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(c) Pester Lloyd / 44 - 2015   POLITIK     30.10.2015


Kein wirklich freies Land: US-Botschafterin knöpft sich Orbáns Ungarn vor

Die US-Botschafterin in Ungarn, Colleen Bell, hat ihre diplomatische Zurückhaltung abgelegt und Orbáns Siegestrunkenheit jäh unterbrochen. In einer sehr engagierten und teilweise harschen Rede prangerte sie unhaltbare Zustände in Ungarns Politik und Ökonomie an - ohne Rücksicht auf bigotte Bloßstellungen durch eigene Missstände und Interessen. Bei der Flüchtlingspolitik wollte sie Orbán sozusagen an den nationalen Eiern packen, griff aber zwangsläufig daneben. Entsprechend patzig waren die Reaktionen im aufgescheuchten Budapester Hühnerstall.

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“Freiheitsglocke” Bell gegen “Pusztaputin” Orbán...

 

Als im Januar mit Colleen Bell die neue amerikanische Botschafterin in Budapest ankam, empfangen von einem dornenlosen Rosenstrauß, hoffte die ungarische Regierung mit der Hollywood-Produzentin (Reich und Schön) endlich wieder Ruhe in die bilateralen Beziehungen zu bekommen. Und tatsächlich: Bald darauf verließ mit André Goodfriend jener US-Geschäftsträger das Land, der Orbáns Leute über Monate auf Trab hielt: Einreiseverbote gegen sechs Regierungsoffizielle, darunter die Chefin des Steueramtes, öffentliche, direkte Vorwürfe systematischer Korruption, unverhohlene Unterstützung für Bürgerrechtsgruppen und Opposition. Investitionswarnungen und offene Drohungen mit weitergehenden Schritten. Goodfriend wurde zum Mr. Worstcase der Regierung.

Die Neue spielte ein paar Monate mit, machte artig ihre protokollarischen Knickse und deutete so an, eine nichtssagende und nichtstuende Rolle als Händeschüttler und Grüßaugustine zu spielen, so wie es die meisten europäischen Botschafter zu tun pflegen (wobei sie freilich im Hintergrund wirken, was man nicht so sieht usw...). Hier ein bisschen Lobbyarbeit für die landeseigenen Investoren, ein paar Bündnisbekenntnisübungen, ansonsten gepflegte Langeweile.

Bei einer Rede (Hier das
Original auf der Seite der US-Botschaft) an der Budapester Corvinus Universität am Mittwoch änderte sich die Attitüde Bells schlagartig, sozusagen von der Diplomaten-Tussi zur Freiheitsglocke. Mittenhinein in den aufgeblasenen Machtrausch Orbáns, der sich im Kampf gegen die EU mit seiner Flüchtlingslinie auf dem Höhepunkt angekommen sah, fiel der US-Hammer auf ihn hernieder. Budapest darf nun klar sein, dass nichts geklärt ist und nichts unter den Tisch gefallen lassen wird, was Goodfriend dereinst auf diesen legte.

Nach einigen Nettigkeiten kam Botschafterin Bell recht direkt zur Sache und erklärte dem Gastland in klaren Worten, was falsch läuft: Die Korruption im Lande nehme zu, behindere Investoren, das Steuer- und Gesetzesumfeld mache Sorgen, Unternehmen aus dem Ausland finden in Ungarn kaum freie, faire und transparente Marktbedingungen vor. Die Zustände in Ungarn sind so unberechenbar, dass die meisten Investoren derzeit einen Umweg um Ungarn machten.

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Korruption sei aber auch ein Hemmnis für die Entwicklung der heimischen Wirtschaft, eine wachsende Sorge der Bürger und eine Gefährdung des Staates: "Wo immer systemische Korruption eine gerechte Verwaltung untergräbt, entsteht ein Umfeld für das Anwachsen von bürgerlicher Unruhe, Widerstand gegen die Regierung, ja sogar gewalttätigen Extremismus."

Kurz: Wo die Lüge regiert, verliert Macht an Autorität. - Bell mahnt eine Reform des Ausschreibungswesens an, gesetzliche Rahmenbedingungen dafür, Amtspersonen zur Rechenschaft ziehen zu können sowie eine transparente Informationspolitik an. Sie fordert den Rechtsstaat zurück, das Gegenteil also von dem, was die Orbán-Regierung seit 2010 hier abzieht.

