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(c) Pester Lloyd / 08 - 2015   POLITIK   18.02.2015

 

"Ungarn braucht Russland": Putin, Orbán und Reaktionen

Präsident Putin trat nicht als Gast auf der gemeinsamen Pressekonferenz mit Premier Orbán auf, sondern als Feldherr im Lager eines Verbündeten. Unumwunden erklärte er den Ukrainern, dass sie sich mit "einer neuen Staatlichkeit" und einer militärischen Niederlage im Osten des Landes abzufinden hätten. Orbán bot Putin für seinen zynischen Auftritt dienstfertig eine Bühne und verteidigt seinen Kotau als notwendig.

Putin in Budapest: Impressionen vom Dienstag, Kommentar und weiterführende Links

Wladimir Putin, der aber auch so gar nichts mit den Kämpfen im Osten der Ukraine zu tun hat und weder russische Kämpfer dorthin entsendet, noch die Separatisten mit Waffen unterstützt, forderte mit Blick auf den Kessel von Debalzewe: "Die ukrainischen Offiziellen sollten ihre Soldaten nicht daran hindern, die Waffen niederzulegen". Für einen Unbeteiligten etwas vorlaut: Die Kämpfe dort seien "absehbar" gewesen, der Ausgang ohnehin. Kiew könne nur noch verlieren, es wird mehr Tote geben, doch Gelände wird man nicht zurückgewinnen, so der russische Präsident.

 

Und natürlich: Schuld an allem ist der Westen, der Waffen an die Ukraine liefert... Putins "Lösung": das Minsker Abkommen, also auch ein Waffenstillstand und -abzug ist umsetzbar, wenn die Ukraine ihre Niederlage hinnimmt, lies: auf die Gebiete im Osten dauerhaft verzichtet. Dann sollten sich die Vertreter von "Neurussland" und der anderen Phantasiegebilde mit den Kiewer Machthabern zusammensetzen und eine Verfassungsänderung ausarbeiten, welche den Status der östlichen Gebiete regelt.

Premier Orbán, der Putins Auftritt mit einem fast manischen Dauergrinsen und mit der unterwürfigen Körperhaltung eines dienstfertigen Lakaien genoss, betonte einmal mehr, dass "Ungarn Russland braucht" und "Europas Ausschluss Russlands unvernünftig" wäre, denn "die Sicherheit in der Region kann nicht ohne Russland etabliert werden". Jetzt sei ein "guter Startpunkt für die Umsetzung des Minsker Waffenstillstands und den Beginn der eurasischen wirtschaftlichen Kooperation." Ungarn werde aber "in keinem Fall eine Bedrohung für Europas Einheit" darstellen. (Das gesamte Orbán-Statement am Ende dieses Beitrages).

Hinsichtlich der Erdgasfrage, hat Russland Ungarn die Abnahme der aus den Verträgen von 1995 noch übriggebliebenen Gasmengen erlassen, das Land kann diese nach Bedarf abrufen, allerdings auch zu alten Preisen. Neue Liefermengen werden dann verhandelt, wenn der Bedarf entsteht. Orbán beeilte sich, seinem Gast zu versichern, dass Ungarn unbedingt bei der South-Stream-Ersatzleitung durch die Türkei dabei sein wolle, Putin dankte es ihm mit der Genehmigung, dass die MOL in Westsibirien weitere Ölfelder erschließen darf. Beide Seiten betonten, weitere Anstrengungen zur Vertiefung des Handels unternehmen zu wollen, es wurden einige Abkommen unterzeichnet.

Putin wies daraufhin, dass der 10 Mrd. EUR-Kredit für den AKW-Ausbau zu "Sonderkonditionen" gewährt wurde, mit denen Ungarn viel Geld spare. Fachleute, selbst aus der AKW-Szene selbst, sehen das völlig anders, aber das spielt natürlich keine Rolle.

Reaktionen:

Die neue US-Botschafterin in Budapest, Colleen Bell, setzte ein klares Zeichen, wem die Unterstützung der USA in dem Konflikt gilt und traf sich - just da Putin und Orbán vor der Presse posierten - mit dem ukrainischen Botschafter zum Abendessen.

Die MSZP findet, dass Orbán "die Interessen Ungarns verraten" habe. Er ließ sich von Putin als "lebendes Beispiel" dafür missbrauchen, dass sein Einfluss in die EU und die NATO hineinreiche.

