Hauptmenü

 

Das Pester Lloyd Archiv ab 1854

Ost-West-Drehscheibe
Pester Lloyd Stellenmarkt

 

 

(c) Pester Lloyd / 10 - 2015    WIRTSCHAFT      02.03.2015

 

Plündern unter Geheimhaltung: Infos zu AKW-Ausbau in Ungarn 30 Jahre unter Verschluss

Wie berichtet, sollen weite Teile der Dokumentation über den Ausbau des Kernkraftwerkes in Paks als Geheimsache eingestuft werden. Das entsprechende Parlamentskomitee hat dafür jetzt den gesetzgeberischen Rahmen gesteckt, die Regierungspartei argumentiert mit "nationaler Sicherheit" und erklärt alle Gegner zu Feinden Ungarns.
10paks (Andere)
Blick ins Innere von Paks I.

Lautete die Begründung zunächst, dass man die Technologien der Vertragspartner, also Geschäftsgeheimnisse bzw. "geistiges Eigentum" schützen müsse, folgt nun eine weit martialischere Sprachregelung, um das wohl größte Gaunerstück der Nachwendezeit unter Verschluss zu halten, wie Gegner des Projektes vermuten.

 

30 Jahre sollen "spezielle geschäftliche und technische Daten" des Projektes der Öffentlichkeit vorenthalten werden. Damit sind jedoch nicht nur Spezifika in Ausschreibungen, technische Dokumentationen oder Notfallpläne gemeint wie bei solchen sensiblen Projekten üblich, sondern sogar die Namen, der Ausschreibungsgewinner sowie die gesamte Detailabrechnung. Dafür will man der Öffentlichkeit die Umweltdaten, welche auch immer, zugänglich halten, was man als ausreichende Transparenz ansieht.

Da es bei dem Projekt um die "energetische Versorgungssicherheit Ungarns" gehe, sei direkt die "nationale Sicherheit" betroffen. Kritikern an der Geheimhaltung wirft Fidesz in Fortsetzung dieser Argumentationskette direkt Landesverrat vor. "Wer das Projekt angreift, greift das ganze Land an", sagt Fidesz in einer Aussendung.

Diese sehen jedoch vielmehr eine Spielwiese für die Abzweigung von öffentlichen Mitteln in nie dagewesenen Größenordnungen. Immerhin stellt Russland einen Kredit von 10 Mrd. EUR zur Verfügung, für den der ungarische Steuerzahler zu 100% haftet, der außerdem weitere 2 Mrd. EUR Eigenmittel beisteuern muss. Nach Expertenschätzung könnten 2/3 der Summe für das Ausbauvorhaben von 2 weiteren Blöcken sowie die Grundsanierung der Infrastruktur genügen, russische und ungarische Firmen sich also bis zu 4 Mrd. EUR abzweigen, ohne, dass dies je nachweisbar wäre. Schon bei der
Bekanntgabe der Kreditbedingungen, hatte die Regierung ihr Volk belogen.

Sowohl die EU-Kommission als auch Euratom haben schwere Bedenken gegen die Vertragsgestaltung für Paks II, das vorgeschriebene europaweite Ausschreibungen umgeht und damit gegen EU-Binnenmarktregeln verstößt. Weitere Bedenken gibt es bei technischen Fragen der Abwicklung der Befüllung und Entsorgung mit Brennelementen. Die
Prüfungen befinden sich in einer Frühphase, die EU-Behörden suchen schon jetzt nach ausreichenden Informationen. Premier Orbán hat den Umstand der Prüfung bereits als "Angriff auf die Souveränität und ungarische Familien" eingeordnet, denen die mit den westlichen Konzernen verbrüderten Brüsseler Bürokraten die "niedrigeren Strompreise" nicht gönnen würden.

Dass diese nach Einschaltung der neuen Blöcke ungefähr im Jahre 2021 wirklich niedriger werden, bezweifelt selbst der AKW-Betreiber MVM. Die veranschlagte Refinanzierung und der Betrieb machen eine massive Strompreiserhöhung (mehr als das Doppelte) notwendig - oder eben den Ausgleich der Verluste durch Steuern.
Hier mehr dazu.

Die landeseigene Opposition zerreibt sich am Fideszschen Demokratie-Abwehrsystem, das mittlerweile wie geschmiert läuft. Mehrere Initiativen, das Projekt durch ein bindendes Referendum zu stoppen, scheiterten an der Nationalen Wahlkomission, entweder aus "formalen Gründen" oder deshalb, weil der Gegenstand "internationale Vereinbarungen" tangiert, die von Referenden nicht angegangen werden dürfen.

Die oppositionelle MSZP, die während ihrer Regierungszeit grundsätzlich auch nicht gegen den Ausbau von Paks war, sieht den Schutz "technischer Daten" als gerechtfertigt an, "geschäftliche Daten" müssten jedoch zugänglich sein, die Wähler hätten ein Anrecht darauf zu erfahren, wie mit ihrem Geld umgegangen wird. Außerdem gehört das Projekt "öffentlich ausgeschrieben", was natürlich von Russland und von Seiten der ungarischen Regierung ausgeschlossen bleibt.

Die LMP beklagt den Verstoß gegen internationales Recht, gegen die eigene Verfassung sowie gegen das Informationsfreiheitsgesetz. Selbst unter Fidesz-Politikern, einigen Vertretern der Gruppe, die immer noch glauben, Orbán habe ausschließlich die Interessen des Landes im Blick, regte sich Kritik. Der CÖF-Gründer, "Demokrata"-Chefredakteur und Fidesz-Abgeordnete János Bencsik hielt selbst die zuvor für 15 Jahre vorgesehene Geheimhaltung für "nicht zu rechtfertigen".

 

Die EU hat über allfällige Vertragsverletzungen bei dem Projekt letztlich eine Art Veto-Recht, dessen Ausübung Orbán am Ende zur Beantwortung der Gretchenfrage zwingen würde - vorausgesetzt die EU verfolgt die Umsetzung ihrer Regeln konsequent bis zum Ende. Beugt Orbán sich dann dem Druck Brüssels, würde er Moskau und die mitschneidende Klientel so verärgern, dass nicht nur das Projekt selbst abgesagt werden könnte, sondern Orbán innerparteilich an die Grenzen seiner Macht stieße, die bekanntlich dort zu verorten sind, wo der Zugang zu den Futtertrögen verläuft. Zieht er das Projekt auf russiches Dekret gegen den Willen der EU und ihrer Gerichte durch, riskiert er ruinöse Einschnitte in die lebenserhaltenden Zahlungsflüsse aus Brüssel. Ein Szenario, das bei aller Logik, mehr als unwahrscheinlich ist, denn bisher wurde noch jede noch so schwere Vertrags- oder Grunwerteverletzung durch die EVP-Bruderschaft mit einem faulen Kompromiss abgehandelt, Orbán konnte letztlich gewähren.

Hintergrund:
Putin oder die EU - wer stoppt Paks II zuerst?

red. / a.l.
 

Der Pester Lloyd bittet Sie um Unterstützung.
Pester Lloyd Unterstützer Abo

 

 

 

 

 

Effizient werben im
Pester Lloyd!
Mehr.

Unterstützen Sie den Pester Lloyd!