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(c) Pester Lloyd / 43 - 2016    POLITIK     23.10.2016

Propaganda und Pfiffe: Ungarn schändet das Gedenken an den Volksaufstand 1956

An keinem anderen Tag manifestiert sich die Spaltung des Landes, der Grad der politischen Manipulation, aber auch die Lethargie der Mehrheit deutlicher als am Nationalfeiertag des 23. Oktober. Regierungschef Orbán sieht "sein" Land und Volk durch eine neue "Sowjetisierung" seitens der EU bedroht und sich als einzigen Schutz davor und damit als legitmen Erben der demokratischen Freiheitsbewegung von 1956. Seine Karriere begann 1989 am Sarg von Imre Nagy, auf den er heute spuckt...

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Die Inszenierung eines Größenwahnsinnigen, jeder Scham entledigt, frei von Respekt gegenüber den wahren Helden und Idealen von 1956.

 

Das "Gedenken" an den Volksaufstand der Ungarn 1956, also vor nunmehr 60 Jahren, gegen die stalinistische Herrschaft, wurde - wie schon die Jahre zuvor - wieder zu einer Propagandashow der Orbán-Regierung. Die Regierungspartei hat sämtliche staatliche Veranstaltungen in ihrem Interesse gestaltet, ja geentert, in den Reden wurde kein Zweifel daran gelassen, wer Freund und Feind sei.

Doch statt der 50 Staats- und Regierungschef, die vor zehn Jahren dem 50. Jubiläum beiwohnten, erschien zum 60. nur ein Gast, der polnische Präsident Andrzej Duda, ein Bruder im Geiste, wenn man in den antieuropäischen, antidemokratischen Worten und Handlungen in Warschau und Budapest denn Geist erkennen mag.

Die Oppositionsparteien, von Demokratische Koalition bis Jobbik, hielten Gegenreden auf getrennten Plätzen ab, das Interesse an ihren "Richtigstellungen" blieb gering. Einige hundert Menschen versuchten am Kossuth Platz vor dem Parlament die Rede Orbáns mit einem Pfeifkonzert zu stören, mit mäßigem Erfolg. Es gab einige Rangeleien, ein paar blutige Nasen bei Journalisten und dem bekannten Historiker Ungváry. Ein Fidesz-Aktivist verpasste ihm einen Faustschlag.

Orbán nutzte den Auftritt der "Störer", um vor der Wiederkehr des "Kommunismus", den "1956 der Teufel geholt" hätte, zu warnen, den diese Leute repräsentierten. Die Opposition nicht mehr als ein Stichwortgeber, eine Illustration der großen Show des Revisionismus. Die Polizei verhinderte durch Sperren nicht nur ein weitergehendes physisches Aufeinandertreffen der Anhängerschaften, sondern auch den Zutritt der Ausgeschlossenen von der amtlichen Party, darunter einige Chefs von Kleinparteien. Die Mehrheit der Ungarn blieb - uch das symbolisch zu verstehen - zu Hause oder genoss den milden Herbsttag im Privaten.

Immerhin, diesmal waren die Pfiffe und "Dikator"-Rufe der Protestierer auch bei der Übertragung im Staatsfernsehen zu hören, die Geräuschunterdrückung vermochte nicht, diese ganz auszublenden wie noch kürzlich bei der Stadioneinweihung. In den Berichten kamen sie indes wieder nicht vor. Die freien Medien - eine zentrale Forderung von 1848 wie von 1989 und 1956...

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Überall Pfeifen. Was sagt es über eine Opposition, die zu nichts weiter in der Lage ist als ein bisschen Krach zu schlagen?

Was hatte Orbán zu sagen? Es war - wie all die Jahre zuvor - die große Fabel vom nicht endenden Freiheitskampf der Ungarn, die sich für ganz Europa aufopfern und von der Definition davon, wer zur Nation gehört und wer nicht. Eine Linie vom Kampf des christlichen Ungarns gegen die Osmanen, über 1848, 1956, 1989 bis zur (aufgehaltenen) Invasion der Flüchtlinge 2015/16, also zu ihm. Während "Europa in Lethargie und Illusionen gefangen" ist, habe Ungarn "den Weg des Mutes" bewiesen und sich den neuen Herausforderungen gestellt. "Wir wählten unsere eigenen Kinder anstatt der Einwanderer, Arbeit anstelle Spekulation und Hilfe, auf unseren eigenen Füßen stehend, anstatt Schuldensklaven zu sein, Grenzverteidigung statt erhobener Hände..."

Die Idee der "Vereinigten Staaten von Europa" wie sie von den "verblendeten Eliten und Brüsseler Bürokraten" angestrebt würden, seien am Ende nichts anderes als ein neuer Versuch der "Sowjetisierung" des Kontinents, dem man sich entgegenstellen müsste und dem sich die "freiheitsliebenden Völker" Europas entgegenstellen. "Menschen, die ihre Freiheit lieben, müssen Brüssel vor der Sowjetisierung bewahren, vor Menschen, die uns sagen wollen, mit wem wir leben sollen." "Wir" wollen eine "europäische Nation bleiben, nicht eine Nation in Europa sein" und diese solle auf "christlichen Traditionen" fußen.

Die Opposition konterte, sich in jahrzehntelange Abhängigkeit von Moskau zu begeben, u.a. durch das neue Atomkraftwerk und einen Kredit von 10 Milliarden Euro, das sei die neue Sowjetisierung, mit der Orbán den Geist von 1956 verrate. Orbáns Politik sei "exakt von der Art, gegen die die Ungarn 1956 aufgestanden" seien. Schließlich sei er es, der das System demokratischer Kontrolle und Ausgleichs abschaffe, die Pressefreiheit mindere und Ungarn in einen "illiberalen" also unfreiheitlichen Staat "umwandelt".

 

Der polnische Gast, Präsident von Kaczynskis Gnaden, Andrzej Duda, versicherte seinem Gastgeber, dass "Ungarn immer auf Polen zählen" könne, man "marschiere gemeinsam durch die schwersten Momente" der Geschichte. Immerhin sieht der die "zwei Länder, gebaut auf christlichen Wurzeln jetzt frei in einem vereinten Europa."

Das sieht Orbán bekanntlich anders. Dieser erwähnte Imre Nagy nicht einmal mehr, wie die gesamte millionenschwere Regierungskampagne zum Gedenken an 1956 den eigentlichen  den Helden von 1956 ausblendete. Dieser Reformsozialist bezahlte seinen Kampf für ein freies, ein besseres Ungarn mit seinem Leben. Bei dessen Umbettung 1989 kehrte die Demokratie für einige Jahre nach Ungarn zurück. An seinem Sarg sprach der "Liberale" Orbán damals gegen die Arroganz der Macht, für Freiheit und demokratische Rechte. Auf denselben Sarg spuckt er, schamloser Zerstörer der Demokratie. Feind Europas und der Freiheit, heute...

red. / m.s.

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