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(c) Pester Lloyd / 18 - 2015   WIRTSCHAFT    30.04.2015

 

Kalkulierter Störfall: Ungarn soll Atommülllager bekommen, auf Wunsch Deutschlands?

Der Schock bei Oppositionsparteien und NGO´s war groß, erst allmählich sortieren sie sich im Widerstand gegen die klammheimlich von der Regierung vorgetragene Ankündigung der Schaffung eines atomaren Zwischenlagers mit Option auf den Status zum Endlager, im Rahmen des Ausbaus des AKW Paks, aber mit riesigem Extrabudget. Was steckt dahinter?

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Für politische Rückendeckung und stetig fließende EU-Milliarden mcht Orbán alles...

Die Grünen, LMP, wollen, bevor man zu öffentlichen Protesten und rechtlichen Schritten übergeht, zunächst den Verfahrensweg für das Projekt an der unmittelbaren Stadtgrenze zu Pécs (beim 400-Einwohner-Dörfchen Boda) erschweren, in dem man Anwohnern in einem Umkreis von 50 Kilometern ein gesetzliches Veto-Recht bei der Errichtung eines solchen Lagers einräumen lassen will. Dazu bedürfte es freilich der Zustimmung der Regierungsparteien, eine naive Vorstellung, genauso naiv wie der offenbar über den Daumen gepeilte 50-Kilometer-Radius.

 

Die LMP will Orbán an dessen Bemerkung vom Dienstag festnageln, als der vor Ort in Pécs sagte, dass "eine solche Entscheidung nicht ohne die Zustimmung der Bürger von Pécs gefällt werden" würde. Die Grünen fordern nun ein lokales Referendum, sollte dieses das Quorum nicht erreichen, könne das Stadtparlament selbst entscheiden, ansonsten sei die Entscheidung der Bürger bindend. Welche Art von Informationen die Bürger bei ihrer Entscheidung helfen sollen, ließ die Grünen-Sprecherin offen. Orbán stellt sich jedoch eher eine "lokale, nationale Konsultation" vor, in dem Parteifreunde die "Stimme des Volkes" übernehmen.

Während der Ausbau von Paks II rund 12,5 Mrd. EUR kosten soll, wovon 10 Mrd. EUR durch
einen russischen Kredit, der Rest aus Steuergeldern vorfinanziert werden wird, ist die Finanzierung des Atommülllagers noch völlig offen. Nach Expertenmeinung weden dafür mindestens nochmals 1.600 Mrd. Forint, also rund 5,3 Mrd. EUR fällig. Die hat Ungarn nicht.

Auch die Projektbeschreibung ist nach heutigem öffentlich zugänglichen Wissensstand, der naturgemäß gegen Null geht, als gänzlich unseriös zu bezeichnen: Ein Atommüllager, das tatsächlich als "Endlager" zu qualifizieren wäre und - nach heutigem wissenschaftlich-technischen Stand - den Nachweis der dauerhaften (relativen) Unbedenklichkeit erbracht hätte, das gibt es bisher weltweit nicht - nicht einmal in Russlands Weiten.

Orbán betreibe daher größenwahnsinnige Phantasie-Projektionen, lautet der Vorwurf von Umweltgruppen. Er wolle mit dem Projekt nur öffentliche Gelder freimachen, die er in dunkle Kanäle schleusen könne, so wie auch durch seine
Geheimniskrämerei beim AKW-Ausbau selbst.

Womöglich plane er sogar den lukrativen Import von Atommüll, z.B. aus Ländern, in denen solche Lager nicht so einfach gegen die Bürger durchsetzbar sind, wo aber bald ein enormer Endlagerungsbedarf anfallen wird (lies: Deutschland). Es könnte also kein Zufall sein, dass Ungarn deutsche Atom-Experten mit ins Boot für das Paks-Projekt geholt hat, auch wenn die beteiligten Konzerne darüber nicht sprechen wollen. Auch die schnelle Einigung bei Euratom und die sehr oberflächliche Kritik an den ungarischen EU-Plänen sind Indizien, dass Orbán eine Art Dreiecks-Deal mit Merkel und Putin ausgehandelt haben könnte. Es wäre also auch an der Zeit, dass die deutsche Anti-Atom-Bewegung auf die Entwicklungen in Ungarn reagiert und die EVP-Verbindungen zur Atomwirtschaft und Euratom offengelegt werden.

18bodaprotestTechnisch ist so ein Lager auf ungarischem Territorium eigentlich unnötig, denn die Aufbereitung und Entsorgung sei Sache des Lieferanten, in dem Falle ein russisches Unternehmen. Bisher wird das Zeug auf dem Paks-Gelände vorgelagert und dann abgeholt. Ab 2021 fällt in Paks natürlich deutlich mehr Müll an, immerhin wird dann 70% des Strombedarfs des Landes hier erzeugt (heute 455), vielleicht will man mit dem Lager zu viele Einzeltransporte verhindern. Allerdings ist es von Paks zur ungarischen Ostgrenze nur rund 100 Kilometer weiter als von dort nach Pécs. Denkbar ist jedoch, dass ein Sonderflughafen in der Nähe genutzt wird, um Transporte auf dem Landweg - auch noch durch die Ukraine - möglichst zu vermeiden.

 

Zweifel über den verantwortungsvollen Umgang mit Atomun- und abfällen und gebrauchten Brennstäben in Ungarn sind angebracht. Erst kürzlich stellten Fachleute und NGO´s fest, dass ein im August 2014 erfolgter Abtransport von beschädigten Brennstäben aus einem Störfall von 2003 ins sibirische Majak, hinsichtlich seiner Geheimhaltung, illegal war. Auch die Risikobewertung in Paks ist als einigermaßen waghalsig zu bezeichnen, die IAEA und die Atomlobbyisiten in der EU (EVP) schweigen auch dazu.

Auch der Widerstand im Lande ist marginal, am Dienstag versammelten sich in Pécs ein paar Umweltaktivisten mit Plakaten (siehe Foto), doch wurde ihre Message von der Aufregung über den
Todesstrafen-Sager Orbáns erfolgreich übertönt. Dieser "Störfall" war also sicher kein Zufall.

cs.sz. / red.

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