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(c) Pester Lloyd / 06 - 2012      GESELLSCHAFT 08.02.2012

 

Harte Hand

Acht Jahre Haft fürs Kiffen? Ungarn verschärft sein Strafrecht

Law and Order-Politik war von Beginn an eines der Markenzeichen dieser ungarischen Regierung, ob bei der Disziplinierung von "Zigeunern", der Kriminalisierung von Obdachlosen oder bei wirkungslosen Anlassgesetzen gegen rechte Schläger. Nicht, dass die Sicherheitslage in Ungarn völlig aus dem Ruder gelaufen wäre, aber man will der Anhängerschaft etwas bieten. Nun zeichnet sich ein Drogengesetz ab, dass nur noch eine Stricklänge von Malaysia entfernt ist.

Blick in den Flur eines ungarischen Gerichtes

Neben dem schon seit längerem laufenden ideologisch motivierten Umbau des gesamten Gerichtssystems (siehe Aufstellung am Ende des Textes), nimmt man sich nun auch einzelne Delikte vor und belegt Bagatelltaten mit drakonischen Strafen. Justzistaatsekretär Róbert Répássy stellte am Mittwoch auf einer Pressekonferenz in Budapest einen Teil der Neuerungen vor, deren Sinn sich Experten kaum, Wahlkampfstrategen aber sehr schnell erschließt.

So soll zukünftig Notwehr im Falle eines potenziell tödlichen Angriffs vom Gesetz geschützt sein, mit dem Ziel, dass sich das Verbrechensopfer nicht um die Folgen seiner Selbstverteidigung sorgen müssen soll. Selbstverteidigung, resp. Notwehr ist in allen Rechtssystemen einen heikle Sache, da die Nachweismöglichkeit der "unmittelbaren Bedrohung des Lebens" schwer bleibt. Vieles wird hier im Ermessen des Richters verbleiben, mit allen denkbaren Nebenwirkungen.

Weiterhin soll das Höchstalter für den Straftatbestand des sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen von derzeit 12 auf 18 Jahre hochgesetzt, also in die Alterszone der natürlichen sexuellen Aktivität ausgedehnt werden. Hier ist die Frage zu stellen, inwieweit das potentielle Opfer tatsächlich besser schützt oder ob hier - wie auch aus Fällen in Westeuropa bekannt - nicht vielmehr prüden Eltern die Möglichkeit gegeben wird, ihre Moralvorstellungen gegen die Partner ihrer Zöglinge durchzusetzen. Ein weites Feld allemal und ein sehr sensibles zudem.

Weiter werden neue Formen der Buße eingeführt. Darunter fallen „Ausgleichsarbeit“, Stadionverbote und eine Art abschreckende Kurzhaft, bereits zuvor wurde ein strengeres "Hooligangesetz" verabschiedet. Das neue Gesetz soll voraussichtlich diesen Frühling durchs Parlament verabschiedet werden und im Sommer nächsten Jahres in Kraft treten.

Für die meiste Kontroverse sorgt die Information, dass man für den Konsum und den "Handel" auch mit leichten Drogen und in geringsten Mengen mit heftigen Haftstrafen rechnen muss. Wird man beim Rauchen eines Joints erwischt, kann in Zukunft, ganz nach Richterermessen eine Haftstrafe von 2 bis 8, in Worten: acht Jahren Gefängnis verhängt werden. Bevor einige mitteleuropäischen Hausmeisterseelen nun zu jubeln beginnen, mögen sie einiges bedenken:

Der wichtigste Bürgerrechtsverein Ungarns, TASZ, beklagt, dass bekannt ist, dass die Strenge der Strafen bisher nirgendwo auf der Welt zu einer Verringerung des Drogenkonsums geführt habe. Ungarn bekomme nun „eine Drogenstrafgesetzgebung, welche im Vergleich zu allen anderen EU-Mitgliedsstaaten und auch zu der nationalen Regelung zwischen 1999-2003 (ebenfalls von Fidesz initiiert, Am.) wesentlich verschärft wurde und in Europa seinesgleichen sucht. Man wird eher an südostasiatische Verhältnisse erinnert“.