Orbán bot Putin in der EU eine Bühne, um die EU vorzuführen. Das sei "unverzeihlich", findet die linksliberale "Együtt". Die EU halte die russische Regierung in "politischer Quarantäne" wegen ihrer "Beteiligung an einer bewaffnenten Aggression gegen die Ukraine" und Orbán spielt sich damit auf, Russland aus dieser Isolation zu holen.

"Dialog für Ungarn" (Abspaltung der Grünen) erkennt, dass "Orbán Ungarn in einen Vorposten Russlands verwandelt" und das Land "vollständig von Russland abhängig macht". Schon heute sei man bei der Gasabhängigkeit führend in der Region, durch den AKW-Ausbau geschehe beim Strom das gleiche.

Die DK von Ex-Premier Gyurcsány sieht Orbán als "Verräter an Europa und Ungarn". Der Premier habe den "Fakt ignoriert, dass Russland im Ukraine-Konflikt der Aggressor ist."

Die neonazistische Jobbik, deren Funktionäre bereits als "Wahlbeobachter" auf der Krim waren und dessen Chef auch von Putin-Vertrauten, z.B. im Parlament, empfangen wurde findet "Gutes und Schlechtes" im Treffen. Toll sei, dass nun endlich Energiesicherheit herrsche, schlecht seien die Äußerungen Orbáns zu den Sanktionen, denn "heimlich unterstütze Fidesz die Sanktionen", tadeln die nazistischen Putin-Versteher.

Der staatliche, russische Kernkraft-Konzern Rosatom teilte über seinen in Budapest anwesenden Chef Kirijenko mit, dass die zwei geplanten neuen Blöcke "pünktlich gebaut werden" und möglicherweise später "noch weitere Blöcke folgen", eine Info, die in Ungarn noch niemand hatte. Natürlich werde man sich an "alle Regeln und Vorschriften" halten, Ungarn bekomme das "modernste, post-Fukushima-Modell mit 60 Jahre Lebensgarantie". Da sich die ungarische Wirtschaft "so schnell entwickle", würde es den Rosatom-Chef "nicht wundern, wenn die Regierung entscheidet, zwei weitere Blöcke zu errichten", wenn diese zwei neuen fertiggestellt sind.


Anhang: Pressekonferenz von Viktor Orbán nach dem Gespräch mit dem russischen Präsidenten Wladimir Wladimirowitsch Putin, Hrg.: Amt des Ministerpräsidenten

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich wünsche Ihnen einen guten Tag!

Ich möchte mich auch vor der Öffentlichkeit bei dem Präsidenten Russlands, Herrn Präsidenten Putin mit aller Hochachtung dafür bedanken, dass er uns diesen Besuch abgestattet hat. Dies ist eine Ehre für Ungarn. Wir stehen hier nach ernsthaften, erfolgreichen – und wie Sie auch sicher feststellen konnten – langen Beratungen. Der heutige Tag lässt sich damit zusammenfassen, dass Ungarn und Russland ihre wirtschaftliche Zusammenarbeit gestärkt haben. Wir haben Vereinbarungen abgeschlossen, die den Interessen Ungarns gut, ja sogar ausgezeichnet dienen werden. Ich habe dabei klar zum Ausdruck gebracht, dass nach Auffassung Ungarns, unser Land Russland braucht und es uns Ungarn wichtig ist, dass Russland für ungarische Produkte offen zugänglich ist, und es darüber hinaus im Interesse Ungarns steht, dass wir russische Energie sicher, kalkulierbar und zu einem vernünftigen Preis beziehen können. Dabei haben wir festgestellt, dass die Stärkung der wirtschaftlichen Beziehungen im Interesse beider Partnern steht. Wir haben ferner unsere zwischenstaatlichen Beziehungen erörtert, und dabei festgestellt, dass die Beziehungen der beiden Staaten auf gegenseitigem Respekt beider Völker beruhen, weshalb wir die Zusammenarbeit suchen und gute Beziehungen anstreben.

