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(c) Pester Lloyd / 47 - 2014   WIRTSCHAFT   19.11.2014

 

Konsumgenossenschaft: Ungarn drängt ausländische Handelsketten aus dem Land

Am Dienstag reichte Wirtschaftsminister Varga das nächste Gesetz ein, das die Position von Tesco, Auchan, Spar, Aldi und Co. in Ungarn verschlechtern und sie womöglich ganz vom Markt fegen soll. Sondersteuern werden selektiv erhöht, Platzverbote erteilt und wer Verluste bilanziert, erhält Geschäftsverbot. Die Regelungen sollen marktbeherrschende Stellungen aufbrechen, Preisdumping eindämmen und "Familienbetriebe" schützen.

Bald ein Fall für die Kommission gegen unungarisches Verhalten?

Im Interesse der "Bewahrung der in der ganzen Welt anerkannten ungarischen Kulturschätze, zur Konservierung der Landschaft und zum Schutz der Umwelt", heißt es in dem Gesetzentwurf hölzern, den die Parlamentarier gestern vorgelegt bekamen, dürfen ab 1. Januar 2018 Geschäfte mit Waren des täglichen Bedarfs und ab einer bestimmten Umsatzgröße bzw. Geschäftsfläche nicht mehr in "Weltkulturerbestätten" betrieben werden.

Das Gleiche gilt ab 2018 für solche Geschäfte, die in den vergangenen zwei Jahren Verluste oder eine Null als Geschäftsergebnis bilanzierten. Ausgenommen sind jene Geschäfte, die sich in den ersten vier Jahren seit der Geschäftsgründung befinden. Neben der o.g. eher feuilletonistischen Begründung soll das Gesetz vor allem auch den Sinn haben, marktbeherrschende Stellungen aufzubrechen, Preiskämpfe zu beenden und "Familienbetriebe" zu schützen.

 

Geborene und gelernte Ungarn verstehen: Welterbestätten (praktisch die ganze Budapester Innenstadt links und rechts der Donau gehört dazu), sind Touristenmagneten und generieren entsprechende Umsätze, - ein Markt, den man gern den "richtigen" Geschäftsleuten anvertrauen will. Dazu muss die Konkurrenz verschwinden, weil sie "Extraprofite ins Ausland schleppt", wie der Code für "besser und günstiger als unsere eigenen Unternehmen" heute lautet.

Die Begründung im Antrag des Wirtschaftsministers liest sich feiner. Über Jahre hätten "kapitalstarke" Unternehmen eine Expansion auf Kosten der kleinen, traditionellen Familiengeschäfte unternommen. Deren Geschäftsattitüde jedoch komme mit "weniger Personal für mehr Effizienz, aber auch schlechterem Service" aus. Das erhöhe auch die sektorale Arbeitslosigkeit (die angeblich sonst stündlich sinkt). Außerdem wären große Ketten in der Lage, Standorte "über Jahre in der Verlustzone zu führen, um über den Preiskampf Konkurrenten zu ruinieren", was einen "Missbrauch von Marktmacht" darstellt und außerdem mache der "Betrieb eines Geschäftes mit Verlust keinen Sinn". Es handelt sich um eine Konkurrenz, der "kleine familiengeführte Unternehmen" ohne Hilfe der Politik nicht standhalten könnten. Daher wolle man "neue Regeln für die verschiedenen Arten von Geschäften aufstellen", natürlich, "ganz im Einklang mit EU-Regularien".

Nun, die Folge wird sein, dass die Geschäfte, die dann in den Welterbestätten zu finden sind, ihre Waren teurer verkaufen. Weil sie müssen - vielleicht, weil sie es können - bestimmt. Viele Kunden - denn dort wohnen ja auch Menschen - werden abwandern müssen. Was auch anderswo mit den Preisen geschieht, wenn es pro Gemeinde und Stadt nur noch ein oder zwei, statt 4-5 verschiedene Anbieter geben sollte, kann man sich vorstellen. Spar, seit 23 Jahren in Ungarn, Investitionssumme ca. 500 Mio. EUR, kündigte bereits an, seine Investitionen drastisch zurückfahren zu wollen, Ungarn aber nicht aufzugeben...

Bei allem Verständnis für die eine Eindämmung von Marktmacht - und deren Missbrauch ist auch den Konsumenten, Erzeugern und Finanzämtern im Westen nur allzu bekannt - es bleibt in der Realität eine Milchmädchenrechnung, bei der nur ein paar Günstlinge an guten Standorten Kasse machen werden. Ob die ihr Personal wirklich besser bezahlen als die Großketten und der Service besser ist, darf man für eine urbane Legende erachten. Denn nähme der Gesetzeseinbringer seine eigenen Argumente ernst, müsste er das Gesetz für alle Standorte und Branchen in Ungarn erlassen und nicht nur für Welterbestätten und Verlustbringer im Lebensmittelhandel.

