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(c) Pester Lloyd / 08 - 2017    POLITIK      25.02.2017

Nachtreten und Vorbauen: "180 Minuten" mit Ungarns Premier Orbán außer Rand und Band

"Der olympische Traum wurde ermordet". Orbán interpetiert die Ablehnung des Events durch die Bürger Budapests als Verrat, als ein Dolchstoß der Linken an der Nation. Nun knöpft er sich die Zivilgesellschaft vor und will diese "Repräsentanten der Großfinanz" zur Verantwortung ziehen. Die EU ist für ihn keine Gemeinschaft mehr, sondern "ein Schlachtfeld." Pläne zu Passkontrollen an den Schengengrenzen nennt er einen "Albtraum" und sieht eine Verschwörung des Westens gegen Ungarn im Gange.


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Die Entscheidung, seine
Entscheidung, "die Bewerbung aufzugeben, habe ich getroffen, um Ungarn vor Schande zu bewahren". Um Olympia ausrichten zu können, "bedarf es Einigkeit, das ist auch der Grund, warum in Paris und Los Angeles keine Referenden abgehalten werden", so Orbán am Freitag im staatlichen Kossuth Rádió in der Sendung "180 Minuten", das auf ihn zugeschnitte Podium für den selbst ernannten Volkstribun. Die Bewerbung wäre nach einem Referendum "nur noch Müll gewesen", eine "Erniedrigung, die ich Budapest und Ungarn ersparen wollte."

 

Dann schoss er sich auf die Momentum-Bewegung ein, die die NOlimpia-Aktion ins Leben rief. Diese Gruppe sei "das neue SZDSZ" (früher die linksliberale Koaltionspartei der MSZPgeführten Regierungen 1994-1998 und 2002-2008), die versuche den Ungarn eine "neue MSZP-SZDSZ-Regierung anzudrehen". Orbáns völlig sachfremder Vergleich (die Initiatoren waren da noch Kinder) entspringt offenbar tiefem, persönlichen Frust über eine erneute politische Niederlage - zuvor scheiterte das von ihm initiierte Flüchtlingsreferendum an mangelndem Interesse seiner Anhänger und die rechte Opposition der Jobbik verhinderte seine Verfassungsänderung, - jetzt bekommt er sogar spürbaren Gegenwind der eigentlich als "besiegt" eingeschätzten Linken.

Dass Momentum sich im Herbst zu einer Partei formieren will, um bei den Wahlen 2018 anzutreten, ist für ihn hinlänglicher Beweis, dass "fremde Kräfte" hinter der Bewegung stehen, üblicherweise die "berufsmäßige" Linke als Botschafter "fremder Mächte", womit er, wenig elegant, zu seinem Kernanliegen zu sprechen kam:

"Internationale, in Ungarn tätige Organisationen, die sich selbst als `nicht-regierungs` bezeichnen, aber tatsächlich versuchen, Einfluss auf die ungarische Politik zu nehmen, wobei sie die Interessen des globalen Finanzwesens (Code für "internationale Hochfinanz = jüdischer Geldadel") vertreten, mit bezahlten Aktivisten und vom Ausland eingebrachten Geldern - müssen zur Rechenschaft gezogen und transparent gemacht werden."
Mehr dazu hier.

"Über die letzten zwanzig Jahre haben wir die Existenz dieser Organisationen toleriert, aber ihr Benehmen im Zusammenhang mit der Einwanderung bringt das Faß zum überlaufen (...). Ungarn kann es nicht zulassen, dass diese Organisationen im Schatten agieren können - nicht erklären müssen, woher sie ihr Geld beziehen und für welche Zwecke - nämlich, um fortgesetzt Einwanderer zu ermutigen, ungarische Gesetze zu brechen, um irgendwie in unser Land einzudringen." Diese Organisationen "die überwiegend mit George Soros verbunden sind, haben eine Linie überschritten."

Orbán kam dann auf das geplante Genzkontrollsystem der EU zu sprechen, das u.a. vorsieht, Bürger beim Verlassen und Betreten des Schengenraums zu kontrollieren. Gedacht ist dieses System vor allem, um den Schengenraum besser zu schützen, u.a. auch den illegalen Übertritt von Asylbewerbern aus den Ländern, in denen sie ihre Anträge gestellt haben, zu verhindern oder Menschen mit gefälschten Papieren oder geographisch limitierten Aufenthaltsrechten aufzugreifen, - u.a. eine Lehre aus den Anschlägen in Paris, Brüssel und Berlin. Das würde auch dazu führen, dass Ungarn nicht mehr ohne Weiteres Flüchtlinge einfach gen Westen schleusen könnte, um sich ihrer zu entledigen.

