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(c) Pester Lloyd / 27 - 2015     POLITIK    01.07.2015

 

"100 Millionen Afrikaner warten...": Regierungstreffen Serbien - Ungarn und neue Tiefpunkte der Flüchtlingspolitik

Neue Flüchtlingsgesetze sind in Ungarn beschlossen worden, Asylverfahren werden damit quasi abgeschafft. Bei einem Treffen mit der serbischen Regierung rechtfertigte Orbán seinen neuen Eisernen Vorhang mit der Abwehr einer "neuen Völkerwanderung", sein Amtskollege Vucis gab sich deutlich zahmer als zuerst und auch Österreich springt nun in Orbáns Boot. Der Opposition bleibt nicht viel mehr als eine "gesamteuropäische Lösung" und die Einhaltung humanitärer Grundrechte einzufordern. Beides scheint aussichtslos.

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Die Häufung unserer Berichte zur Flüchtlingsproblematik in und um Ungarn mag manchen Leser ermüden. Doch die Entscheider und Scharfmacher legen einen so zügigen Rhythmus bei der Errichtung der "Festung Pannonien" an den Tag, dass wir dran bleiben müssen, um unserer Leserschaft zeitnahe Fakten und Einordnungen zu ermöglichen, wir bitten daher um Verständnis.
Diesem Beitrag haben wir für Sie eine umfangreiche Chronologie der Ereignisse angehängt, so dass im nachfolgenden Text ausufernde Verlinkungen nicht nötig sind.

Die neuen Flüchtlingsgesetze in Ungarn, am Dienstag angenommen mit einer Mehrheit aus Fidesz- und Jobbik-Abgeordneten von 140 Stimmen, es gab 14 Gegenstimmen (LMP, Unabhängige), bei 27 Enthaltungen (MSZP) und 17 Abwesenden, umfassen als zentralen Punkt die Ermächtung der Regierung, "sichere Staaten zu identifizieren". Das werden, außer der Ukraine, alle Nachbarländer Ungarns sein. Flüchtlinge, die aus diesen Ländern nach Ungarn kommen, dürfen in Ungarn keine Asylverfahren durchführen.

 

Fidesz-Vizechef Kósa fasste die neue "Strategie" so zusammen: "Flüchtlinge müssen jetzt am ersten Ort gestoppt werden, wo ihr Leben nicht mehr in Gefahr ist." Praktisch bedeutet das: alle aufgegriffenen Flüchtlinge werden verhaftet und eingesperrt, binnen 48 Stunden soll in einem Schnellverfahren über ihren Status entschieden werden und dann unmittelbar die Rückschiebung vorgenommen werden. Ein missverständlicher Passus im Gesetz lässt auch Raum für unmittelbare Rückbringungen an der Grenze, ohne jedes rechtliche Gehör zu. Das ist nicht weniger als die angekündigte Abschaffung von Asylverfahren in Ungarn und damit ein offener Verstoß gegen die Genfer Flüchtlingskonvention, gegen EU-Regularien ohnehin, auch über Dublin-III hinaus.

Ebenfalls am Dienstag fand eine gemeinsame, serbisch-ungarische Regierungssitzung statt, auf der Premier Orbán betonte, dass der geplante Grenzzaun "nicht gegen Serbien" gerichtet sei, aber aufgrund der "neuen Völkerwanderung" nötig ist, eine Sprachregelung, die in den letzten Tage von Fidesz-Politikern zum Standard erhoben wurde. Laut Orbán besteht die Gefahr, dass, wenn man zunächst Tausende, dann eine Million Einwanderer nach Europa lässt, am Ende alle kommen, "100 Millionen Afrikaner" nur darauf, nach Europa zu strömen, wenn man nichts dagegen unternimmt. In diesem Zusammenhang erwähnte er auch die "amerikanische Präsenz" in den Krisenregionen, unausgesprochen die Weltmacht zeihend, die Fluchtgründe verschärft zu haben.

Beide Seiten bemühten sich, die heftigen Misstöne, die man nach der Budapester Ankündigung ausgetauscht hatte, zu unterdrücken. Der serbische Preier, Aleksandar Vucic, wiederholte zwar, dass sein Land "nicht erfreut" über die Maßnahme der Ungarn sei, die
Auschwitz-Rhethorik und die totale Ablehnung des Zaunbaus von zuvor ließ der Gast in Budapest aber weg, ja, er betonte, welche dicke Freundschaft beide Länder verbinde, die eben auch mal schwere Zeiten überstehen könne.

