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(c) Pester Lloyd / 18 - 2015     POLITIK    29.04.2015

 

Orbán für Wiedereinführung in Ungarn: "Todesstrafe gehört auf die Tagesordnung..."

Es ist, nach der hetzerischen Flüchtlingspolitik, der nächste Kniefall vor der extremen Rechten: Bei einem Auftritt in der Provinz forderte Ungarns Premier, dass die Wiedereinführung der Todesstrafe ernsthaft diskutiert werden müsse, weil die Kriminellen des Landes eine andere Sprache nicht verstünden. Die Idee ist weder neu, noch irgendwie durchdacht, sorgt aber für ablenkende Aufregung. Ein typischer Orbán eben.

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Premier Orbán, am Dienstag in Pécs heftigst von begeisterten Anhängerinnen bestürmt

UPDATE, 29.04., 12:25 Uhr: Der Präsident des Europäischen Parlamentes, Martin Schulz, bat Premier Orbán am Mittwoch um ein klärendes Telefongespräch, Abgeordnete der Fraktion der Sozialdemokraten (S&D) ("komplett europarechtswidrig, barbarisch") und der Liberalen (ALDE) verurteilten den Vorstoß Orbáns, ALDE will zudem, dass die zuständigen EU-Institutionen den Verdacht der Vehetzung beim Flüchtlingsfragebogen prüft.

Erstberich (28.04., 15.00 Uhr):

Am Dienstag hatte Ungarns Premier Orbán einen Auftritt in Pécs, eine von 23 Stationen durch alle Komitatsstädte, bei denen im sogenannten "Moderne Städte"-Programm EU-finanzierte Infrastruktur-Projekte als Leistungen der Regierung angepriesen werden.

Im Zusammenhang mit einem aktuellen Mordfall im naheliegenden Kaposvár, führte der Premier bei einer Pressekonferenz aus, dass das vorliegenden Strafrecht offenbar zur Abschreckung nicht ausreichend sein könnte, auch wenn Ungarn die "tatsächliche lebenslange Strafe" wieder eingeführt habe. Daher solle "Ungarn sich nicht fürchten, Verbrechern klar zu machen, dass es alles tun werde, um seine Bürger zu schützen."

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Mit dem Pécser Fidesz-Oberbürgermeister Zsolt Pava während der beschriebenen Pressekonferenz.

Inwiefern die Todesstrafe Mordopfer schützen soll, zumal die abschreckende Wirkung durch weltweite Erfahrungswerte, nicht zuletzt in den USA, längst widerlegt ist, konkretisierte er dabei nicht. Doch "die Frage der Todesstrafe gehört auf die Tagesordnung", so Orbán wörtlich, der jedoch nicht genauer wurde, ob seine Regierung oder die Partei in der Sache nun konkret aktiv werden wird oder man z.B. eine weitere "nationale Konsultation" zu dem Thema anstrebt.

Auch zu den erwartbaren internationalen Ärgernissen, die Ungarn dann bevorstünden, kam kein Wort, Orbán ging es wohl einmal mehr darum, den vermuteten Volkszorn für die Bewässerung seiner Felder zu kanalisieren. Und das gelang, während sich Medien und Opposition über den neuesten Orbán-Sager echauffieren, spricht kein Mensch mehr davon, dass bald schon in der Nähe von Pécs, direkt an der Stadtgrenze ein Zwischen-- bzw. Endlager für atomare Abfälle entstehen soll, im Rahmen des mit Russland vereinbarten Ausbaus des AKW Paks. Die Proteste von Umweltgruppen und Bürgern während Orbáns Besuch in der Stadt wurden von der Kraftmeierei Orbáns überspielt.

Die seit langem nicht mehr praktizierte Todesstrafe wurde 1990 in Ungarn offiziell abgeschafft. Doch bereits 2002, damals gerade wieder in der Opposition, verlangte Orbán angesichts eines acht Todesopfer fordernden Banküberfalls in der Filiale der Erste Bank in Mor, dass man die Wiedereinführung "ernsthaft erwägen" solle. Damals meinte er - wissend, dass die EU die Todesstrafe bei ihren Mitgliedern nicht duldet, dass eine "Zeit kommen werde, in der sich in Europa wegen des Kampfes gegen Terrorismus die Einstellung zu diesem Thema ändern wird". "Auch die EU wird sich ändern" und Ungarn dann "zu den Ländern gehören", die einer Wiedereinführung "offen gegenüber stehen."

Erst vor einem Jahr, im Wahlkampf,
bedauerte Orbáns Amtsleiter János Lázár auf einem “Straßenwahlforum” in einem Dorf im Komitat Csongrád, dass es "es nicht möglich ist, die Todesstrafe wieder einzuführen." Dies sei notwendig, da "die Gerichte keine Ahnung von der ungarischen Realität" hätten und nicht "nur der Wahrheit, sondern auch der Gerechtigkeit" dienen müssten. Anlass für diese Tirade gegen die Justiz war ein Berufungsverfahren gegen eine "echte" lebenslange Strafe für einen lokalen Dreifachmörder.

 

Die Europäische Menschenrechtskonvention verbietet ein ultimatives lebenslanges Wegsperren ohne jede Aussicht auf Freilassung als "inhumane Strafe", es müsste zumindest ein regelmäßiges Prüfverfahren geben, ob die Verwahrgründe noch gegeben sind. Diese Maßgabe hat Ungarn mittlerweile durch eine formale Gesetzesänderung umgangen. Auch auf anderen Gebieten wurde das Strafrecht teils massiv verschärft, u.a. auch bei lapidaren Drogendelikten, vor allem aber - mit Blick auf die “Zigeunerfrage” bei wiederholter Armutskriminalität (sog. 3-Strikes-Regel):  Mehr dazu in "Tode dem Hühnerdieb".Dagegen unterließ man die Ratifikation der Istanbul Konvention gegen Gewalt gegen Frauen, dieses sei mit dem ungarischen Rechtssystem "nicht kompatibel."

Der Vorstoß Orbáns zur Todesstrafe ist ein weiteres Entgegenkommen an Forderungen der neonazistischen Jobbik, die als einzige Partei des Landes
offen diese Wiedereinführung fordert. Auch die aktuelle Flüchtlings- und Einwanderungspolitik  entspringt praktisch 1:1 dem Parteiprogramm der Jobbik, die dem Fidesz in Umfragen gefährlich nahe gekommen ist und der Regierungspartei zuletzt sogar ein Direktmandat bei einer Nachwahl abjagen konnte.

red. / ms.

 

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