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(c) Pester Lloyd / 20 - 2015   POLITIK     12.05.2015

 

Cameron, Orbán, der Earl of Sandwich und die "Zigeuner Europas": Wird Großbritannien bald osteuropäische Einwanderer ausweisen?

Großbritannien könnte im Rahmen der von Cameron angestrebten "Special Relations" mit der EU Hunderttausende "Wirtschaftsflüchtlinge" aus Osteuropa, vor allem Polen und Ungarn wieder zurück in ihre Heimatläner schicken. Davor fürchten sich die Regierungen der Herkunftsländer und besonders die fremdenfeindlich auftrumpfenden Ungarn. Die entdecken jetzt auf einmal das Menschrecht und Europa.

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Zwischen den Aussagen "Wir wollen und brauchen überhaupt keine Einwanderung." und die "Einschränkung der Bewegungsfreiheit von Menschen ist nicht hinnehmbar." liegen normalerweise Welten. Nicht so in Ungarn, da ist dieser Spagat leicht möglich. Der Unterschied besteht nur in einem Pass.  Zusammen mit den Kollegen aus Polen und der Slowakei warnte der ungarische Staatsminister für EU-Angelegenheiten, Szabolcs Takács, den britischen Premier David Cameron vor dem "Überschreiten roter Linien" im Umgang mit Einwanderern.

Cameron und einige seiner Parteigänger hatten bereits im Wahlkampf mehrfach die "Ausländerkarte" gespielt und angedeutet, die Hunderttausenden Polen, Ungarn und andere Osteuropäer wieder in ihre Heimatländer schicken zu wollen, um Jobs für Briten schaffen zu können.

Mit einem EU-Austritt der Briten, der nach einem womöglich bereits für 2016 angesetzten Referendum, denkbar ist, würden diese automatisch ihre Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis verlieren, es gibt jedoch auch Stimmen bei den britischen Konservativen, die im Rahmen der angestrebten "special realtions" zur EU, eine strenge Quotierung der Zuwanderung von "Billigarbeitern" - auch aus der EU - fordern.

 

Die Personen- und Arbeitsfreizügigkeit müsste gewährleistet bleiben und sei nicht verhandelbar, meinen die drei osteuropäischen Offiziellen nun in einem Beitrag für die Finincal Times. Der Ungar fügte noch trotzig an, dass "wir es nicht mögen", wenn die Hunderttausenden Ungarn in Großbritannien "als Einwanderer bezeichnet werden", denn innerhalb Europas herrsche ja ein Binnenmarkt. Orbán nannte diese immer größer werdende Gruppe ungarischer Wirtschaftsflüchtlinge neulich "Wirtschafttouristen", die eine Weile im Westen Geld verdienen wollten, aber nie aufhörten Ungarn zu sein, um schließlich wieder in die Heimat zurückzukehren.

Der Begriff "Einwanderer" wird von der Orbán-Regierung nämlich für "Flüchtlinge" verwendet und um den Zusatz "leistungsbeziehende" (lies: schmarotzende) erweitert. Diesen Flüchtlingen, die Ungarn nur als Transitland benutzen, werden wiederum mit der "terroristischen Gefahr" gleichgesetzt und in ihrer "Kulturfremdheit" als direkte Gefahr für die ungarische Nation beschrieben. Derzeit läuft in Ungarn eine politisch-ideologische Kampagne, die von Europäischem Parlament, UNHCR und anderen als offene Hetze gegen Flüchtlinge kritisiert wird.
Mehr dazu.

Seit dem erneuten Amtsantritt Orbáns 2010 sind rund 600.000 vorwiegend junge, gut ausgebildete Menschen aus Ungarn abgewandert, zwei Drittel davon bleiben dauerhaft weg, weitere 1 Million Menschen, also 10% der Bevölkerung wollen diesen bald oder sehr bald folgen, ein Großteil davon für ein bis zwei Jahre, rund die Hälfte aber "langfristig", wie das Institut Tárki feststellte. Diese Quote war im Nachwendeungarn noch nie so hoch, da tröstet es die Regierung in Ungarn wenig, dass die Geldsendungen der "Wirtschaftstouristen" an ihre Familien zu Hause mittlerweile 2,5% des BIP ausmachen. Das Vereinigte Königreich ist, neben Österreich und Deutschland, die Lieblingsdestination der jungen Ungarn.

