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(c) PESTER LLOYD / 2009 / feuilleton / 155 Jahre Pester Lloyd / Übersicht
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Lauter Zukunftsmusik

oder

Eva hat viel durchzumachen...

Ludwig / Lajos Hevesi war faktisch der Pressesprecher der Wiener Sezessionisten und gleichzeitig ihr konstruktivster Kritiker. Wann immer das Rudel bunter Hunde ihre Jugendstile toben liess, sprach er davon und versuchte zwischen Kunstrevoluzzern und konservativem Publikum zu vermitteln. Ein zweckloses Unterfangen, denn die Konservativen kauften am Ende alles auf, erhoben Klimt & Co zur Nationalfolklore und machten deren Bilder damit zu Gedenktafeln ihrer Erschaffer. Geplant war jedoch einmal das Gegenteil dieser Nationalikonographie und so hat es auch sarkastischen Charme, dass 2005 Klimts "Adele" Wien auf Nimmerwiedersehen verlassen musste, war sie ja längst zu Österreichs teuerster Tapete verhunzt.

Der 1843 in Pest geborene Hevesi war aber auch ein sehr amüsanter Schriftsteller und Essayist. Er pendelte, wie so viele, zwischen Budapest und Wien und beglückte die Leser mit zahlreichen Beiträgen. Er arbeitete fast 40 Jahre für den Pester Lloyd, in dem er vor allem mit seinen "Pester Briefen" und "Ofner Zuständen" beliebt wurde. Sein Pamphlet zum Feminismus als etwas längere Einleitung zu einer Buchrezension, würdigt sowohl seine Progressivität wie sein Sprachtalent. Sein (nur im Buch zu lesender) aberwitziger "Zeitungsartikel aus dem Jahre 1992" von 1906 in dem er sich über die Prophezeiungen seiner Zunft lustig macht, ist mindestens ebenso lesenswert. Ludwig Hevesi wählte vor 99 Jahren den Freitod, natürlich in Wien.

 

Ludwig Hevesi

Etwas Feminismus

1899

Das Wort „Feminismus“, das man jetzt so oft liest, hat für den wohlgeordneten Bürger etwas Unsympatisches, um nicht zu sagen Unheimliches. Es münden so allerlei Vorstellungen hinein von sozialem „Damenkrieg“, Frauenrechtlerei, Emanzipirluft, Mannweiberei unlauterem Mitbewerb, Mondainethum, weiblicher Streberei u. s. s. Der Begriff wird auch mannigfach verunreinigt, es ist ja klar, womit und wieso. Auch heften ihm die Gegner etwas Scherzhaftes an, schon seit den Weiberkomödien des Aristophanes, so dass das in dieser Richtung einherstrebende Weib als eine Art Parodie des Mannes angesehen wird. Die unterschiedlichen Satiren über den „Weiberstaat“ kommen in der Weltliteratur gleich nach denen über den „Affenstaat“. Aber die Frau läßt sich nicht abschrecken und schreitet mit ihrem Herzen leichten Tritten fast unhörbar weiter, mit diesen verlorenen Schritten durch alle die Salles des pas perdus der Gesetzeshallen. Unbeirrt durch die vielsprachige, vielstimmige Literatur, die sich um sie her aufthürmt, voltigiert sie über Barrikaden von Streitschriften und ad acta gelegten Gesetzentwürfen hinweg. Gäbe es einen Zähigkeitspreis zu gewinnen, sie müsste ihn längst haben. Wenn sie einstweilen noch nicht siegt, so erobert sie doch. Sie erobert die Männer und befehligt bereits eine ganze männliche Armee von Soldaten, wie Gladstone, Stuart Mill, Ernest Legouvé. Sie ist auch taktvoller geworden und ruft nicht mehr: „Eva contra Adam!“, sondern „Eva pro Eva!“ und statt romantischer Utopien verkündet sie nüchterne Programme von wenigen Punkten, die eigentlich Ziffern sind; sie ruft das Einmaleins zu Hilfe, gegen das es keine tendenziösen Argumente gibt.

(...)

Der Frau wird ihr Recht werden, wie jedem menschlichen Wesen, denn kein Mensch ist auf die Dauer stark genug, den Andern zu hindern, ebenfalls Vollmensch zu sein. Die Gesellschaft wird sich überhaupt ausbauen, und zwar durch Gerechtigkeit nach allen Seiten und in jedem Sinne. In irgend einer fernen Zeit wird der große Generalausgleich vollzogen sein. Es wird keine Enterbten, noch Rechtlosen geben. Jeder Mensch wird sein Recht haben auf Alles, und das sogenannte Existenzministerium, auf das wir bereits ganz von ferne auf Umwegen zusteuern, wird nicht nur Brod und Dach in sich begreifen, sondern auch Liebe, Familienluft, Behagen, ästhetischen Genuß und was noch Alles. Der Begriff des Menschenwürdigen wird sich sehr erweitert haben, sogar bis ins Ueberflüssige hinein; le superflu, chose très-nécessaire, sagt irgend ein französischer Denker. Denn erst wenn der Mensch zu viel hat, hat er genug. Das Wort „genug“ natürlich nicht im Sinne des Einzelnen genommen, der eigentlich nie genug hat, sondern im Sinne der Gemeinsamkeit, die nicht verpflichtet sein kann, ihm mehr zu gewährleisten, hält aber einmal die Gesellschaft so weit, dann entfällt für die Durchschnittsfrau jeder Anlaß, aus ihrem uralten ewigweiblichen Kreise herauszustreben. Geliebte, Gattin, Mutter, Gefährtin, Erzieherin, Walterin des Hauses: welch ein ungeheures Ressort! Vor Allem aber wird ihre Nützlichkeit wieder darin bestehen, etwas Angenehmes zu sein: eine Verschönerung, ein Behagen, eine Gemüthlichkeit; der geliebte Besitz, die gewohnte Sicherheit, das zweite Ich, in Gottes Namen die „bessere Hälfte“, ganz wie in arkadischeren Zeiten. Die Frau wird im Werthe gestiegen sein, denn sie wird wieder das pretium affectionis haben; den Liebhaberwerth, sagt der deutsche Ausdruck etwas zweideutig, aber nicht ohne guten Grund doppelsinig. Bis dahin freilich wird Eva viel durchzumachen haben. Ihr wird vor ihrer Mannähnlichkeit mehr als einmal bange werden. Allein durch dieses Stadium heißt es hindurchgelangen, todt oder lebendig.

(...).

__________ Gekürzte Leseprobe aus: ________________________________
 

Marco Schicker (Hg.)
ZUKUNFTSLAND
Die europäische Ideenwerkstatt
Pester Lloyd von 1866 bis 1938

Gezeiten Verlag, Wien 2009
Feuilletons | 272 Seiten | 12 x 21 cm
Hardcover mit Schutzumschlag
ISBN 978-3-9502272-8-4
[D/A] EUR 21,50 | CHF 35,20

Erscheint Anfang 2009

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