(c) Pester Lloyd / 21 - 2011 TSCHECHIEN 23.05.2011
Massenproteste
Zehntausende fordern Neuwahlen in Tschechien
In Prag demonstrierten am Samstag rund 40.000 Menschen gegen aktuelle Reformvorhaben der Mitte-Rechts-Regierung in Tschechien. Beklagt wird die soziale
Unausgewogenheit der Maßnahmen, die einseitig die Arbeitnehmer belasten würden. Die Regierung hat ihren Kredit wohl endgültig verspielt, es wird eine
Neuwahl gefordert und mit Generalstreik gedroht.
Zu den Organisatoren gehörten der Massenproteste gehören vor allem Gewerkschaften,
federführend die Böhmisch-Mährische Gewerkschaftskonföderation CMKOS, Bürgerrechtsgruppen sowie einige Oppositionsparteien, wobei die linken Parteien kaum
eine sichtbare Rolle spielten, was auch so gewünscht war. Bei der Veranstaltung wurde eine Resolution verabschiedet, die sich gegen die "soziale Unausgewogenheit" von
Reformen im Gesundheitswesen, bei Steuern, im Arbeitsrecht, der Rente und im Sozialwesen richtet.
Besonders heftig griff Josef Stredula von der Gewerkschaft Kovo die Regierung an. Er
sagte, die Reformen "seien schlecht vorbereitet, ideologisch geleitet und ohne jede Analyse über die Auswirkungen auf die Bürger" entwickelt worden. Die Arbeitnehmer
würden in ihren Rechten geschwächt und müssten tiefe materielle Einschnitte hinnehmen. Das ganze Paket sei einseitig zu Lasten der Schwächeren geschnürt.
Der Vorsitzende der CMKOS, Jaroslav Zavadil, bezichtigte die Regierung der Lüge, als
Antwort auf die Massenproteste ließ Arbeits- und Sozialminister Jaromir Drabek von der Partei TOP 09, der auch Außenminsiter Karel Schwarzenberg angehört, wissen, dass diese
Demonstration "in derderzeitigen Situation unsensibel" sei. Er bevorzuge Gesrpäche, statt Demonstrationen, er hatte auch welche angeboten, doch seien es die Gewerkschaften
gewesen, die solche Verhandlungen abgelehnt hätten.
Dazu muss man wissen, dass es seit über einem Jahr ständig Gespräche gegeben hatte,
die Regierung aber meist nicht einen Milimeter Entgegenkommen gezeigt hatte und sich einige Minister in einer sehr abfälligen Art über die Belange von Arbeitern und anderen
betroffenen Gruppen geäußert hatten. Anfang Mai verließen die Gewerkschaften aus Protest die Dreiergespräche mit Regierungs- und Arbeitgebervertretern.
"Wir wollen Neuwahlen und werden nicht warten, bis diese Regierung uns alles gestohlen
hat", sagt der Präsident der "Unabhängigen Gewerkschaftsvereinigung" ASO, Bohumir Dufek, die zweitstärkste Konföderation im Lande. Diese Regierung, so Dufek, werde ihr
Verhalten nicht ändern, sie muss weg. Tana Fischerova, eine in Tschechien bekannte Schauspielerin und ehemalige Abgeordnete der Freiheitsunion meinte, dass nicht nur
Gewerkschaften, sondern sogar Ökonomen des rechten politischen Spektrums vor den Folgen der geplanten Rentenreform warnen. Tschechien führt schrittweise eine zweite, private Säule der Rentenversicherung ein, um die Staatskasse mit der Zeit von
Rentenzahlungen zu entlasten. Allerdings finanziert sie die Beitragsausfälle mit einer deutlichen Erhöhung der Mehrwertsteuer.
Die eineinhalbstündige Kundgebung wurde von vielen Plakaten bestimmt, Vuvuzelas und Trillerpfeifen waren zu
hören, zum Abschluss sangen die Massen die tschechische Nationalhymmne, am Rande gab es Unterschriftenlisten für die Petition, die auch vorgezogene Neuwahlen fordert.
Man bereite nun weitere Kampfmittel vor, u.a. kündigte der ASO-Chef Blokaden von Straßen an, andere Sprecher deuteten auch die Möglichkeit eines Generalstreiks an. Zuvor
hatten schon Ärzte und Polizisten heftige Arbeitskämpfe ausgefochten.
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