Natürlich stehen US-Interessen im Vordergrund der Motivation für Bells Demokratiebemühungen. Das ist das große Manko der USA überall auf der Welt. Demokratie und Rechtsstaat sind für die Amerikaner kein Selbstzweck, kein Ziel, sondern nur Mittel zum Zweck. Sie haben ein Preisschild und kassieren will der, der die Demokratie "bringt" oder beschützt. Bell kritisierte daher den 10 Mrd. EUR-Atom-Deal mit Moskau nicht in erster Linie als anachronistischen Rückfall in die Atomenergiezeit, sondern als intransparentes Verfahren, das gegen einen "offenen Energiemarkt" - auf dem nunmal der Westen die Nase vorn hat - wirke.

Bell warnte weiter vor der "ansteigenden Zentralisierung der Macht", die "wichtige Entscheidungen" trifft, die für Generationen wirken werden, ohne, dass die Betroffenen eine Chance hätten, an ihnen mitzuwirken. Auch das natürlich ein Boomerang: Wer in der von Lobbyismus geprägten amerikanischen Landschaft hat eine Chance mitzureden, entscheidend einzugreifen? Doch der Unterschied ist ebenso augescheinlich: Kein US-Präsident hat die Macht oder auch nur die Chance, die grundlegenden Säulen der Demokratie, die Checks und Balances außer Kraft zu setzen oder anzubohren.

Auch deshalb brauche es eine "unabhängige Zivilgesellschaft", sie sei ein "Eckstein einer funktionierenden Demokratie". Überall da, wo Regierungen "NGO´s einschränken, den Platz für abweichende Stimmen verkleinern, sehen wir keine wirklich freien Gesellschaften." Die USA werden daher weiter auf ein freies Wirkungsfeld für NGO´s hinarbeiten. Für die ungarische Regierung wie die Aluhut-Kompanien und Putinisten in Europa sind diese ja, in schönstem Kreml-Jargon, schlicht "Agenten fremder Mächte" (Lázár, Orbán). Bell forderte nochmals sehr deutlich das Ende der Intrigen und Verfahren gegen rund 50 NGO´s inUngarn, diese Kampagne, die die Regierung losgetreten hat, um Bürgerrechtler mundtot, zumindest aber handlungsunfähig zu machen.

Bell beklagte viele Punkte in einer Weise, die weit über das hinausgehen, was sich jemals ein westlicher Botschafter in Ungarn erlaubt hat. Sie klagte die "Verringerung der Unabhängigkeit des Verfassungsgerichtes" an, der Mangel an "unabhängiger Justiz" allgemein, den "merklichen Verlust an Pressevielfalt bzw. -freiheit". Dabei stellte sie klar, dass in Ungarn Journalisten nicht eingesperrt würden, aber "bevorzugte Zuschüsse für die Staatsmedien" und "konzentrierte Eigentumsstrukturen" im Privatmedienbereich genügten als Stichworte, um Orbáns Ambitionen im "Medienkrieg" anzusprechen.

Auch die Änderungen im Wahlrecht sprach Bell an und mahnte hier die Abgleichung mit OSZE-Normen an. Das betrifft die Transparenz und Art der Wahlkampffinanzierung, aber auch die Ziehung neuer Wahlbezirksgrenzen und die eigenartigen Möglichkeiten für im Ausland lebende Ungarn, ihre Stimmen abzugeben. Um allfälligen "Abers" zu begegnen, gestand Bell ein, dass auch in den USA nicht alles zum Besten steht. Aber das mache das Schlechte anderswo ja nicht besser und "unter Freunden" muss man sich das ja auch sagen dürfen.

Ganz in diesem Sinne sind auch die Anmerkungen zur Flüchtlings- und Grenzpolitik zu sehen. Natürlich habe jedes Land das Recht seine Grenzen zu schützen, aber "jedes Land hat im Rahmen seiner internationalen Verpflichtungen auch die Pflicht, schutzsuchenden Flüchtlingen Hilfe zu gewähren. Worte der Intoleranz und fremdenfeindliche Charakterisierungen von Flüchtlingen (eine direkte Ansprache an die rassistischen Ausfälle Orbáns), den verletztlichsten Menschen auf der Welt als `Eindringlinge` und `Feinde` haben bei der Suche nach Lösungen nichts verloren."

Sie fragt ganz offen, ob das nationale Selbstverständnis der Ungarn so schwach sei, dass es sich nur über Feinde und Bedrohungen definieren könne. Sie glaubt, nein. Sagt sie zumindest. Man solle sich über seine Stärken, über sich selbst definieren, nicht über die Ausgrenzung von Anderen, Schwächeren.
 