Im übersättigten Westen mögen viele die großen Ketten als Fluch für Vielfalt und Kleinerzeugertum, als uniformierte Bedrohung betrachten und einige sich das neue Gesetz für ihr Land wünschen, - hier in Ungarn aber sind die großen Händler für viele ein Lichtblick in der Service-Puszta und häufig (natürlich nicht immer und nicht für alle Waren) auch preislich die bessere Alternative zu CBA und Co. Was die Fidesz-Regierung unter "Familienbetriebe" versteht, kann man hier nämlich jeden Tag hautnah und in vielen Branchen erleben.

 

Auch dieses Gesetz agiert wieder geschickt mit durchaus angebrachter Kapitalismuskritik und dem immer so dankbar angenommenen Patriotismus, führt aber eigentlich direkt zurück in feudale Zustände mit seinen Handelsprivilegien und Hoflieferanten, die immer nur einer kleinen Schicht Wohlstand brachten. Der von der EU angestrebte weitgehend freie Markt beinhaltet zumindest noch eine gewisse Wahlfreiheit für den Konsumenten. Nicht immer und nicht überall, aber grundsätzlich. Das jetzige Gesetz zielt jedoch eher wieder in Richtung einer Konsumgenossenschaft, mit ganz besonderen Genossen. Denkt man das Tabakhandelsgesetz weiter, das jeden Trafik quasi in ein kleines Parteibüro mit gesetzlicher Gewinngarantie transformierte, erkennt man, welche Potentiale die "Selbstversorgung" in Ungarn, bei konsequenter Umsetzung noch hat.

Dabei hat man die großen, überwiegend in ausländischer Hand befindlichen Handelsketten seit 2010 bereits mit einer Lebensmittelaufsichtssteuer und einer Branchensonderabgabe traktiert, abgesehen von Chipssteuer, Umweltabgabe (ab kommenden Jahr auch auf Duschgels, Seife, Kunstblumen etc.). Beide Abgabenarten werden kommendes Jahr erhöht, Erstere gar um in Summe 30 Milliarden Forint, womit man die IT-Investitionen der staatlichen Lebensmittelaufsicht finanzieren will.

Die Errichtung von Verkaufseinheiten über 400 Quadratmeter unterliegt der Sondergenehmigung einer völlig intransparenten Kommission (Shopping-Mall-Bann). Die Großen passten sich an und eröffneten kleine Versionen ihrer Hypermärkte. Ein "Trick", den man "eliminieren" muss, befindet die Regierungspartei. Und es steht ein Sonntagsöffnungsverbot, ebenfalls wieder für die großen Handelsunternehmen im Raum.

Die haus-, man könnte auch sagen parteieigenen Handelsketten Coop und CBA fördert man auf diese Weise, denn nicht nur von der Sonntagsschließung und den Platzverboten werden sie verschont, auch die Sondersteuern bleiben ihnen weitgehend erspart, da sie ihre Einzelstandorte (gefaktes Franchise) auch einzeln abrechnen dürfen, während bei den großen Playern der Gesamtumsatz für die Einstufung in die gestaffelten Steuersätze angewandt wird.

Diese Abstufung wurde jetzt nochmals verschärft, so dass nur Tesco, sozusagen das RTL Klub des Einzelhandels, in die höchste Steuerklasse fällt. Die Zusatzbelastung bedeutet eine Erhöhung des Kostendrucks auf den Umsatzmarktführer Tesco von über 11%, für die anderen großen ausländischen Ketten, also Auchan, Lidl, Aldi, Spar, Metro, Penny zwischen 5 und 8%. Für die Opposition im Parlament ist die Maßnahme daher nichts weiter als eine indirekte Anhebung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel, europaweit ohnehin die mit Abstand höchste. Die Zeche zahlt also der Kunde.

Das Gesetz protegiert nicht nur die CBA (“Wir wollen Marktführer werden!”) und Coop selbst, die sich dafür mit politischer Treue, Jubelpublikum und Wahlkampfspenden bedanken, man fördert mit diesen auch die "eigenen" Erzeuger, sei es Oligarch und OTP-Chef Csányi mit seinem Bonafarm-Imperium oder andere "Familienunternehmen". Zwei davon besuchte gestern "Familienoberhaupt" Orbán persönlich und eröffnete eine weitere Rinderfarm bei Familie Flier in Álcsut und die neue Mangalica-Zucht von Freund und Bürgermeister Mészáros in Felcsút, Orbáns Heimatort. Beide gelten als Interessensvertreter und Geschäftspartner, ja Gutsverwalter und Hausmeister der Orbáns. Beide wurden während seiner zweiten Amtszeit zu sehr, sehr reichen Familien, durch zahlreiche Bauaufträge, Landpachtung und -ankauf und diverse weitere Geschäfte. Mit dabei war gestern übrigens auch Csányi... (Foto, MTI)

Bis 2018 haben die betroffenen Unternehmen nun Zeit, aus den festgelegten Bereichen, den neuen exklusiven Claims der Fidesz-Gang zu verschwinden und gefälligst Gewinne abzuwerfen, andernfalls wird den Behörden das Recht zur "sofortigen Schließung" eingeräumt - natürlich in vollem Einklang mit EU-Regularien...

red. / cs.sz.

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