Dabei solle die Entsendung von noch mehr ungarischen Polizisten und Technik helfen, die die serbischen Kollegen an der mazedonischen Grenze bei der "Flüchtlingsabwehr" unterstützen sollen. Das Problem soll also nach Süden verschoben werden. Serbien werde die Grenzkontrollen verstärken, um zu verhindern, dass es gen Norden einen Flüchtlingsstau gibt. An Sperranlagen denkt Belgrad jedoch bisher nicht, wohl aber an Abschiebungen nach Mazedonien und Griechenland.

Orbán mochte die Frage des serbischen Staatsfernsehens, wann denn der Zaun stehen solle, nicht beantworten. Auch die Nachfrage, ob er wirklich glaube, dass ein solches Bauwerk das Flüchtlingsproblem stoppen werde und was er zu tun gedenke, wenn der Menschenstrom dann über Kroatien und Rumänien umleitet, umging er. Wohl auch, weil er solche Fragen vom eigenen Staatsfernsehen nicht mehr gewohnt ist... Mit Floskeln wich er Antworten aus und bestand darauf, dass alle jene, die den illegalen Grenzübertritt vornehmen "keine guten Absichten" hätten, eine Variation seiner früheren Worte von Flüchtlingen als "organisierte Kriminelle".

Die ungarische Seite konstatierte letztlich, dass die Errichtung des Zaunes von Serbien "jetzt nicht mehr in Frage gestellt" wird. Das war das eigentliche Ziel des Treffens.

Gleichzeitig mit dem Regierungstreffen verfassten die Außenministers Serbiens, Ungarns und Österreichs, ein gemeinsames Memorandum an die EU, in dem man erklärte, dass die Grenze des Machbaren für die Länder erreicht sei und die drei Länder enger und rabiater als bisher im Grenzschutz kooperieren werden. Österreich, selbst unfähig (bzw. aus politischem Kalkül eher unwillig) ein geordnetes Aufnahme- und Lagersystem zu organisieren, hatte zuvor Ungarn mit Grenzkontrollen gedroht, nun aber weitere Polizisten für die Südgrenze Ungarns in Aussicht gestellt.

Die ungarische Opposition - außer Jobbik, der es gar nicht scharf genug gegen die "Kulturfremden" gehen kann - ist sich so einig wie machtlos: Die Regierung könne einen Zaun bauen, Serbien und andere Länder als "sicher" bezeichnen, sie wird damit weder die Probleme der Flüchtlinge, noch die Ungarns und schon gar nicht die Flüchtlingswelle selbst stoppen. Ungarn legalisiere ein Vorgehen, dass die Rücksendung von Menschen in Gebiete erlaubt, die ihnen keinen adäquaten Schutz bieten, kritisierte die linksliberale "Együtt".

 

Die ähnlich ausgerichteten Kollegen von "PM" ergänzten, dass der Ausbruch von Gewalt im maßlos überbelegten Flüchtlingslager Debrecen auch Folge der Unterbetreuung gewesen sei und fordert leerstehende Gebäude im Lande freizugeben und mindestens 100 weitere Mitarbeiter bei der Asylbehörde einzustellen. Die DK von Ex-Premier Gyurcsány ergänzte, dass die Regierung offenbar lieber Geld für "Hasskampagnen" als für Notversorgung für Menschen ausgebe.

Die Kritik der ungarischen Oppositionsparteien an der Flüchtlingspolitik konzentriert sich auf den Vorwurf, dass die Regierung einer gemeinsamen Lösung innerhalb der EU aus dem Weg geht und sie mit ihrem Eigensinn unmöglich macht. Allerdings ist hier anzumerken, dass die EU-Regierungschefs auf
ihrem Gipfel vorigen Freitag in Summe selbst versagt haben, was Orbán die Möglichkeit eröffnete, seinen eigenen Weg zu gehen, ohne auf EU-Beschlüsse Rücksicht nehmen oder sich für ihren Bruch rechtfertigen zu müssen.

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Stacheldraht, verschärfte Kontrollen und - wie zum Hohn - die EU-Flagge. Am ungarischen Parlament ist nicht gehisst... Fotos: MTI

Im Nachklang zu den Krawallen im Flüchtlingslager Debrecen am Montag, wurden sechs weitere Lagerinsassen von der Polizei abgeholt, der Debrecener Bürgermeister hielt am Lager eine Pressekonferenz ab und kündigte verschärfte Sicherheitsmaßnahmen an.

 



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