Die Verschärfung sei nicht nur unvernünftig, sondern auch schädlich, da das Leben und die Karriere von Hunderttausenden von Jugendlichen gefährdet werden würde, zumal man in vielen Ländern über die Legalisierung weicher Drogen nachdenkt, bzw. sie längst stillschweigend duldet, u.a., um sie aus dem Dunstkreis der harten Dealer zu bringen.

Nach dem Entwurf müsste z.B. ein 18-jähriger Gymnasiast, der auf einer Jahrgangsparty mit einem einzigen Joint auf der Toilette erwischt wird, mit einer zwei- bis achtjährigen Freiheitsstrafe rechnen. Sein Leben wäre verpfuscht. Das Weiterreichen eines Joints von einem Jugendlichen zum anderen wäre nach dem Entwurf genauso eine gewerblicher Akt, wie bei den mit großer Gewinnspanne Heroin verkaufenden professionellen Dealern: zwei- bis achtjährige Gefängnisstrafe. Völlig an der Lebenswirklichkeit vorbei, da Joints meistens geteilt würden und man durch das Weiterreichen noch lange nicht zum Dealer würde.

Gerade für die tatsächlich in Drogenabhängigkeit befindlichen Jugendlichen bedeute die Regelung, dass sie zukünftig statt einer Entzugstherapie Gefängnis erwarte. Die finanzielle Unterstützung von Entzugseinrichtungen soll auf ein Minimum reduziert werden, sehr viele Hilfsorganisationen, zahlreiche Auffang- und Präventionsprogramme stehen so vor der Auflösung. „Es ist ein unglaublich unverantwortlicher und zynischer Schritt, dass die Regierung unter kompletter Missachtung der gesellschaftlichen Fachorganisationen eine Drogenstrategie und Strafgesetzgebung verabschiedet, welche statt auf Bildung, Prävention und Heilung zu setzen, ihr Geld lieber in die Gefängnisindustrie investiert.“

Auch András Istvánffy von der Oppositionsgruppierung 4K! kritisierte in einem Pester Lloyd-Interview die Eingriffe in die Justiz:. „Eine neue Regelung erlaubt es der Staatsanwaltschaft in Zukunft das Gericht frei wählen zu können, vor welches sie einen Prozess tragen möchte, was alles andere als eine Kleinigkeit ist. Gerichte haben unterschiedliche Gewohnheitspraktiken, so wird z.B. in Budapest ein Jugendlicher, der mit einer geringfügigen Menge Marihuana erwischt nicht gleich eingesperrt, sondern muss eine Strafe zahlen oder Sozialdienst leisten. Auf dem Land hingegen, gibt es Gewohnheitspraktiken, die den gleichen Jugendlichen sofort für das gleiche Delikt einsperren würden. Diese Regelung ist also wieder so ein Gummiparagraph, der theoretisch dazu geeignet ist, unliebsame Personen auszuschalten, man muss dazu nur den "richtigen" Richter finden...“

Die TASZ wird alle rechtlichen Mittel einsetzen um eine Verabschiedung des Gesetzes im Parlament zu verhindern.

PK, CZ

 

Einige der bisherigen Eingriffe ins Rechtssystem gehen jedoch weit über die eher populistische Demonstration von Härte im Strafrecht hinaus:

- Einschränkung der Rechte von Verdächtigen und Beschuldigten bei "bestimmten Tatvorwürfen". Hier wurde eine Liste von Delikten zusammengestellt, die besonders häufig im Zusammenhang mit der oben beschriebenen "Aufarbeitung" zu finden sind. Verdächtigen wird das Recht auf einen Anwalt nunmehr bis zu 48 Stunden verweigert, die vorläufige Festsetzung bis zur Vorführung vor einen Haftrichter sowie die Bekanntgabe des Haftgrundes können aus "ermittlungstaktischen Gründen" und zur "Beweissicherung" hinausgeschoben werden. Alles Vorgangsweisen, die gegen Grundprinzipien der Rechtsstaatlichkeit verstoßen.

- die Kompetenzen des Verfassungsgerichtes wurden eingeschränkt. Fragen, die das "Budget" tangieren, dürfen nurmehr kritisiert, dazugehörige Gesetze aber nicht mehr kassiert werden. Die Verfassung hebt diese Beschränkung auf, sobald eine Staatsschuldenquote von unter 50% des BIP erreicht worden ist. Optimisten rechnen damit noch in diesem Jahrhundert.