Meine persönliche Überzeugung ist, dass diese Zusammenarbeit und die guten Beziehungen nicht allein im Interesse Ungarns, sondern ganz Europas stehen. Ich bin ferner davon überzeugt, dass das Verhältnis zwischen der Europäischen Union und Russland je früher, desto besser geregelt werden sollte. Dabei ist das Verhältnis vernünftig zu regeln, wobei sich Ungarn für eine vernünftige Lösung und eine vernünftige Regelung aussprechen wird. Unserer Überzeugung nach gilt der Ausschluss Russlands aus Europa nicht als eine vernünftige Angelegenheit. Die Sicherheit der Region kann nicht gegen Russland herbeigeführt werden, vielmehr kann sie lediglich in Zusammenarbeit mit Russland herbeigeführt werden. Aus diesem Grund gilt unserer Überzeugung nach: verhandeln, verhandeln und noch einmal verhandeln. Als gute Ausgangsbasis zur Regelung der Situation dient die kürzlich in Minsk unterzeichnete Vereinbarung einer Feuerpause, in der neben einer Feuerpause zahlreiche weitere wichtige Fragen zur Regelung erörtert wurden. Wir sind davon überzeugt, dass der Frieden und die eurasische wirtschaftliche Zusammenarbeit als Grundlage der Regelung dienen können. Von Ungarn wird begrüßt, dass Frankreich und Deutschland sich ebenfalls hierfür engagieren, wobei dieses Vorgehen von Ungarn sowohl kurz-, als auch mittel- und langfristig unterstützt wird. Wir sind davon überzeugt, dass die europäische Einheit entlang des Friedens und der eurasischen wirtschaftlichen Zusammenarbeit geschaffen werden kann. Ich weiß, dass vor dem Besuch von Herrn Präsidenten Putin viel darüber gerätselt wurde, ob man sich wegen Ungarn wohl um die Einheit Europas sorgen muss? Nein, man muss sich wegen Ungarn keine Sorgen um die Einheit Europas machen, wichtig dabei ist jedoch, dass sich jeder in Europa um Frieden bemüht, was nicht lediglich die Beseitigung des Krieges, sondern gleichzeitig auch den Aufbau einer Zukunft einschließt. Ich bin davon überzeugt, dass die Einheit Europas entlang einer Zusammenarbeit mit Russland geschaffen werden kann und geschaffen werden sollte.

Wir haben ebenfalls die Frage der Ukraine angesprochen, da die Ukraine unser Nachbarstaat ist. Ich habe Herrn Präsidenten Putin mitgeteilt, dass wir auf der Seite des Friedens stehen, und große Hoffnungen an die Feuerpause knüpfen, und sehr hoffen, dass es gelingen wird, diese auch längerfristig aufrecht zu erhalten. Die Europäische Union wurde ebenfalls mit dem Ziel gegründet, dass es in Europa keinen Krieg mehr geben wird. Gerade deshalb setzt unsere Generation ihr Vertrauen in die europäische Einheit. Wir Ungarn haben außerdem noch 200 Tausend Argumente dafür, warum wir für den Frieden in der Ukraine einstehen.

 

Wir haben auch Fragen wirtschaftlicher Natur erörtert. Selbstverständlich haben wir den im Jahr 1996 abgeschlossenen und in diesem Jahr auslaufenden Gasliefervertrag besprochen. Dabei ist es uns gelungen, dieses Problem zu lösen, weshalb lediglich Fragen technischer Natur offen geblieben sind, der politische Konsens wurde hergestellt. Innerhalb des derzeitigen Vertragsrahmens besteht die Möglichkeit, das bisher unverbrauchte Gas künftig zu verbrauchen, und dieses jeweils zum Zeitpunkt der Inanspruchnahme bezahlen zu können. Dies bedeutet, dass mit dieser Vereinbarung die Energieversorgung der ungarischen Familien sichergestellt und die Produktion der ungarischen Industrie gewährleistet ist. Über die wirtschaftliche Zusammenarbeit haben wir festgestellt, dass sowohl die Sanktionen, als auch die Gegenmaßnahmen großen Schaden angerichtet haben. Von uns werden selbstverständlich sowohl die Sanktionen, als auch die Gegenmaßnahmen respektiert, unser gemeinsames Ziel solle es dennoch sein, die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen unseren beiden Ländern erneut zu stärken, wofür auch eine große Anzahl konkreter Vereinbarungen auf unserer heutigen Agenda standen.

Meine sehr geehrte Damen und Herren!

Meiner Überzeugung nach sollte Frieden nicht als Fehlen eines Konflikts, sondern als friedliche Art zur Beilegung eines Konflikts verstanden werden, weshalb wir zuversichtlich sind, dass wir auch künftig in der Lage sein werden, Interessendifferenzen zwischen Russland und der Europäischen Union mit dem Instrumentarium des Friedens beizulegen.

Ich bedanke mich für Ihre geschätzte Aufmerksamkeit! Quelle:
www.miniszterelnok.hu

Putin in Budapest: Impressionen vom Dienstag, Kommentar und weiterführende Links

red.

 

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