr Qualitätszeit" mit den Kindern!

Damit die Rechnung aufgeht, ist es jedoch ganz ganz wichtig, dass die "menschlichen Wesen", die unsere Regierung im Interesse "moderner Arbeitnehmer" vor der "Auslaugung" bewahrt, in dem man ihnen ihre Wochenendjobs erspart, die sie ja wegen der billigen Fernwärme gar nicht mehr brauchen, dass also diese Beglückten des "ungarischen Modells, das funktioniert" (Varga) nicht einfach so in der Gegend herumurlauben oder aufs Geratewohl rekreiren. Es sollte schon mit der SZÉP-Karte sein.

Denn diese habe die gewünschten "positiven Effekte auf den einheimischen Tourismus", - neben "im nationalen Interesse" die landläufige Formel dafür, dass eine Gruppe von Geschäftsleuten gemeint ist, die sich mit legislativer, notfalls exekutiver Gewalt das Groß der Umsätze untereinander aufteilen. Solange das die Richtigen machen, ist das ok, machen das ausländische Unternehmen, sogar ohne Sondergesetzgebung, sind es "Extraprofite, die auf Kosten ungarischer Familien aus dem Land geschleppt werden", was wiederum zu verhindern ist.

Wie auch immer, die SZÉP-Karte (szép = schön, hier aber als Széyhenyi Programm gemeint, also EU-fiannziert, für Ausländer in abgewandelter Form auch als Hungary Card erhältlich) ist eine Art Naturalien-Debitkarte, als Lohnnebenleistung steuerlich (für den Arbeitgeber) begünstigt, der Arbeitnehmer profitiert dann von Rabatten bei einer Reihe Anbietern, lies: einer gnädigen Reduktion auf ansonsten unverschämte Phantasiepreise, ist aber eben auch an die vorgegebenen Anbieter gebunden: eine Barablöse ist nicht möglich. Es ist ein ähnliches Kartell wie bei den Cafeteria-Bons, EU-regelwidrig, aber dennoch praktiziert. Zudem wird die Karte bevorzugt über heimische Banken ausgegeben, die sich auch hier und da noch das eine oder andere Provisiönchen gönnen.

Der Vizewichtel aus dem Entwicklungsministerium brachte es auf den Punkt: "Entwicklungsprojekte sind doch nutzlos, wenn die Leute keine Zeit haben sie zu genießen!" Lies: Wir haben überteuerte EU-Projekte durchgezogen und uns dumm und dämlich verdient, jetzt soll der Mob die Anlagen - wiederum mit Geldern aus Brüssel - gefälligst auch befüllen, sonst sieht Brüssel am Ende noch den Schwindel.

 

Nur was macht die Regierung, wenn alle Ungarn auf den Geschmack kommen und auch die Bademeister, Lángos-Bräter und Busfahrer am Sonntag auf der faulen Haut liegen wollen? Hier wären noch ein paar nationale Konsulationen nötig. Bis dahin kann man ja mit den geschätzt 40.000 Menschen, die aufgrund der "Befreiung von der Sonntagsarbeit" ihre Jobs verlieren werden, einen Feldversuch unternehmen, wie gut man sich ohne Geld, aber mit SZÉP-Karte erhohlt.

Brancheninsider berichten, dass SZÉP-Card-Mitgliedsbetriebe nicht nur über teilweise massive Umsatzsteigerungen und Traumauslastungen berichten (z.B. in Bädern, Campingplätzen, Ferienanlagen, Pensionen, Reiterhöfen etc.), sondern auch über gewisse "Empfehlungspolitiken" bei der Wahl von Lieferanten, Bauunternehmern und Dienstleistern. Eine Qualitätskommission wacht über all das und entscheidet über Verlängerung oder Ausschluss aus der SZÉP-Liste. Oder um im Geiste von Staatssekretärsgenosse Ruszinkó zu sprechen: Wir haben nichts zu verlieren, außer unsere Wertschöpfungsketten!

red. / a.l.

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