- Das Verfassungsericht wurde von 11 auf 15 vergrößert, womit eine Besetzung mit "genehmen" Richtern aufgrund der herrschenden Mehrheitsverhältnisse ermöglicht und auch wahrgenommen wird.

- die radikale Absenkung der Altersgrenze für alle Richter von 70 auf zunächst 62 Jahre wird als Teil einer allgemeinen Rentenreform verkauft, eröffnet aber die Möglichkeit, auf einen Schlag einige Hundert der 2.800 in Ungarn aktiven Richter zu "ersetzen". Diese Regelung hat es sogar auf die Bedenkenliste der EU geschafft, nun will sich Budapest auf einen Kompromiss einlassen und die Regelung "individualisieren", wie es in der bis 17.2. an die EU zu übermittelnden Antwort heißen wird.

- die Schaffung einer Kurie (Oberstes Gericht + Chef des Verfassungsgerichtes + Generalstaatsanwalt), mehr noch die Aufwertung der Richterkammer sowie die Besetzung der Präsidentenstelle mit einer regierungsnahen Person (immerhin die Gattin eines Fidesz-EP-Abgeordneten, die, freilich, ihre Unabhängigkeit betont). Diese Richterkammer kann nun darüber befinden, welches Gericht, sogar welcher Richter welche Fälle bearbeitet und damit direkt Einfluss auf die zu erwartende Strafhöhe nehmen. Sie kann Richter abberufen und versetzen und hat "Richtlinienkompetenz". In Rechtsstaaten dürfen Richter - abseits von gröbstem Fehlverhalten - nicht einmal versetzt werden oder den Hauch einer Weisung bekommen. Auf Fehler in der Rechtsprechung dürfen sie lediglich hingewiesen werden. Man erfand gerade auch deshalb die Möglichkeiten von Berufung und Revision, die beim ungarischen System hinfällig würden.

- Einsetzung eines Sonderermittlers für die "Abrechnung mit den Vergehen der Vorgängerregierungen", der sich, einzig ermächtigt durch den Premier, als eine Art Sonderstaatsanwalt darstellt und, abseits judikativer Hoheitsrechte, einseitige mediale Vorverurteilungen vornimmt. Es ist zwar richtig, dass eine ganze Reihe von Betrugs, Korruptions- und Amstmissbrauchsfällen aufzuarbeiten sind, bedenklich ist aber die politische Einseitigkeit, die mit der Einsetzung des "Racheengels" auf Fidesz-Parlamentsmandat fixiert wurde sowie die Aufhebung der "Unschuldsvermutung", von Persönlichkeitsrechten ganz abgesehen. Eine Reihe von Beispielen belegen diese politische Instrumentalisierung, ganz aktuell bringt sich Sonderermittler Gyula Budai, beim Thema Malév-Airport erneut in Stellung. Um "dem Gerechtigkeitssinn des Volkes" Genüge zu tun, der mitunter über rechtskräftige Urteile gehoben wird, schreckt man auch vor einer Debatte über rückwirkende Anwendung von Gesetzen (siehe hier) zurück und der Pauschalverurteilung ganzer Gruppen nicht zurück ("Sozialistengesetz"), während man die echten Gefahren nur mit Feigenblatt-Anlassgesetzen versieht. (Beispiel uniformierte “Bürgerwehren”)

- Nicht zuletzt ist die Ernennung des orbántreuen Péter Polt zum Generalstaatsanwalt eine klare Richtungsentscheidung, man darf hier allerdings nicht vergessen, dass auch die Vorgängerregierungen stets ihre eigenen Leute platziert hatten, soweit das der mitunter anders gepolte Staatspräsident nicht verhinderte, eine Gefahr, die ja bekanntlich heute nicht mehr besteht.

- bei anderen Maßnahmen überschneidne sich exekurive, legislative und judkative Momente. Beispiel: Beschäftigungsprogramme für Sozialhilfeempfänger (betroffen vor allem Roma), Verbot von Obdachlosigkeit oder die Anwendung von Antidiskriminierungsgesetzen zur Strafverschärfung bei von Minderheiten begangenen Straftaten

red.

 

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