MOBILE VERSION

DIE WOCHE AUF EINEN BLICK

Hauptmenü

 

 

 

(c) Pester Lloyd / 50 - 2011  NACHRICHTEN 16.12.2011

 

Reine Formsache

Was vom Tage übrig blieb - die Woche in Ungarn in Bild und Wort

Demo und Hungerstreik vor Staatsfernsehen - Gesundheitsmitarbeiter wollen mehr als Zuckerl - Flashmob gegen Kulturmob - Orbán in der “treuesten Stadt” - Was der Vatikan kann, kann Budapest auch - Nieder mit der Republik: reine Formsache - Staat “hilft” Banken - Knuddeln fürs Vaterland - Farbtupfer, Höhlenforscher und ein unausgeglichener Tiger in Veszprém - Orbán und Necas hören heimlich Westradio

 

Seit Tagen sind einige ehemalige und noch aktive Mitarbeiter des öffentlich-rechtlichen Fernsehens im Hungerstreik. Sie protestieren gegen die Zensur-Praxis ihrer Chefs, die ihnen Anweisungen erteilt haben, eine unliebsame Person aus dem Programm zu schneiden. Am Donnerstag, 15.12., kamen einige Unterstützer vor das MTV-Gebäude. Nachdem der Skandal nicht mehr zu vertuschen war, mahnte der Staatsfunk zunächst ein paar Mitarbeiter ab. Gestern wurde bekannt, dass zwei Nachrichtenchefs gefeuert wurden, in einem wortgewaltigen, dreisprachigen Statement, will die MTVA die “glaubwürdige Berichterstattung” gerettet haben. Dazu hier mehr.

Die Chipssteuer, auch “fat tax” genannt, beschert 42.000 Mitarbeitern im Gesundheitswesen eine Weihnachtsprämie. Für die “Querulanten” einer unabhängigen Gewerkschaft und der neuen Oppositionsbewegung Szolidaritás nicht genug, die wollen tatsächlich das ganze Jahr menschenwürdige Arbeitsbedingungen und nicht nur ein Zuckerl zu Weihnachten. Doch bevor es bergauf geht, wird erstmal zentralisiert.

 

Eine “Flashmob”-Aktion in der Budapester Innenstadt. Am Boden liegt das “Neue Theater”, das die Aktivisten seit der Besetzung des Leitungspostens mit einem Nazi-Duo, auch einer Art Mob, für erledigt halten. Budapests OB Tarlós bat nun den zum Direktor ernannten Rechtsextremisten Dörner, den Rechtsextremisten Csurka nicht einzustellen, weil der halt rechtsextremistisch ist. Seine Stücke könne er aber spielen. Ansonsten verbittet sich der OB jedwede Einmischung der linksliberalen Kulturhegemonisten aus dem Ausland, weil die eh keine Ahnung über ungarische Zustände hätten. Stimmt ja meistens auch, denn es ist alles noch viel Schlimmer und nicht nur Theater.

 

Faden der Ariadne? Zumindest Meterware. Premier Orbán mit Kabinetts-Entourage am Mittwoch in Sopron. Die wöchentliche Kabinettssituzng als Wanderzirkus in der Provinz, der “treuesten Stadt”, wie uns Orbáns Facebook-Seite nochmals erläutert: civitas fideszissima, sozusagen.

 

In Erinnerung an die unter dem Horthy-Regime eingeführte Institution der Kurie als einer Art “oberster Wächterrat” über die Rechtsgelehrten und Gerichte des Landes, brachte man diese Plakette an. Die Kurie wird ab kommendem Jahr wieder eingeführt, auch die Posten werden ganz in vatikanischer Überlieferung, vom lokalen Papst, vergeben, wie man hier lesen kann.

 

Auch wenn die Wirtschaft kracht, das Budget auseinanderfliegt, die Menschen stöhnen, so viel Zeit muss sein. Bei Formalien hatte diese Regierung schon immer einen Hang zur Pedanterie, vor allem, wenn sie hohe symbolische Wirkung entfalten. Hier tun sie das. Ab 1.1.2012 ist Ungarn auch dem Namen nach keine Republik mehr, daher werden über 200 Grenzschilder abmontiert und durch neue ersetzt, das ganze soll gerade rund 17.000 EUR kosten. Etiekttenschwindel kann man Orbán immerhin nicht vorwerfen.