Orbán stellt die Sache nun so - also völlig verdreht - dar als wollte die EU auf der einen Seite EU-Bürger schikanieren, während sie auf der anderen Seite Flüchtlingen freien Zutritt verschaffe. Der Plan sei "ein Albtraum" und würde eine "Belästigung von EU-Bürgern" darstellen. Die Pässe an den EU-Außengrenzen zu kontrollieren würde "Wartezeiten von 8-10 Stunden an der ungarisch-kroatischen und ungarisch-rumänischen Grenze" bedeuten. "Während illegalen Einwanderern permanent die Einreise in die EU" erlaubt würde, "müssten rechtschaffene Europäer sich einem kompletten screening unterwerfen". Es war übrigens Orbán, der am lautesten gefordert hatte, dass "der Schengenraum besser geschützt" werden müsse. Wie er das ohne Passkontrollen anstellen will, übermittelt er uns freilich nicht.

Das sei nicht der einzige Vorgang, der belege, dass "die EU nicht der Hort himmlischen Friedens, sondern ein Schlachtfeld" sei. Brüssel versiche "ständig mehr Kompetenzen aus den Händen der Mitgliedsländer zu nehmen", so wollte die EU z.B. "verhindern, dass wir unseren Bürgern günstige Energiepreise verschaffen". Orbán lügt hier wieder einmal, dass sich die Balken biegen. Das EU-Verfahren gegen die staatliche Preisregulierung in Ungarn (das wegen der stark gesunkenen Weltmartkpreise übrigens dazu führte, dass die Ungarn heute mehr zahlen als ihre Nachbarn) beruht auf dem gleichen Wettbewerbsrecht, das beim Beitritt Ungarns 2004 bestand. Die Kommission fordert also - wie es nunmal ihr Job ist - nur die Einhaltung geltenden, weil auch von Ungarn ratifizierten Rechts - ein.

 

Die gleichen Argumente bringt Orbán gegen die Bedenken Brüssels gegen einen von Ungarn inszienierten verschärften Steuerwettbewerb durch Off-Shore-Steuersätze für Unternehmen sowie absurde staatliche Subventionen für Arbeitsplätze im privaten Sektor als Wettbewerbsverzerrung vor. Die "Brüsseler Bürokraten" wollten Wachstum und die Schaffung von Arbeitsplätzen in Mitteleuropa verhindern, meint Orbán, weil man "neidisch auf unsere Erfolge" sei. Nach seiner Einschätzung stehe Mitteleuropa in Sachen Wettbewerbsfähigkeit besser da als der Westen (die Fakten sagen anderes), man werde sich diesen Vorteil nicht nehmen lassen und die Initiativen zu einer harmonischen (nicht gleichgeschalteten!) Steuerpolitik der EU mit seinem Veto (das man im System der doppelten qualifizierten Mehrheit gar nicht hat) verhindern. Wozu man Arbeitsplätze für bis zu vier Jahre voll subventioniert, wenn doch der Standort so wettbewerbsfähig sei - einer der vielen Widersprüche, die Orbán glaubt, nicht aufheben zu müssen.

Orbán stellte sein Land - wieder einmal - in das Zentrum einer Verschwörung des Westens gegen sein Volk und seine Politik. Die Österreicher würden die Familienbeihilfe für Ungarn, die bei ihnen arbeiten, aber deren Kinder in Ungarn leben, kürzen oder abschaffen wollen - das sei ungerecht, er werde sich daher an den österreichischen Banken in Ungarn rächen. Die Deutschen und Franzosen nähmen sich heraus, ihre Staatshaushalte zu überziehen wie sie wollen, die Griechen und Italiener könnten die Schengenregeln umdeuten, wie es ihnen passt, nur Ungarn werde ständig für alles gescholten, dabei halte man sich an alle Regeln. Gegen diese Art Doppelstandards werde er vorgehen, das Volk werde ihm dabei den Rücken stärken. - Nunja, wenn es ihm nicht gerade wieder in selbigen fällt...

red.


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