Unterstützung erhielt Cameron mit seinem Wunsch nach "Neuverhandlungen" von EU-Verträgen bzw. der britischen Pflichten daraus von Ex-Kommissionspräsident Barroso. Dieser sieht zwar auch die Personenfreizügigkeit als nicht verhandelbar, versteht aber, dass Cameron "Missbräuche im Sozialsystem stoppen" wolle. Auch das klingt nach einer Quotenregelung, letztlich also doch der Aufhebung der Freizügigkeit und damit einer der Säulen der europäischen Grundwerte. Gegen nicht Wenige davon geht auch Orbán im Inland konsequent vor, was ihn zu einem Bewunderer Camerons machte. Dessen Wahlsieg feierte er im Radio mit Elogen: er sei überglücklich, damit habe ein Mann gewonnen, der für den Mut in Europa stehe (lies: so wie er). Barroso hatte auch für Orbán dieser Tage eine Message: Wenn Du die
Todesstrafe willst, verschwinde aus der EU...

Es mehren sich indes die pragmatischen Stimmen auch in Camerons eigener Partei, die über den Status Großbritanniens in der EU erst verhandeln wollen, um dann, sollten diese Gespräche nicht nach dem Gusto von Volk und Regierung sein, ein Referendum anzusetzen. Die osteuropäischen Wirtschaftsflüchtlinge könnten so zur Verhandlungsmasse werden und als Zugeständnis für einen Verbleib der Insel in der EU geopfert werden. Was es politisch bedeutet, wenn einige Hunderttausend, westlich geprägte Arbeitslose in ihre Heimatländer zurückkehren, kann man sich ausmalen und ist wohl auch der Grund der Intervention der drei EU-Minister.

Die allein durch den Markt regulierte Zuwanderung aus Osteuropa in Großbritannien wird von allen politischen Parteien bearbeitet, die natürlich ihren Willen "Jobs for British people" zu schaffen, präsentieren müssen. Polen, Tschechen, Slowaken, Rumänen und Ungarn werden als Lohndrücker kritisiert, während die Wirtschaft meint, für viele Jobs gar keine Briten zu finden - zumindest nicht für den gebotenen Lohn. Das gelte vor allem für die Agrar- und Lebenmittelindustrie, den Pflegebereich, den Bau, die Gastronomie. Freilich spielt sich viel auch im grauen und schwarzen Arbeitsmarkt ab, Fachleute - auch solche von der Insel - machen jedoch die strukturellen Schwächen, die Deindustrialisierung seit der Thatcher-Ära und die Überbetonung des Finanzmarktes für den unflexiblen und erodierenden Arbeitsmarkt verantwortlich.

Welche Emotionalität das Thema mittlerweile hat, bekam der Tory-Parlamentarier Craig Mackinlay am eigenen Leibe zu spüren, er musste sich im Wahlkampf Vorhaltungen machen lassen, weil er eine Webseite besitzt, auf der direkt Ungarn zum Arbeiten nach Großbritannien gelockt werden: für £175 pro Woche nach Abzug von Steuern und Logis. Seine Frau sei Ungarin, man hatte vor Jahren mal die Idee einer solchen Stellenvermittlung, aber "Die Firma hat nie gearbeitet, ich habe nie, auch nur einer Person geholfen, nach Britannien zu kommen, die Webseite wurde auch nie ins Ungarische übersetzt", musste der Parlamentskandidat Abbite leisten.

 

Für nationale Aufwallungen sorgte auch die Stellenanzeige eines großen Catering-Unternehmens, dass kürzlich für die Herstellung des einzigenHighlights der britische Küche, dem Sandwich, händeringend in Ungarn Arbeiter suchte und über Hundert von ihnen einstellte. Nach einigen Debatten und einem "Aufschrei von Northhamptons 8000 Arbeitslosen" (The Guardian), mischte sich sogar der Elfte Earl of Sandwich ein und befand, dass Ungarn sehr wohl in der Lage sein könnten, "gute Sandwiches zu produzieren", auch wenn er an ihrer Stelle lieber Briten sehen würde...

Europa solle die Einwanderung ganz stoppen, so lautet die Forderung des ungarischen Premiers. Sein Vorschlag geht noch weiter, für die Arbeiten, die "die Europäer" selbst nicht erledigen wollen und die heute von Einwanderern gemacht werden, "könnte man die europäischen Roma" heranziehen.
Das hat er wirklich gesagt und sein Minister Balog freute sich noch darüber, dass "man endlich über dieses Tabu sprechen kann."

Großbritannien und Cameron haben jetzt die Gelegenheit, ihrem Bewunderer Orbán eine Lektion zu erteilen und ihm "seine Ungarn" so quasi zu "Zigeunern" zu machen, die man je nach politischer oder ökonomischer Opportunität über den Kontinent hetzen kann. Die Rückkehrer können Orbán dann verdeutlichen, was sie von solcher Politik und einem solchen Menschenbilde halten.

red. / ms.

 

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