 

Knuddeln fürs Vaterland. Béla verabschiedet sich vor der MTI-Kamera von seiner Freundin (nehmen wir mal an, kann auch die Sekretärin von Dániel Papp sein, wer weiß das heute schon noch). Jedenfalls ist Béla Teil des EUFOR-Kontingents. Solche Abschiede könnten die ungarische Jugend zukünftig wieder überraschend erwischen, hat die Regierung doch ein nationales Wehrregister angelegt, dass - gekoppelt mit einem verpflichtenden Arztbesuch - die Wehrfähigkeit der Bevölkerung erfassen soll, um “im Notfall oder in einem vom Parlament festzulegenden präventiven Verteidigungsfall” schnell ein paar hunderttausend Mann mobilisieren zu können. Die Opposition sieht darin die Wiedereinführung einer Quasi-Wehrpflicht (wurde 2004 ruhend gestellt). Es stellt sich schon die Frage, wie sich die jungen Leute im “Ernstfall” wehren sollen, so ganz ohne Ausbildung?!

 

Das Forex-Kreditablösegesetz wurde zum zweiten Male aufgeschnürt, nun wurden auch die “Banken eingebunden”, nachdem man sie vorher schon gefesselt und geknebelt hatte. Erste und Raiffeisen kündigten kürzlich Stellenabbau und Filialschließungen an. Auf 900 Mrd. Forint, umgerechnet in etwa 3 Mrd. EUR, berechnet Nationalwirtschaftsminister Matolcsy die “Entlastung für die Kreditnehmer” in den kommenden fünf Jahren, die durch Einmalrückzahlung zu bevorzugten Kursen, Umstellungen in Forintkredite, (teiweise) Spesen- und Gebührenbefreiung erreicht wird. Daran will sich “die Regierung” auf einmal auch beteiligen, man werde davon 300 Mrd. übernehmen, so der Minister, was leicht gesagt ist, denn dieses Geld hat er gar nicht. Nicht heute, nicht in fünf Jahren. Allein im Budget 2012 klafft schon jetzt eine (offizielle) neue Lücke von 320 Mrd. HUF. Womöglich braucht man die Banken doch, weil die vielleicht wissen könnten, wo man auf dem Globus noch Geld auftreiben könnte.

 

Farbtupfer. Szeged hat sich eine neue Straßenbahn spendiert, weitere werden folgen.

 

Rumpeldiepumpel, weg war der Kumpel. Forscher machen die größte (bekannte) Höhle Ungarns zugänglich und arbeiten sich durch die fast dreißig Kilometer langen Gänge.

 

Ein Tiger im Zoo von Veszprém bekommt ein Weihnachtsgeschenk. Scheint etwas unausgeglichen der Junge. Vielleicht ist es auch das geschenkverpackte Exemplar einer neuen Verfassung, denn die liegt ja ab sofort in jeder öffentlichen Einrichtung aus.

 

Der tschechische Premier Petr Necas zu Besuch bei Orbán, der ihm gerade zeigt wie man mit einer IKEA-Antenne Westradio hören kann.

 

Die Revolution frisst ihre Kinder. Während die meisten Parlamentarier schon wieder in ihren Sportwagen sitzen, hat der Herr hier offenbar den Absprung verpasst. Vielleicht wartet er auf bessere Zeiten? Oder hat man die anderen Parlamentarier auch einfach alle wegretuschiert?

Vorheriger Foto-Wochenrückblick

Alle Beiträge und Nachrichten dieser Woche

red. / Fotos: MTI, MEH, KEH, PL, Archiv, Szabó

 

IN EIGENER SACHE

Der PESTER LLOYD möchte sich verbessern - Helfen Sie mit?

Liebe Leserinnen und Leser in Nah und Fern, liebe Freunde des Pester Lloyd!

Vor zweieinhalb Jahren haben wir den Pester Lloyd auf eine Online-Tageszeitung umgestellt. Ein Projekt, das sich erfolgreicher entwickelte, als wir das erwarten konnten. Um auf der Höhe der Zeit zu bleiben und noch mehr unabhängigen Journalismus aus der Mitte Europas bieten zu können, brauchen wir Ihre Hilfe...

ZUM BEITRAG

 

 


 

IMPRESSUM