Ungarn könne seine Stärke am besten dann demonstrieren, wenn es innerhalb der EU um eine Lösung ringt, mithilft bei einer Lösungsfindung zu führen. Wir fordern den humanistischen Geist der ungarischen Führer, der Ordnungskäfte und aller anderen Bürger, die mit der Krise zu tun haben, so Bell. Der Fokus jeder Lösung auf die Flüchtlingskrise muss auf dem Schutz und der Rettung von Leben liegen und sicherstellen, dass die Menschenrechte aller Flüchtenden gesichert bleiben, dass sie respektiert werden. Das gelinge nur durch humane Einwanderungspolitik.

Bell versuchte - nicht ungeschickt - mit der Wortwahl nationaler Stärke etc. Orbán sozusagen bei den politisch-rhetorischen Eiern zu packen. Sie hätte wissen können, dass sie daneben greifen musste. Am Freitag kam die erwartbare Antwort, in nicht so erwarteter Primitivität. Bells Anmerkungen seien die einer "machtgestützten Interessenspolitik". Die Amerikaner stünden eben gänzlich anders zur Frage von Einwanderung (Wirtschaftsflüchtlingen) und - hier ein beliebtes Sujet der Verschwörungstheoretiker aufnehmend - es sei "klar, dass es nicht gegen US-Interessen ist, wenn Millionen oder gar Zigmillionen Menschen nach Europa strömen." "Ich frage mich nur", so Orbán weiter, "ob jemand, der auf US-Territorium ohne Visa gelangt, dort lebend ankommt? Ich glaube nicht." Die USA bauen Grenzzäune (zu Mexiko) und geben ihren Grenztruppen einen Schießbefehl. "Würden wir nur die Hälfte davon machen, hätten sie (EU) uns schon bei lebendigem Leibe die Haut abgezogen."

Auf die Vorwürfe massiver, systematischer Korruption, Machtkonzentration, Rechtsstaats- und Demokratieabbau, mangelnde Freiheit der Justiz - alles andere, ging Orbán mit keinem Wort ein. Wie auch, ohne weiter zu lügen?

Außenminister Szijjártó merkte kleinlaut an, dass man "alle diese Bedenken schon mit der EU besprochen" und selbstverständlich allumfänglich geklärt habe. Auch habe man "diese ganze Kritik schon oft gehört", "das ist nichts Neues." - so als hätte es sich damit erledigt, dass Korruption und Autokratie praktisch schon Gewohnheitsrecht geworden sind. Auch der Außenminister glaubt, dass "die USA mehr und mehr Flüchtlinge in Europa sehen wollen (Anm.: Destabilisierung, heimliche Umvolkung und Verblödung, damit die jüdische Weltherrschaft besser gelingt)". Ungarn sei aber das "einzige Land, dass den Migrantenstrom stoppen konnte."

Eher zufällig lancierte MTI zwei Meldungen: in der einen "begrüßten ungarische Abgeordnete die Bemühungen der US-Regierung zur Wiederherstellung von Vertrauen nach den illegalen Massenüberwachungen.", in der anderen verkündete die Staatsanwaltschaft, dass im abgelaufenen Jahr mehr Korruptionsfälle vor Gericht gekommen seien (wie denn, wenn es keine Korruption gibt?). Kanzler Lázár verbat sich "als EU-Mitglied die Einmischung irgendeines Nicht-EU-Landes." und das mit einer Miene als würde er gleich die Bomber losschicken (alle beide!).

 

Bells Rede hat durchaus Wellen geschlagen in der ungarischen Regierung. Denn es hat nun einmal geldwertes Gewicht, wenn die US-Botschafterin die Dinge beim Namen nennt und verdeutlicht, dass man sich bestimmte Entwicklungen nicht ohne Konsequenzen bieten lassen wird, jene Entwicklungen nämlich, die den Konsens demokratischer Staaten unterlaufen, rechtsstaatliche Mindestanforderungen negieren und Grundlagen des Humanismus aufheben.

Bells Rede hätte noch mehr Gewicht und sogar einen Ansatz Glaubwürdigkeit, wenn genannte Grundsätze auch von den USA konsequent umgesetzt würden. So bleibt nur die richtige Bestandsaufnahme und der ökonomische Druck, keine moralische Qualifikation. Dennoch: der Druck auf den siegestrunkenen Orbán ist wieder gestiegen und sei es auch nur ein ökonomisch erzeugter. Die USA setzen ihre Druckmittel immerhin ein, das haben sie der ewig duldenden EU voraus.

red. / ms.


 

 

 

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